„eCall kann jährlich 2500 Menschenleben retten“
Ab Oktober 2015 sollen alle in der EU neu zugelassenen Kraftfahrzeuge mit dem Notrufsystem eCall ausgestattet sein. Das hat die Kommission letzte Woche beschlossen. Es obliege nun den Mitgliedstaaten ihre Infrastrukturen dafür fit zu machen, erklärt EU-Verkehrskommissar Siim Kallas gegenüber den VDI nachrichten. Schließlich sollen auch deutsche Autofahrer bei einem Crash in Spanien schnell geortet werden. Kallas glaubt, dass so Rettungskräfte rund doppelt so schnell am Unfallort eintreffen könnten.
VDI nachrichten: Intelligente Verkehrssysteme setzen sich immer stärker durch, um Kraftfahrzeuge sicherer zu machen. Wohin geht die Entwicklung in Europa?
Kallas: Sie haben Recht. Intelligente Transportsysteme, kurz ITS, weisen ein großes Potenzial für die Straßensicherheit auf. Wir arbeiten hier an einer Reihe von vielversprechenden Innovationen. Wir haben unlängst Spezifizierungen für ITS beschlossen, die dem Autofahrer Informationen über die Situation auf der Straße vor ihm geben. So wird er über Straßensperrungen oder Staus informiert. Der Lkw-Fahrer wird über Parkraum auf dem Laufenden gehalten. Das ist nicht nur für Berufskraftfahrer wichtig zu wissen, sondern trägt auch zur Sicherheit bei.
Wir werden uns vor allem um Echtzeit-Verkehrsinfos kümmern und weitere kooperative Systeme entwickeln. Diese Systeme werden Verkehrsteilnehmer befähigen, untereinander und mit Infrastrukturleitstellen zu kommunizieren.
Außerdem denkt die EU-Kommission darüber nach, ob wir weitere Regulierungen brauchen für Bordsysteme in Fahrzeugen, die ein großes Potenzial für die Straßensicherheit darstellen. Ich denke dabei an intelligente Systeme wie Geschwindigkeitsassistenz oder Notfallbremssysteme. Ich denke aber auch an die Warnung vor gefährlichen Verkehrsteilnehmern wie Falschfahrern.
Automatischer Notruf bei Bewusstlosigkeit
Wie funktioniert das Notrufsystem eCall und wird es in Zukunft verpflichtend sein?
eCall hat das Potenzial, bis zu 2500 Menschenleben pro Jahr zu retten und sendet in einer Unfallsituation automatisch einen Notruf aus, auch wenn der Fahrer bewusstlos ist. Die Notrufzentralen werden diese SOS-Signale weiterleiten, so dass ein Rettungsfahrzeug deutlich schneller an die Unfallstelle gelangen wird als bisher. Alle neuen Kraftfahrzeuge und leichten Nutzfahrzeuge, die in der EU auf den Markt kommen, werden ab Oktober 2015 verpflichtend mit diesem 112-eCall-System ausgestattet werden müssen. Jedem Kraftfahrer steht es frei, jedes andere Notfallrufsystem zusätzlich zu wählen. Die Bedingung ist nur, dass das System mit dem automatischen 112 eCall ausgerüstet ist.
Was wird das kosten und wer muss dafür bezahlen?
Der paneuropäische Basis-eCall-Service, basierend auf dem Notruf 112, wird als kostenlose öffentliche Dienstleistung ausgelegt. Das im Fahrzeug integrierte eCall-System wird in Neufahrzeugen deutlich weniger als 100 € kosten. Die eCall-Ausrüstung kann genutzt werden, solange das Fahrzeug betriebsbereit ist. Wenn wir über Kosten reden, dann darf nicht unerwähnt bleiben, dass eCall in Zukunft viele Unfälle wird verhindern helfen und damit auch Kosten spart.
Des Weiteren gehen wir davon aus, dass einzelne Parameter des eCall-Service auch für anderen Dienste, wie das Auffinden von gestohlenen Fahrzeugen, genutzt werden kann.
Bei einem Unfall zählt jede Minute
Ist eCall wirklich geeignet, die Rettungszeiten signifikant zu verbessern?
Bei einem Unfallgeschehen zählt jede Minute. Wenn Notfalldienste sofort über ein Ereignis informiert werden und der genaue Unfallort bekannt ist, können Rettungskräfte rascher zur Unfallstelle gelangen, um Leben zu retten und lebenslange Verletzungen einzugrenzen.
