Die Macht der Gewohnheit behindert den Markt für Elektroautos
Sind es wirklich nur die verhältnismäßig hohen Kosten, an denen die Verbreitung von E-Autos bisher scheitert? Das wollte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung wissen. Dafür haben die Forscher auch Carsharing betrachtet. Das Ergebnis: Verbraucher lassen sich von irrationalen Empfindungen leiten.
Das Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung sieht unter anderem eine satte Förderung für den Kauf von Elektroautos vor. Wer sich ein E-Auto neu zulegt, das einen Listenpreis von unter 40.000 Euro hat, soll nun einen Zuschuss von insgesamt 9.000 Euro erhalten. Dabei stammen übrigens 3.000 Euro vom Hersteller. Das lohnt sich. Schließlich sind rein elektrische Kleinwagen schon für knapp 21.000 Euro zu haben. Außerdem sind sie für zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit. Auch in der Werkstatt sparen die Verbraucher, weil viele Teile, die bei Verbrennermotoren tendenziell hohe Wartungs- und Reparaturkosten verursachen, in den E-Motoren gar nicht verbaut sind. Ganz zu schweigen davon, dass es weniger kostet, den Akku aufzuladen, als den Tank zu befüllen. Die Erhöhung der Prämie ist zwar neu, zuvor lag sie aber bereits bei 6.000 Euro. Was also hält die Deutschen davon ab, sich ein Elektroauto in die Garage zu stellen? Wissenschaftler des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben sich auf die Suche nach Argumenten gemacht. Ihre Schlussfolgerung: Es geht nicht ums Geld.
Elektroauto-Umfrage und Carsharing-Buchungen ausgewertet
Für ihre Analyse haben die Wissenschaftler zum einen die Umfrage „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ausgewertet. Zum anderen durften sie auf Buchungsdaten des Carsharing-Anbieters Flinkster zugreifen. „Beim Flinkster-Carsharing liegt eine Besonderheit der Nutzung darin, dass die Fahrtkosten pro gefahrener Zeit und Strecke über alle angebotenen Motortypen innerhalb einer Fahrzeugklasse immer gleich sind, egal ob elektrisch oder konventionell“, erklärt Martin Kesternich, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Umwelt und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement. Abweichende Kosten könnten also nicht der Grund sein, wenn Kunden lieber Autos mit Verbrennermotor nutzten als ein E-Auto.
Faktisch werden Elektroautos bei Flinkster im Verhältnis jedoch seltener gebucht. Außerdem legen die Kunden mit ihnen kürzere Strecken zurück. Unterm Strich kommen die elektrisch betriebenen Fahrzeuge lediglich auf 21 Prozent der Jahresfahrleistung herkömmlicher Autos.
Reichweitenangst als irrationales Argument gegen Elektromobilität
Als mögliche Ursachen für die Zurückhaltung nennt Kesternich „die Macht der Gewohnheit und Reichweitenangst“. Die Forscher verwenden dafür den Begriff Status-quo-Verzerrung. Mit anderen Worten: Die Nutzer halten am gegenwärtigen Zustand trotz aller Argumente verhältnismäßig stark fest und scheuen die Veränderung. Auch die Reichweitenangst ist unter Experten bekannt. Die Verbraucher befürchten, die gewünschten Strecken nicht bewältigen zu können, weil die Leistung des Akkus begrenzt ist, sie keine längere Pause zum Aufladen machen wollen und zudem die Ladeinfrastruktur noch nicht sehr stark ausgebaut ist.
Wer sich die durchschnittlich gefahrenen Kilometer pro Tag anschaut – sowohl von Privatwagen als auch von Carsharing-Angeboten – findet für diese Befürchtung jedoch keine Bestätigung. „Selbst bei sehr ungünstigen Annahmen zu Reichweite und Lademöglichkeiten von E-Autos könnten zwischen 82 und 92 Prozent der täglich mit Verbrennungsmotoren zurückgelegten Fahrten grundsätzlich auch mit E-Autos bewältigt werden. Bei moderaten Annahmen nähert sich der Anteil sogar 99 Prozent“, resümiert Kesternich.
Verbraucher sollten sich über Leihangebote an die Technologie gewöhnen
Was ist also die Lösung? Die Wissenschaftler schlagen vor, zunächst diese Sorgen der Autofahrer zu entkräften, indem sie Elektroautos kennenlernen, sich an die Technik und das Aufladen gewöhnen, etwa durch „attraktive Leihangebote für die erstmalige Nutzung“. Auch die öffentliche Ladeinfrastruktur müsse dringend weiter ausgebaut werden, um der Reichweitenangst ihre Grundlage zu entziehen. Sogar für den Sonderfall längerer Ausflugsfahrten oder Urlaubsreisen haben die Forscher einen Vorschlag in petto, nämlich Gutscheine für Langstreckenfahrten mit der Bahn – als umweltfreundliche Alternative.
Mehr lesen über Elektromobilität:
Ein Beitrag von: