Bahn-Verspätung: KI soll helfen – doch reicht das schon?
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz will die Deutsche Bahn Züge pünktlicher machen. Aber Experten bezweifeln, dass die Verkehrswende mit der Bahn wirklich möglich ist.
Die Bahn hat ein Problem. Das Schienennetz ist überlastet, die Fahrpläne sind auf Kante genäht: Eine einzige Verspätung ist oft der erste Dominostein, der das ganze System zum Kippen bringt.
Seit Jahren kommt es immer häufiger zu Verspätungen und Ausfällen, auch weil die Bahn das überalterte Schienennetz an allen Ecken und Enden instand zu setzen versucht. 2021 gab es viel mehr verspätete Züge als im Jahr davor. Nur 75 Prozent der ICE- und IC-Züge kamen pünktlich am Ziel an. Wohlgemerkt: „pünktlich“ heißt nach Bahn-Maßstäben: Mit weniger als sechs Minuten Verspätung. Wer als Fahrgast Anschlusszüge erreichen muss, für den können sechs Minuten allerdings entscheidend sein.
Deutsche Bahn: Mammutaufgabe ist kaum zu stemmen
Experten bezweifeln, dass mit dem aktuellen System die Mammutaufgabe, die auf die Bahn zukommt, überhaupt zu stemmen ist.
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Jetzt kündigt die Deutsche Bahn an, mit Künstlicher Intelligenz die zahlreichen Mängel in den Griff bekommen zu wollen. „Künstliche Intelligenz ist der entscheidende Hebel für die Pünktlichkeit. Bei der S-Bahn Stuttgart konnten wir bei ersten Tests die Pünktlichkeit im Störungsfall um bis zu drei Prozentpunkte steigern“, so Sabina Jeschke, DB-Vorständin für Digitalisierung und Technik. „In größeren Verkehrsnetzen sind sogar bis zu zweistellige Pünktlichkeitsgewinne möglich. Zudem können wir die vorhandenen Schienenkapazitäten noch effizienter nutzen und ermöglichen so eine engere Taktung und mehr Fahrzeuge.“
Das Pilotprojekt bei der S-Bahn in Stuttgart will der Konzern jetzt auf die S-Bahnen Rhein-Main und München ausweiten, wie Bahn-Digitalvorständin Daniela Gerd tom Markotten Erklärt: „Wir sind mit der KI in der Lage, vorausschauend einzugreifen, wenn wir sehen, dass sich Verzögerungen im Betriebsablauf anbahnen.“
Künstliche Intelligenz berechnet Passagierströme
Die Idee: KI soll Passagierströme berechnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Leitstellen, den sogenannten Disponentinnen und Disponenten, entsprechende Empfehlungen liefern: Zum Beispiel welcher Zug zuerst einen Bahnhof verlassen sollte, damit es zu keinen Staus und Verzögerungen kommt. Eine Simulation soll anzeigen, wie sich die Entscheidungen im weiteren Verkehr auswirken würden.
In Stuttgart etwa könnten auf diese Weise Verspätungen von bis zu acht Minuten ausgeglichen werden, heißt es bei der Bahn. Die KI simuliere zudem auf Basis des Live-Betriebs laufend die Entwicklung der Verkehrslage und melde Konflikte frühzeitig.
„Im Ergebnis fließt der Verkehr besser: Züge müssen seltener ihre Geschwindigkeit reduzieren oder warten, wenn ein anderer Zug einen Streckenabschnitt blockiert“, teilt die Bahn mit.
Das sind die schnellsten Züge der Welt
Auch bei der Instandhaltung soll die KI helfen. Ziel sei eine flächendeckend zustandsbasierte Wartung der Züge, heißt es bei der Bahn. So sollen KI-Systeme Kamerabilder oder Sensordaten automatisiert auswerten, um den konkreten Instandhaltungsbedarf zu ermitteln. Das entlaste die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verringere die Zeit, während der zum Beispiel das Dach eines ICE inspiziert werde, von mehreren Stunden auf wenige Minuten.
Deutsche Bahn will Ausfälle besser vorhersagen können
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz will die Bahn zudem mögliche Ausfälle besser vorhersagen können. Derzeit teste man KI-Verfahren, um den Materialbedarf in den Werken oder den richtigen Zeitpunkt für die Wartung oder den Austausch von Radsätzen vorherzusagen, teilt die Bahn mit.
Ein neues KI-System mag akute Probleme lösen – ist aber nicht genug, um die Bahn zu einer Säule der geplanten Verkehrswende zu machen, glauben viele Experten. Volker Stölting, Professor an der Technischen Hochschule Köln, sagte jüngst im Interview mit ingenieur.de: „Der Bund hat das Schienennetz in den letzten 20 Jahren sträflich vernachlässigt. Und die Bahn hat einige Fehlentscheidungen wie etwa den Börsengang getroffen, was dazu geführt hat, dass sich das Unternehmen teilweise kranksparen musste.”
Immerhin: Rund 13,6 Milliarden Euro von Bahn, Bund und Ländern fließen in diesem in den Ausbau Infrastruktur, 900 Millionen Euro mehr als im Jahr 2021. Das ist die höchste Summe, die der Bahn für innerhalb eines Jahres zur Verfügung stand. Wenngleich die Summe im Vergleich zu den Investitionen in den Bahnverkehr in benachbarten Staaten immer noch nicht besonders hoch ist.
Planungsrecht bremst bisweilen
Geld sei dabei aber nicht einmal das Hauptproblem, sagt Volker Stölting: „Wir können einen adäquaten Ausbau der Schiene derzeit planerisch und baulich nicht umsetzen. Die Planungen dauern viel zu lang, auch weil das Planungsrecht bisweilen bremst. Zudem sind die Bauunternehmen derzeit sehr stark ausgelastet.“
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