Untersuchungen haben ergeben, dass die Hälfte der Todesfälle bei Verkehrsunfällen sich in den ersten Minuten nach einem Crah ereignet, ein Drittel der Verunglückten stirbt innerhalb weniger Stunden und 20 % sterben an Unfallfolgen einige Tage oder Wochen später. Mit eCall können die Zeiten des Eintreffens von Rettungskräften am Unfallort in städtischen Gebieten um 40 % und in ländlichen Regionen um 50 % verkürzt werden. Das sind die entscheidenden lebensrettenden Minuten, um die es hier geht.
Die Kommission will bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten halbieren …
Ja, im Jahre 2012 sind bei Verkehrsunfällen 28 000 Menschen ums Leben gekommen und 1,5 Mio. wurden verletzt. Jeder einzelne Verkehrstote ist einer zu viel. Wie gesagt, wir rechnen damit, dass eCall mindestens 2500 Menschenleben pro Jahr retten kann. Das wird helfen, dem Ziel näherzukommen, die Verkehrstoten in Europa bis 2020 zu halbieren.
Als schlafendes System konfiguriert
Besteht die Gefahr, dass das mit eCall ausgestattete Fahrzeug verfolgt oder gar gekidnappt werden kann?
eCall ist als schlafendes System konfiguriert. Das System wird nur in einem Unfallgeschehen aktiviert oder wenn es manuell eingeschaltet wird. So kann ein einzelnes Fahrzeugsignal also nicht verfolgt oder geortet werden, wenn es nicht in einen Unfall verwickelt ist. Da es nicht ständig über Mobilfunk verbunden ist, kann es auch nicht gehackt werden.
Es gibt Bedenken beim privaten Datenschutz. Können EU-Bürger sich darauf verlassen, dass ihre Daten nicht missbraucht werden?
Die eCall-Architektur wurde entwickelt in Einklang mit den Anforderungen zum Schutz der Privatsphäre und des Datenschutzes. Die im Falle eines Unfalls übermittelten Notfalldaten werden nach strengen Kriterien des Persönlichkeitsschutzes behandelt. Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag wurde in enger Abstimmung mit dem Europäischen Datenschutzbeauftragten und in Einklang mit Artikel 29 des Datenschutzprotokolls erarbeitet.
Sind die gemachten Vorschläge zu eCall und der Infrastruktur im Einklang mit dem Subsidiaritätsgedanken, so dass Mitgliedstaaten selbst weitere Dienste entwickeln können?
Die Mitgliedstaaten werden angehalten, die notwendigen Infrastrukturen aufzubauen, damit eCall auch wirklich europaweit sicher funktioniert. Das heißt, die Einsatzleitstellen müssen entsprechend aufgerüstet werden, damit sie auf ihrem Territorium den einwandfreien Empfang des eCall-Signals gewährleisten. Natürlich geschieht dies gemäß den spezifischen Anforderungen und Bedürfnissen in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Darüber hinaus bleiben den Mitgliedstaaten alle Rechte vorbehalten, zusätzliche Dienste anzubieten und andere Notrufeinrichtungen zu etablieren.
Europäische Standards erfüllen
Der Kommissionsvorschlag regelt die Spezifikationen für das integrierte Bordsystem im Fahrzeug und etabliert technische Anforderungen für die Zertifizierung. Was wird im Einzelnen geregelt?
Alle in der EU verkauften Fahrzeuge müssen künftig höchste Sicherheits- und Umweltverträglichkeitsstandards aufweisen. Anstatt eine offizielle Typenzulassung auszugeben, sind die nationalen Verwaltungen angehalten sicherzustellen, dass die in Umlauf gebrachten Fahrzeugmodelle die europäischen Standards erfüllen.
So muss sichergestellt sein, dass alle betroffenen Fahrzeuge über Systeme zum EU-weiten eCall verfügen, damit im Falle eines Unfalls Daten über das Ereignis und den Unfallort unverzüglich an die nächste Rettungsstelle übermittelt werden. Zusätzlich müssen Autofahrer auch manuell Alarm ausüben können, wenn sie einen entsprechenden Vorfall beobachten, akute medizinischen Hilfe oder polizeilichen Schutz benötigen.
Welchen Anteil bei der Implementierung des Dienstes können kleine und mittlere Unternehmen dabei übernehmen?
Chancen für Wachstum und Beschäftigung eröffnen sich nicht nur Autoherstellern, die sicherere Fahrzeuge anbieten. Neue Anwendungsfelder ergeben sich für zusätzliche Dienste rund um die Entwicklung von fortgeschrittenen Telematikausrüstungen. Innovationen der Telematikindustrie sind hier kaum Grenzen gesetzt, um Transport und Verkehr in der EU künftig sicherer und umweltfreundlicher zu machen.
Ein Beitrag von: