Interview zu Elektromobilität 25.11.2011, 12:04 Uhr

„Elektroautos gehören nicht auf die Busspur“

Wie wird Elektromobilität unsere Städte verändern? Berlins oberster Verkehrsplaner Dr. Friedemann Kunst glaubt nicht an Umbrüche im Stadtbild. Eigene Fahrspuren hält er für ebenso unrealistisch wie die Freigabe von Busspuren für Stromer. Bisher fehle Kommunen sogar die nötige juristische Sicherheit zur Reservierung von Lade-Parkplätzen für „Laternenparker“.

VDI nahrichten: Elektromobilität soll ab 2020 Massenmarkt werden. Wie stellt sich Berlins oberster Verkehrsplaner das Stadtbild in 30 Jahren vor?

Kunst: Fossile Kraftstoffe werden dann nur noch in Nischen eingesetzt. Die meisten Fahrzeuge werden rein elektrisch oder mit Wasserstoff unterwegs sein. Die Städte werden leiser sein – dass sich ihr Gesicht stark verändert, glaube ich nicht.

Wie sieht der Verkehrsmittelmix dann aus?

Die Kosten individueller Mobilität werden steigen. Dadurch und durch individualisierte Angebote wird der öffentliche Verkehr attraktiver. Zudem werden mehr Fahrräder und Kleinfahrzeuge mit Elektroantrieben unterwegs sein. Das Auto als Allroundtransportmittel wird Fahrzeugen weichen, die heute Nischen bedienen. Mietmodelle wie Car2Go von Daimler, DriveNow von BMW oder Mu von Peugeot sind für den Einsatz von Elektrofahrzeugen prädestiniert. ÖPNV-Nutzer können damit die letzte Meile auf ihren Wegen bequemer bewältigen.

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Birgt so ein Verkehrsmix nicht Gefahren? Der Kölner Designprofessor Paolo Tumminelli forderte jüngst in einem Essay getrennte Fahrbahnen für „Libellen“ und „Elefanten“. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?

Städte leben auch von der Vielfalt der Verkehrsmittel. Es wird weiterhin Straßenbahnen, Busse und Pkw neben Mopeds, Fahrrädern und Fußgängern geben. Hier in Berlin haben wir die Busspuren für den Fahrradverkehr freigegeben und haben kaum Sicherheitsprobleme. Die Busfahrer stöhnen teilweise …

… und hupen Radfahrer auch gerne mal von der Fahrbahn …

… aber in den Unfallstatistiken schlägt sich der Konflikt nicht nieder. Mischverkehr hat sich gerade für schwächere Verkehrsteilnehmer als sicherer erwiesen. Baulich abgetrennte Radwege sind real gefährlicher als Radverkehr auf der Straße. Busspuren trennen wir nur ab, um zeitliche Nachteile des ÖPNV zu kompensieren.

Das erinnert ein wenig an Shared Space. Kann das in Metropolen funktionieren?

Im großen Maßstab kaum. Aber der Grundgedanke eines verträglicheren Miteinanders auf den Straßen ist richtig. Das setzt ein für alle Verkehrsteilnehmer verträgliches Tempo voraus. Es wäre viel gewonnen, wenn der Verkehr auf Stadtstraßen kontinuierlich mit 30 km/h bis 40 km/h flösse, statt zwischen gefährlichen Spitzen von teilweise weit über 50 km/h und Schritttempo zu wechseln.

Und wie ist das zu erreichen?

Durch Kombination intelligenter Verkehrsplanung und -führung mit einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h. Wichtig wäre die Umkehrung von Regel und Ausnahme.

Tempo 30 wird Herstellern von Elektrofahrzeugen kaum schmecken. Im Marketing betonen sie neben der Nachhaltigkeit besonders die Dynamik der Stromer.

Stadt- und Verkehrsplanung muss allen Verkehrsteilnehmern gerecht werden. In Berlin tragen Pkw ein Drittel zur Verkehrsleistung bei, beanspruchen aber zwei Drittel des Raums. ÖPNV, Radfahrern und Fußgängern bleibt ein Drittel, obwohl sie zwei Drittel leisten. Verkehrspolitisches Ziel ist deshalb eine schrittweise Umverteilung des Stadtraums. In der Vergangenheit wurden viele Weichen zugunsten privater Pkw gestellt. Elektromobilität bietet nun die Chance, multi- und intermodale Ketten attraktiver zu machen.

Wie?

Sammeltaxis und Kleinbusse auf der einen und neue Mietmodelle für Fahrräder und Stadtautos auf der anderen Seite können Bus- und Bahnsysteme sinnvoll ergänzen. Der Parkdruck in den Städten wird nur abnehmen, wenn es weniger private Pkw gibt.

Parken wird gerade mit Blick auf Elektrofahrzeuge spannend. Die erwarteten Umsätze von Ladesäulen sind so gering, dass Investoren zurückschrecken. Müssen „Laternenparker“ also künftig zur Kabeltrommel greifen, um ihre Batterien zu laden?

Sie sprechen ein heikles Thema an. Tatsächlich reichen die Umsätze der Ladesäulen kaum, um sie zu refinanzieren. Das wirft die Frage auf, ob Ladeinfrastruktur eine öffentliche Aufgabe ist. Auch juristisch ist das noch eine Grauzone. Geht es um öffentliche Infrastruktur oder um Stromnetze in Verantwortung privater Netzbetreiber? Ich neige zu Ersterem.

Mit welcher Konsequenz?

