Der Mann aus der Elektro-Zukunft
Weg vom Sprit, hin zur Steckdose – der BMW-Ingenieur Ulrich Kranz arbeitet als Leiter des Thinktanks „project i“ daran, den Automobilkonzern für die Elektro-Zukunft fit zu machen. Dafür schlägt der Querdenker auch so manchen ungewöhnlichen Weg ein.
Dass er einer der wichtigsten Männer im mächtigen BMW-Konzern ist, trägt Ulrich Kranz nicht vor sich her. Eher still, doch sehr selbstbewusst zeigt er den Journalisten, wie Autoteile aus leichter, hochfester Carbonfaser bei einem Crash reagieren. „CFK hat deutliche Vorteile gegenüber Stahl, die uns neue Möglichkeiten eröffnen – die wollen wir nutzen.“ Die schwarzen Kohlefasern gehören zu den Revolutionen, die der drahtige Manager in den Automobilbau einführen will.
Kranz arbeitet an der Zukunft der BMW Group. E-Mobilität ist das Thema, das der Maschinenbauingenieur mit dem „project i“ vorantreiben soll. Dabei geht es um mehr als nur ein grünes Gewissen, denn immer mehr Metropolen erhöhen ihre Emissionsanforderungen.
Um weiter in China oder den USA hohe Stückzahlen verkaufen zu können, geriet BMW vor einigen Jahren plötzlich unter Zugzwang. Und so erhielt Ulrich Kranz 2007 von Konzernchef Norbert Reithofer den Auftrag, den Thinktank „project i“ aufzubauen und zu leiten.
Die Initiative sollte als „Speerspitze“ nachhaltige Mobilitätskonzepte entwickeln und langfristig neue Denkanstöße geben – von der Produktion bis hin zum Vertrieb. Warum gerade Kranz? „Ich war schon immer der Mann für Projekte, bei denen es keine Modellvorgänger gab – insofern kam das Angebot nicht so überraschend“, sagt der BMWler.
Überraschend war schon eher die Herangehensweise, die er mit seinem zunächst 25-köpfigen Team wählte. Denn um herauszufinden, wie die „urbane Zielgruppe“ lebt und welche Werte und Ansprüche sie hat, reisten Kranz und seine Mitarbeiter um die Welt. Dabei schauten sie auf Straßen und Parkplätze, in Kühlschränke und Büros.
Die ersten Mitstreiter im „project i“ stellte Kranz dabei „aus allen Bereichen“ zusammen. „Wichtig war mir, dass es die richtigen Leute waren – Harmonie ist wichtig, aber mit Harmonie allein kommt man nie ans Ziel.“
Zu seinen Beobachtungen zählte, so Kranz, „dass sich der Trend zur Nachhaltigkeit global durchsetzt“. Auf Komfort wollen die meisten Kunden nicht verzichten. Und: „Die Kunden erwarten, dass man als Automobilhersteller das Problem Emissionen löst.“ Diesen Auftrag setzte das stetig wachsende Team mit dem „Mini E“ um.
Die ersten Modelle wurden teilweise in Handarbeit auf Elektroantrieb umgerüstet. 2009 gingen die ersten Pilot-fahrzeuge an Kunden in den USA, in Großbritannien und Deutschland – mit zwei Sitzplätzen und einem Riesenakku im Kofferraum. „Die Testfahrer waren überrascht, wie viel Fahrspaß der Mini E bietet“, erzählt Kranz lächelnd. Denn genau darum geht es – die Eigenschaften eines BMW auch in die Elektro-Zukunft mitzunehmen. Die Kunden dürften nicht das Gefühl haben auf etwas zu verzichten. Rund 150 km weit schafft es der Mini E im Durchschnitt. Dabei, so Kranz, hätten sich die Testfahrer schnell an die Ladezyklen gewöhnt, bei normaler Nutzung reiche ein Nachtstopp an der heimischen Station. „Öffentliche Ladesäulen werden dagegen kaum genutzt.“
Gerne erzählt der gebürtige Saarländer vom Erfolgs-Mini, der mit seiner hohen Beschleunigung an der Ampel lässig und geräuschlos die Benzin-Konkurrenz abhängt.
