Binnenschifffahrt 06.07.2012, 11:00 Uhr

Deutschlands größtes Schiffshebewerk entsteht in Brandenburg

Im brandenburgischen Niederfinow wird derzeit das größte Schiffshebewerk Deutschlands gebaut. 2015 soll es eröffnet werden. Noch tut an dieser Stelle ein Hebewerk aus dem Jahr 1934 seinen Dienst. Doch das ist zu klein. Das neue soll nicht nur mit größeren Schiffen fertig werden, es soll auch helfen, die regionale Wirtschaft anzukurbeln.

Das neue Schiffshebewerk wird auch größere Containerschiffe abfertigen können.

Das neue Schiffshebewerk wird auch größere Containerschiffe abfertigen können.

Foto: Hafen Rotterdam

Helmut Kluge steht direkt unter dem riesigen Stahlträger-Bauwerk. Über 50 m türmen sich die Strahlträger in die Höhe, da wirkt das Fahrgastschiff, das gerade etwas unbeholfen in das Hebewerk einfährt, eher klein. „Oh, der kommt ganz schön schräg herein“, murmelt Kluge und scheint für einen Moment die Luft anzuhalten.

Und tatsächlich sieht es so aus, als würde sich das Schiff, das eine Reisegruppe durch Deutschland fährt, in dem Trog zunächst verkanten, dann aber fädelt es sich doch ein und wird schließlich fachmännisch vertäut. Kluge lächelt erleichtert. „Das kommt schon mal vor bei Schiffsführern, die bei uns nicht ständig vorbeikommen.“

Schiffshebewerk besteht aus 100 Meter langer Stahlkonstruktion

Schon von Weitem sieht man die gigantische, fast 100 m lange Stahlkonstruktion des Schiffshebewerks in der mecklenburgischen Landschaft stehen. An dieser Stelle muss der Oder-Havel-Kanal eine Geländestufe von fast 40 m Höhe überwinden – das geht nur mit einem Schiffshebewerk.

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Und keiner kennt das Werk wie Kluge. Seit über 40 Jahren lebt und arbeitet der 65-Jährige mit und am Schiffshebewerk in Niederfinow. Früher war er dort als Elektriker angestellt, seit seiner Pensionierung betreut er die Besucher. Tausende von ihnen wollen das gigantische Bauwerk jährlich sehen – vor allem Ingenieure seien immer wieder begeistert, wie reibungslos das 1934 gebaute Hebewerk bis heute seinen Dienst versieht. Ein paar Minuten nur dauert es, bis das Schiff in dem riesigen Trog 36 m angehoben wird, dann setzt es seine Fahrt fort.

Die Technik ist einfach, aber wirkungsvoll. Der Trog liegt auf Wasserhöhe unten oder oben am Kanal, dass Schiff fährt ein, das Tor des Trogs schließt sich, er senkt sich oder steigt an bis auf Wasserhöhe. Dann öffnet sich das Tor wieder und das Schiff setzt seine Fahrt fort. Gegengewichte, über elektrisch angetriebene Umlenkrollen mit dem Trog verbunden, sorgen für reibungslosen An-oder Abstieg.

Kluge hat alle wissenswerten Zahlen parat, die es zum Hebewerk gibt. „Es ist das bundesweit älteste noch in Betrieb befindliche Schiffshebewerk. Die Steuerung besteht noch weitgehend aus den Originalteilen“, sagt er nicht ohne Stolz.

Schiffshebewerk Niederfinow kostet rund 285 Mio. €

Und doch: Bald ist es mit dem alten Hebewerk vorbei. Keine 200 m entfernt sieht man eine riesige Betonwanne aus der Erde wachsen. Raupenfahrzeuge reißen den Boden auf, Krane ragen in den Himmel – hier entsteht für 285 Mio. € das neue Schiffshebewerk Niederfinow Nord. Im Jahr 2015 soll es fertig sein.