Dann wäre es Aufgabe der Städte, den öffentlichen Raum zu organisieren und dabei auf die neu entstehende Nachfrage zu reagieren. Es kann ja nicht sein, dass jeder Anbieter überall und nach Gutdünken gestaltete Ladesäulen aufstellt, an denen er womöglich nur Strom der eigenen Marke anbietet. Es braucht Standards für anbieteroffene Ladeterminals. Gemeinden und Industrie sollten den Aufbau der Infrastruktur in Public-Private-Partnerships angehen.

Elektromobilität steht und fällt mit der Zahl der Ladestationen. In den Boden eingelassene Induktionssysteme könnten dem Ladesäulenwald vorbeugen. Auch die Idee, City West und Ost in Berlin mit elektrischen Pendelbussen auf Induktionsschleifen zu verbinden, steht im Raum. Wie stehen Sie dazu?

Wenn es sicherheitstechnisch funktioniert, wäre das im Zuge von Modellversuchen denkbar. Noch wissen wir wenig über die praktische Funktionsfähigkeit der Induktionstechnik im öffentlichen Raum. Wir beobachten natürlich, was andere Städte auch in Richtung induktiver Straßenbahnen planen. Vorerst wird es aber wohl eher Ladesäulen geben.

Dürfen Kommunen überhaupt Parkplätze mit Ladesäulen für Elektrofahrzeuge ausweisen? Oder drohen Rechtsstreits mit Anwohnern, die sich diskriminiert fühlen?

Es gibt seit einiger Zeit eine Klarstellung des zuständigen Bundesministeriums, die es erlaubt. Das ist aber nicht wirklich zufriedenstellend. Hier muss der Gesetzgeber mittelfristig für mehr Klarheit sorgen. Ein weiteres juristisches Problem ergibt sich in Zonen der Parkraumbewirtschaftung. Eine Privilegierung von Elektrofahrzeugen als Marktanreiz gibt das Bundesrecht nicht her.

Als Anreize sind auch die Zufahrt zu ansonsten gesperrten Innenstadtzonen und die Nutzung von Busspuren in der Diskussion. Ist das aus planerischer Sicht praktikabel?

Der Wunsch der Hersteller nach Marktanreizen ist ebenso nachvollziehbar, wie die Entscheidung der Bundesregierung, Technologieentwicklung statt Fahrzeugkäufer zu fördern. Beim Parken wird eine Gebührenbefreiung oder -reduzierung machbar sein, solange die Zahl der Elektrofahrzeuge übersichtlich bleibt – und wenn Rechtssicherheit besteht. Doch dabei muss im Blick bleiben, dass Parkraumbewirtschaftung ein wichtiges Instrument ist, um den Parkdruck auf die Innenstädte zu mindern. Bei den Busspuren sind sich die deutschen Großstädte einig: Elektroautos sollten erst gar nicht darauf gelassen werden. Denn hier droht ein verkehrspolitischer Zielkonflikt erster Güte.

Inwiefern?

Busspuren dürfen nur dort eingerichtet werden, wo eine vom Bund festgelegte Mindestfrequenz an Bussen unterwegs ist. Zusätzlich sind hier in Berlin gut 7000 Taxen und der Fahrradverkehr darauf unterwegs. Wenn da noch Elektrofahrzeuge dazukommen, ist die Busspur tot. Zumal die Busse mit Sondersignalen ausgestattet sind, durch die sie an Knotenpunkten grüne Welle haben. Private Pkw können wir damit nicht ausrüsten sie würden also alles blockieren. Und eine Kennzeichnung, an der die Polizei Elektroautos erkennen könnte, fehlt obendrein. Kurz und bündig: Elektrofahrzeuge gehören nicht auf die Busspur.

Städte sehen sich angesichts der demografischen Entwicklung zunehmend im Wettbewerb um finanzkräftige junge Familien. Kann Elektromobilität helfen, Innenstädte attraktiver zu machen und die Abwanderung in den Speckgürtel zu bremsen?

Wenn es gelingt, Verkehre durch Kombination von Elektromobilität und verbessertem ÖPNV zu entzerren, glaube ich das unbedingt. Auch global rückt das Thema Lebensqualität in den Städten im Zuge der Urbanisierung zunehmend auf die Agenda. Stadttaugliche Mobilität ist ein wichtiger Standortfaktor.

Probleme macht auch der Lieferverkehr. Welche Ansätze gibt es, um sie zu lösen?

Für uns ist es ein vorrangiges Ziel, die hohen Lärm- und Abgasbelastungen durch den Liefer-, Ver- und Entsorgungsverkehr zu minimieren. In Berlin laufen dazu Modellversuche, die wir ausweiten wollen. Handlungsansätze sind veränderte Logistik und Fahrzeuge. Durch elektrische Antriebe werden die Fahrzeuge so leise, dass sie auch frühmorgens oder am späten Abend nicht stören. Sie können ihre Wege also machen, wenn das Verkehrsaufkommen gering ist. Das hilft Firmen und Anwohnern – und erhöht letztlich auch die Verkehrssicherheit.

Elektromobilität soll sich also im nächtlichen Lieferverkehr in die Städte schleichen. Ziehen die Firmen trotz der exorbitanten Preise für elektrische Nutzfahrzeuge mit?

Die Umstellung der Flotten wird sicher nicht von heute auf morgen passieren. Aber reibungslose Betriebsabläufe und die Imagevorteile sind für die Unternehmen durchaus reizvoll. Außerdem startet der Bund in naher Zukunft ein Programm, um auch elektrifizierte Nutzfahrzeuge für den städtischen Lieferverkehr zu fördern. Das könnte Dynamik in den Markt bringen.

 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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