Doch beim Thema BMW Concept Active E, der nächsten Stufe im BMW-Elektroplan, wird er wortkarger. In dem E-Fahrzeug, als Studie Ende 2009 vorgestellt, sind die neu entwickelten Lithium-Ionen-Batterien verbaut, die für das Megacity Vehicle (MCV) konzipiert wurden. Die Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs werden hier in einem Vorserienstadium erprobt. 2011 sollen erste Modelle an Testkunden gehen. Der Active E bringt dann vier Sitzplätze und einen Kofferraum mit, da die Batterien unterhalb der Fahrgastzelle liegen.
Doch ein gut gehütetes Geheimnis ist es, wann genau die Probefahrer starten können. Zu groß ist offenbar die Konkurrenz der großen Automobilmarken. Von Daimler bis Volkswagen arbeiten alle namhaften Hersteller mit Hochdruck an serienreifen E-Autos.
Die deutschen Unternehmen sind dabei nicht in der ersten Reihe. So wollen Renault und General Motors bereits im kommenden Jahr serienmäßig E-Modelle in Europa anbieten. Die Deutschen kommen erst 2013: Daimler will nach dem Smart die neue Generation der A- und B-Klasse vollelektrisch bringen, VW den Kleinwagen Up! und BMW sein Megacity Vehicle.
Kranz zeigt sich selbstsicher: „Wir sind schließlich die Einzigen, die bereits eine Testflotte des Mini E mit mehreren Hundert Fahrzeugen in Betrieb haben.“ Und: „Weil wir früh genug dran sind, können wir unsere Erfahrungen auch mit Gesetzgebern teilen oder beim Thema Standardisierung mitreden. Hier ist es wichtig für alle, dass es eine klare Richtung für die Zukunft gibt und sich die Vorgaben nicht ständig ändern.“
Läuft alles nach Plan, wird das MCV 2013 in Serie produziert – ein Fahrzeug mit Kohlefaser-Karosserie, das im Gegensatz zu seinen umgebauten Vorgängern komplett auf den Betrieb als Elektroauto ausgerichtet ist. Mit der Batterie steigt zum Beispiel das Gewicht des Autos. Dieser Faktor soll durch die neuartige Leichtbauhülle ausgeglichen werden. Trotzdem muss die Crashsicherheit nach wie vor gewährleistet sein, ebenso die Recyclingfähigkeit der neu eingesetzten Teile und Materialien.
Um den verwöhnten und kaufkräftigen Kunden weiter die BMW-Eigenschaften zu bieten, entschied BMW, Kernkompetenzen im Unternehmen zu belassen. Konkret werden etwa die Zellen für den Batteriestrang von einem Konsortium um Samsung und Bosch zugekauft, die Architektur und das Batteriemanagement liegen bei BMW. Auch bei CFK will BMW selbst neues Know-how sammeln, deshalb wurde ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Faserspezialisten SGL Carbon gegründet.
BMW soll BMW bleiben – trotz aller Neuerungen: Einen Flop kann sich der Riese auf dem Weg zur CO2-freien Mobilität nicht leisten. Und so muss Kranz mittelfristig einen ganzen Konzern zum Umdenken bewegen – weg vom Sprit, hin zur Steckdose. Auch die Anforderungen an die Mitarbeiter ändern sich. Gestandene Führungskräfte müssen sich im Umgang mit Starkstrom fortbilden, junge Elektro-Ingenieure sind gefragt wie nie zuvor.
Doch auch diese Aufgabe sieht Kranz gelassen: „Unsere Mitarbeiter waren Innovationen gegenüber schon immer aufgeschlossen und können mit Veränderungen sehr gut umgehen, da muss man keinen groß motivieren“, erklärt Kranz. Auch die Ängste, dass die Elektrofahrzeuge die traditionelle Produktion irgendwann ersetzen könnten, findet er unbegründet. „Wir stellen ja nicht die ganze Firma von heute auf morgen um. Es geht um eine Ergänzung des Portfolios. Es wird noch lange Verbrennungsmotoren geben, aber immer mehr Fahrzeuge werden elektrifiziert“, sagt Kranz. SIMONE FASSE
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