Ein Mann, ein Auto und 18 Zylinder
Erst Zwölfzylinder in Nobelkarossen sind für manche standesgemäß. Wenn nicht der Kaufpreis entscheidend ist, zählt die Exklusivität des Motors. VW-Chef Piëch ließ zwei Kraftpakete für Luxus-Marken des Konzerns entwickeln. Ihre 16- und 18-Zylinder stahlen auf dem Genfer Autosalon selbst dem Mercedes CL Coupé die Show.
Den Mann, der den Genfer Automobil-Salon 1999 wie kein anderer prägte, konnte man schon mal ganz ohne Bodyguards und Kofferträger geschäftig über die Ausstellungsstände hasten sehen, eine dünne Aktentasche in der Hand. Um deren Inhalt freilich rankten sich die wildesten Spekulationen. Ferdinand Piëch beherrscht das Spiel mit spektakulären Überraschungen in der Autobranche mindestens genauso gut wie David Copperfield bei den Illusionisten.
Auf jeden Fall ist das, was der Chef des VW-Konzerns buchstäblich aus dem Zylinder holt, beispiellos: Auf dem „Salon de l“Automobile“ in Genf ( 11. bis 21. März) debütierte mit dem Bugatti EB 218, unter dessen geschwungener Haube sich ein 18-Zylinder-Motor breit machte, auch der Bentley 8.16 Hunaudières mit einem 16-Zylinder-Aggregat – absolute Überraschungen.
Die beiden Brenn- und Hubraumgiganten stahlen selbst dem großen Mercedes CL Coupé mit neuem Zwölfzylindermotor auf dem DaimlerChrysler-Messestand die Schau. Damit konnte Ferdinand Piëch schon mal einen Punktsieg verbuchen. Genau das war es wohl, was er mit seiner Zylinder-Offensive unter nobel getauftem und geformtem Blech beabsichtigte: einen Platz in der Top-Klasse, am liebsten den besten.
Der Ingenieur mit Leib und Seele ging diesen Plan ebenso unorthodox an, wie es seinem Führungsstil bei VW nachgesagt wird: Zuerst die Motoren, dann die Autos. Schon bevor die Marken Bugatti oder gar Bentley dem Konzern einverleibt wurden, nahmen die vielzylindrigen Aggregate digitalisierte Gestalt an. Als Verfechter des Baukasten-Systems schrieb der Konzernherr seinen Konstrukteuren ins Lastenheft, daß die Vermehrung der Brennräume durch einfache Vervielfältigung existenter Motorenkonzepte zu erreichen sei.
Die beiden Motorengebirge folgen exakt diesem Prinzip. So entstand der im Bugatti EB 218 eingebaute 18-Zylinder durch eine Komposition von Dreizylindern, die als Basismotorisierung des VW Lupo dienen. Die VW-Konstrukteure setzten sechs dieser Zylinderblöcke in W-Form zusammen: je zwei zum Sechszylinder aufgereiht, das Ganze dreimal im Winkel von jeweils 60 Grad zueinander. In jeder Zylinderreihe öffnen zwei Nockenwellen vier Ventile pro Brennraum, insgesamt steuern also 72 Ventile den Gaswechsel. Weil sich je drei Pleuel einen Hubzapfen teilen, fiel die Kurbelwelle erstaunlich kurz aus – der W 18 baut kürzer als jeder heute serienmäßig eingesetzte V12-Motor.
Neben der Direkteinspritzung zeichnen den W 18 noch zwei weitere Besonderheiten aus: Die Nockenwellen werden nicht über Ketten, sondern über Zahnräder angetrieben, und die Motorkraft wird nicht am Kurbelwellenende, sondern an deren Mitte ebenfalls über ein Zahnradpaar und eine Hilfswelle abgezapft. Rund 350 cm3 mißt der Hubraum jedes Zylinders, was sich zu 6,3 l Gesamtvolumen addiert. Der Direkteinspritzer leistet 408 kW (555 PS) bei 6800 min-1 und liefert ein Drehmoment von 650 Nm bei 4000 min-1.
Das ist zwar über jeden Leistungszweifel erhaben, aber dennoch kein zwingender Grund für die 18 Zylinder. Sie beziehen ihre Existenzberechtigung eigentlich nur aus zwei Gründen: Erstens ist so ein 18-Zylinder durch seine ultrakurzen Zündabstände plus Mittelabtrieb natürlich ein Musterbeispiel an Laufruhe. Das gilt allerdings nur für die Schwingungen, denn sechs Nockenwellen, die weit mehr als ein Dutzend Zahnräder und 72 Ventile arbeiten nicht eben lautlos. Und zweitens ist der weltweit erste 18-Zylinder eben ein prestigeträchtiger Rekord.