Der frühere Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und der Ministerpräsident von Brandenburg Matthias Platzeck hatten im März 2009 den Grundstein für das neue Schiffshebewerk gelegt. Seitdem hallt Baulärm von der nahe liegenden Baustelle in den Stahlträgern des alten Hebewerks wider – ganz so, als wolle der Neubau Fühlung mit seinem Ahnen aufnehmen.

Kluge dreht sich instinktiv Richtung Baulärm und kneift kurz die Augen zusammen. „Wehmütig? Nein, wehmütig bin ich nicht“, antwortet er nach kurzem Zögern auf die Frage, ob ihm der kommende Abschied von „seinem“ Hebewerk leidtäte – im Gegenteil: „Es ist schön, wenn man gleichzeitig dabei sein darf, wenn etwas Neues entsteht.“

Tatsächlich ist das Projekt aktuell der einzige Neubau eines Schiffshebewerkes in Deutschland und Europa in diesen Dimensionen – das neue Hebewerk wird 133 m lang und 60 m hoch. Damit können zukünftig 110 m lange und 11,40 m breite Fahrzeuge Niederfinow passieren.

„Entscheidend wird der Neubau vor allem für die Beförderung von Containern sein. Derzeit ist das Containeraufkommen hier nur gering“, weiß Kluge. Im Trog des neuen Bauwerks, in dem die Schiffe geschleust werden, können dann Güterschiffe mit bis zu 104 Containern angehoben oder abgesenkt werden.

Neues Schiffshebewerk bewahrt die Havel-Oder-Wasserstraße

Das ist auch der eigentliche Grund für den Neubau: Um die Funktion der Havel-Oder-Wasserstraße künftig aufrechtzuerhalten, muss das alte Hebewerk durch ein neues, größeres ersetzt werden. Zugleich wird damit ein maßgeblicher Engpass auf der einzigen transeuropäischen Ost-West-Wasserstraßenverbindung zwischen Stettin und Duisburg über Berlin, Magdeburg und Hannover beseitigt.

Nicht zuletzt verspricht sich das Land davon auch, mehr Güter von der Straße auf Güterschiffe bringen zu können – und außerdem einen Aufschwung in der Region insgesamt.

Ein solcher Mutmacher ist mehr als nötig, denn in den vergangenen Jahren platzten gerade in Brandenburg viele Investitionsträume. So sollte das Bundesland Vorzeigeregion für Solarindustrie in Deutschland werden und muss aktuell gleich mehrere Firmeninsolvenzen verkraften.

Kluge blickt hinauf zu den riesigen Stahlbetontürmen auf der Baustelle, so-genannte Pylone, die eines Tages den Trog, in dem die Schiffe angehoben und abgelassen werden, in der Spur halten. Längst kennt er viele Arbeiter mit Namen, selbstverständlich auch die Projektleitung des neuen Werks.

So auch Peter Huth vom Wasserstraßen-Neubauamt Berlin, der das Projekt leitet. Der Ingenieur für Wasserbau hat in seinem Leben schon vieles gebaut, Kanäle etwa, auch bei der Neugestaltung des Wasserstraßenkreuzes Magdeburg war er dabei.

Für den einzigen Neubau eines Schiffshebewerkes in Deutschland verantwortlich zu sein, ist aber auch für ihn etwas Besonderes. „Respekt habe ich schon davor“, sagt er und geht zur Baustelle hinauf, von der der Blick in die tiefe Baugrube fällt. Huth schaut prüfend hinab. Tief unter ihm wird der gewaltige Trog montiert, der einmal, mit Wasser gefüllt, 9800 t wiegen soll, mehr als das Doppelte des alten.

Viele Bauabschnitte, die augenscheinlich nur wenig miteinander zu tun haben, müssen gleichzeitig ausgeführt werden. Zu einem Drittel, schätzt Huth, ist der gewaltige Bau bereits fertig. „Im Grunde bauen wir hier eine riesige Maschine, um einen Geländesprung von 36 m Höhe zu überwinden.“

Die Zahlen dieser Maschine sind beeindruckend: Der Trog wird an 224 Stahlseilen geführt, gehalten von 220 Gegengewichten. Ein spezielles Trogsicherungssystem bewahrt bei einem unkontrollierten Wasserverlust das austarierte Gefüge von Gewicht und Gegengewicht vor dem Absturz (siehe Kasten).

