Elektroautos auf dem Weg zum optimalen Antrieb
Ein Simulationsmodell führt Entwickler von Elektrofahrzeugen systematisch zur optimalen Antriebskonfiguration. Dazu bezieht es Fahrdynamik, Gewicht, Kosten, Einsatzzweck, Reichweite und weitere Parameter ein. Antriebssysteme und ihre Komponenten sind dabei frei skalierbar. Das in Fahrversuchen validierte Modell kommt im Probelauf zu unerwarteten Ergebnissen.
Der Übergang zur Elektromobilität ist für Fahrzeugentwickler wie die Reise in ein fernes Land. Auch dort gibt es Motoren, Steuergeräte und eine Energiequelle. – Jedoch in verwirrender Vielfalt. Synchron- oder Asynchronmotoren, fremd- oder permanenterregt? In die Radnaben integriert oder zwischen Kupplung und Getriebe? Gibt es überhaupt noch ein Getriebe? Welche Batterie? Welche Kapazität? Und wie teuer darf das Ganze sein, damit es sich verkauft?
Forscher der TU Braunschweig und Darmstadt haben die letzten zwei Jahre, gefördert aus dem Konjunkturpaket II, einen „Reiseführer“ für das ferne Land E-Mobilität entwickelt. Genauer: Ein Simulationsmodell, das Entwicklern Wege durch die Vielfalt der elektrischen Antriebswelt weist, und das ihnen erlaubt, Kosten und Nutzen unterschiedlichster Konfigurationen durchzuspielen.
Unterschiedliche Antriebskonfigurationen für Elektroautos im Simulationsmodell durchspielen
Zunächst haben die Ingenieure Marjam Eghtessad vom Braunschweiger Institut für Fahrzeugtechnik, Torben Meier vom Institut für Mechatronische Systeme Darmstadt und Mirco Strauch vom dortigen Institut für Elektrische Energiewandlung Eingangsparameter für ihr Modell gesammelt und gewichtet.
Grob genommen bilden diese Parameter drei Cluster: Energiebilanz, Fahrleistung und Kosten. Darin ein fließen Unterpunkte wie Reichweite, Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung, Steigvermögen aus dem Stand und 60 km/h sowie der Stromverbrauch auf 100 km.
Zur Gewichtung der Parameter hat das Trio Experten aus Autoindustrie und Universitäten befragt – und ihnen ein Punktsystem vorgegeben: 80 Punkte insgesamt, max. zehn je Parameter. Die Ergebnisse variieren mit dem Einsatzzweck des Fahrzeugs. So macht Reichweite bei einem Transporter für den Verteilerverkehr zehn Punkte aus, bei einem Stadtstromer dagegen nur acht.
Simualtionsmodell bewertet Antriebe für Elektroautos gemäß spezifischer Anforderungen
Auf der Bewertungsmatrix setzt die Modellierung unterschiedliche Antriebskonfigurationen auf. Wahlweise Allradantrieb mit zentraler E-Maschine und Verteilergetriebe, zentrale Front- oder Heckantriebe oder Radnaben- und Tandemantriebe in verschiedener Ausführung. Dazu fließen jeweils Modelle der Einzelkomponenten ein. Etwa die Batterie samt Leistung, Energiegehalt, Kosten und Gewicht. Für E-Motoren, Leistungselektronik und Getriebe nutzt das Trio Wirkungsgradkennfelder, die ihnen aus der Industrie zur Verfügung gestellt wurden.
Um ihr Modell zu validieren, haben Eghtessad, Meier und Strauch Messfahrten mit einem Elektro-Smart des Zulieferers Getrag durchgeführt und in weiterführenden Simulationen die Komponenten des Smart durch Bauteile mit anderen Leistungsdaten ersetzt. Herausgekommen ist bei alledem ein Simulationsmodell, das die Ingenieure zur Fahndung nach der Optimalkonfiguration eines Stadtstromers und eines Verteilerfahrzeugs einsetzten.
Dabei gab der Rechner überraschende Idealwerte für das Stadtauto aus: Es wiegt 1014 kg, hat eine zentrale 56 kW starke permanenterregte Synchronmaschine, deren 104 Nm Drehmoment ein Dreiganggetriebe zur Vorderachse überträgt und den Wagen in 4,6 s aus dem Stand auf 60 km/h beschleunigt. Im Schnitt verbraucht er 5,88 kWh/100 km, weshalb sein 19-kWh-Lithium-Ionen-Akku für 326 km reicht. Kosten des Antriebsstrangs: weniger als 25 000 €.
Während diese Antriebskonfiguration 85,67 % der Maximalwertung erreicht, und auf Platz zwei und drei Stromer mit Sechsganggetriebe folgen, liegt das beste Elektroauto mit Eingangkonzept auf Platz 15 (80 %).
„Bei einem Elektrofahrzeug für die Stadt scheint ein Dreiganggetriebe auf den ersten Blick überdimensioniert“, so die Wissenschaftler gegenüber den VDI nachrichten. Doch beim zweiten Blick zeige sich, dass sich Verbrauch und Fahreigenschaften mit zunehmender Ganganzahl deutlich verbessern.
Beim Transporter ergibt sich ein anderes Bild. Mit knapp 91 % der Höchstpunktzahl liegt ein 2,2-Tonner mit Dreiganggetriebe, zentralem Heckantrieb und 197-kW-Asynchronmaschine (max. 313 Nm) vorn. Die Batterie hat 36 kWh Energiegehalt, um trotz des Verbrauchs von 16,85 kWh/100 km eine Reichweite über 200 km je Ladezyklus zu sichern. Die Simulation gibt 51 750 € als Kosten des Antriebsstrangs aus. Allerdings liegen hier ein Fahrzeug mit Sechsganggetriebe und ein Transporter mit fester Übersetzung nahezu gleichauf.
Elektroautos werden durch die Simulation individuell modellierbar
Mit den Basisergebnissen können Entwickler künftig durch Skalieren der Komponenten und Verschieben einzelner Kennwerte frei variieren und so ermitteln, wie sich durch ihre Änderung das Gesamtkonzept wandelt. Das Modell folgt ihren Gewichtungen und Wünschen an das geplante E-Auto. Hersteller können so aus der verwirrenden Vielfalt von Konfigurationen jene herausfiltern, die ihre Marke am besten repräsentieren. Ob sie es dabei auf Fahrdynamik, Effizienz oder möglichst geringe Kosten anlegen, bleibt ihnen überlassen.
Das Simulationsmodell lässt auch allgemeingültige Aussagen zu. So erweisen sich Stadtstromer mit einem Gang ebenso wie solche mit Radnabenmotoren als suboptimal. In weiteren Schritten will das Team das Simulationsmodell weiter verfeinern und dabei regionale und internationale Randbedingungen, zusätzliche technische Parameter und Hybridkonfigurationen einfließen lassen.
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