Für einen solchen Motor fehlte Piëch von Anfang an eigentlich nur eines – die passende Marke. 1998 boten sich dann vier Gelegenheiten: Im großen Fressen der Nobelmarken verschlang VW Bugatti, Lamborghini, Rolls-Royce und Bentley. Seine Leistungsfülle prädestinierte den W 18 indes eher für eine Luxuslimousine denn für einen Luxussportler.
Weil der ehemalige BMW-Chef Bernd Pieschetsrieder in einem geschickten Schachzug Piëch den Markennamen Rolls-Royce weggeschnappt hatte, blieb praktisch nur Bugatti als Empfänger des großen Kraftwerks übrig. Folgerichtig präsentierte VW den W 18 zuerst im Bugatti EB 118, einem zweitürigen Coupé. Diesem Löwen des Pariser Salons von 1998 folgte nun in Genf die viertürige Variante, der EB 218.
Nun verfügt Lamborghini mit seinem Zwölfzylinder zwar über eine standesgemäße Motorisierung, mit dem archaischen V8-Turbo von Bentley aber konnte und wollte sich Piëch nicht zufriedengeben. Die Traditionsmarke Bentley liegt ihm nicht nur besonders am Herzen, hinzu kommt, daß auch jeder Tag technischer Vorsprung vor der BMW-Marke Rolls-Royce zählt.
Ein weiteres Mal waren die Grundlagen für die Zylinder-Offensive nach Bentley-Art in Wolfsburg bereits gelegt. Auf der prinzipiellen Basis des W12-Aggregats, das im VW Roadster vor einem Jahr in Genf debütierte, schufen Piëchs Ingenieure flugs ein W16-Triebwerk. Das W fungiert dabei als Platzhalter für einen Buchstaben, den es in keinem westlichen Alphabet gibt. Der „16-Ender“ ist korrekt eine doppelte VR8-Konstruktion, deren Zylindereinheiten in einem Winkel von 72 Grad zueinander stehen. Jede VR8-Zylindereinheit hat acht Brennräume, die nach dem VR-Rezept von VW abwechselnd mit 15 Grad Versatz zueinander angeordnet sind. Dadurch baut der 8,0 l messende Hubraumgigant zwergenhaft kurz, auch er unterbietet im Längenmaß einen konventionellen V12.
Mit kettengetriebener Nockenwelle und – noch – Saugrohreinspritzung steht der 16-Zylinder technologisch etwas hinter dem W 18 zurück. In der Leistungsausbeute kennt er freilich keine Konkurrenz: 463 kW (630 PS) gibt er bei 6000 Touren zu Protokoll und verfügt dazu über ein maximales Drehmoment von 760 Nm bei 4000 min-1. Das erfordert eine Kraftübertragung mit Nutzfahrzeug-Nehmerqualitäten.
Ob allerdings die Inflation der Brennräume je über den Markt hereinbrechen wird, bleibt fraglich. Die Klientel mag“s erfahrungsgemäß eher konservativ. So zitiert das Fachmagazin „auto motor und sport“ das Bentley-Statement: „Es ist höchst unwahrscheinlich, daß dieses Auto jemals in Produktion gehen wird.“ Aber wer weiß schon, was der Herr des VW-Konzerns noch so alles in seiner Aktentasche verbirgt. Sicher ist, Ferdinand Piëch versteht es zu überraschen.
PETER WEIDENHAMMER/WOP
VW-Chef Ferdinand Piëch beherrscht das Spiel mit spektakulären Überraschungen.
Der Bentley 8.16 Hunaudières mit einem 16-Zylinder-Aggregat sorgte für großes Aufsehen auf dem Genfer Autosalon. Der 8,0-l-Hubraumgigant leistet 463 kW (630 PS), er ist kürzer als herkömmliche V12-Motoren.
Faszination: der Bugatti EB 218. Ausgerüstet mit dem ersten im Pkw verwendeten 18-Zylinder-Motor (6,3 l Hubraum, 408 kW/555 PS), soll die Limousine in der Top-Luxusklasse technische und ästhetische Maßstäbe setzen.
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