Schiffshebewerk arbeitet mit acht Antriebsmotoren und 1280 kW Gesamtleistung

Wie sehr sich Alt- und Neubau später ähneln werden, wird aber vor allem die Technik selbst zeigen: Auch im Neubau werden die Schiffe allein von Seilkraft gehalten in die Höhe gezogen oder

hinabgelassen – während gigantische Gegengewichte das Ganze in der Waage halten. Acht Antriebsmotoren mit einer Gesamtleistung von nur 1280 kW reichen aus, um den Trog samt Schiff und Ladung zu bewegen – überwunden werden müssen lediglich Massenträgheit, Anfahrwiderstände, Reibung und kleine Wasserspiegeldifferenzen.

„Unabhängig von der Größe des transportierten Schiffes ist das Gewicht des Trogs wegen des archimedischen Prinzips immer gleich“, erklärt Huth. Dass auch das neue Hebewerk mit der gleichen Technik und den gleichen Verfahren wie das alte arbeite, könne man dabei durchaus auch als eine Reminiszenz an die Baukünste von vor rund 80 Jahren verstehen. Und immer gilt: „Ein Bauwerk, das mit Wasser arbeitet, ist immer schwierig zu betreiben, da sich das Wasser immer seinen Weg sucht“, sagt der Projektleiter des gigantischen Neubaus. „Man muss mit dem Wasser bauen, nie dagegen.“

Für Männer wie Kluge, der sein ganzes Arbeitsleben mit dem Hebewerk verbunden war, zählen aber nicht nur die Technik oder die Zahl der transportieren Schiffe, sondern auch die Landschaft um das Hebewerk. „Wenn man im Unterhafen angekommen ist, beginnt eine landschaftlich sehr reizvolle Gegend“, erklärt er mit Blick in das angrenzende Tal. In Gewässern wie der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße könne man als Freizeitskipper wochenlang die Gegend erkunden, weitgehend ungestört und mitten in der Natur. Zudem liegt das Hebewerk in der Mitte Europas und ist so Teil eines großen Verbundsystems – gerade einmal 150 km entfernt ist die Ostsee.

Noch am alten und wohl bald auch am neuen Schiffshebewerk arbeitet Betriebsstellenleiter Jörg Schumacher. „Ich hoffe, dass ich auch das neue Werk betreiben darf, ich würde mich schon sehr auf die Herausforderung freuen“, erklärt er auf einem seiner regelmäßigen Kontrollgänge durch das riesige stählerne Gerüst.

Altes Schiffshebewerk wuchtet pro Tag 30 bis 50 Schiffe in die Höhe

Zwischen 30 und 50 Schiffe werden pro Tag derzeit unter seiner Verantwortung durch das alte Hebewerk geschleust. „Das sind 4000 Sportschiffe, 4000 Fahrgastschiffe und noch einmal 12 000 bis 16 000 Frachtschiffe pro Jahr“, rechnet Schumacher nach.

Prüfend blickt er nach oben, dorthin, wo über die riesigen Umlenkrollen seit Jahrzehnten die Stahlseile laufen, und setzt dann zufrieden seinen Kontrollgang fort. „Irgendwie tut es mir schon ein wenig leid, aber das Hebewerk hat nun einmal seine Lebensdauer erreicht.“

Und doch wird das alte Hebewerk so lange weiter betrieben, bis das neue störungsfrei funktioniert, es das Verkehrsaufkommen erfordert und solange der Weiterbetrieb wirtschaftlich darstellbar ist. Danach jedoch wird es stillgelegt und bleibt als Technikdenkmal erhalten. So wie Helmut Kluge, der aus der Region einfach nicht wegzudenken ist und auf den bereits die nächste Besuchergruppe wartet. 

Ein Beitrag von:

  • Oliver Klempert

    schreibt für verschiedene überregionale Zeitungen und Fachmagazine über Automation, Energiethemen und die IT-Branche.

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