Elektronik im Auto wird zum Verkaufsargument
Die Bedeutung von Elektronik im Fahrzeug wächst kontinuierlich. Auf dem „CarIT-Kongress – Mobilität 3.0“ am Rande der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt diskutierten letzte Woche Branchenvertreter über neue Chancen und Herausforderungen, die durch die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge entstehen.
Der renommierte BMW-Ingenieur Elmar Frickenstein bemerkt den Wandel in der Automobilbranche seit Jahren nicht nur in seinen Projekten – die Veränderung ist nun auch an seiner neuen Bezeichnung abzulesen. Denn seit Kurzem ist Frickenstein nicht mehr Bereichsleiter Elektrik/Elektronik und Fahrerarbeitsplatz beim Münchner Automobilkonzern: aus dem „Fahrerarbeitsplatz“ wird bei BMW jetzt der „Fahrerlebnisplatz“.
Die Elektronik spielt beim Fahrerlebnis eine immer größere Rolle. Die Auswahl an Assistenz- oder Infotainmentsystemen steigt, die Fiktion, wie das sprechende Auto „Kitt“ aus der US-Serie „Knight Rider“, scheint schon bald von der Realität eingeholt zu werden.
Doch „wir müssen uns darum kümmern, dass die Menschen auch Angst vor einem Informations-Overflow haben oder davor, die Kontrolle im Fahrzeug zu verlieren“, warnte Ford-Chef Bernd Mattes in Frankfurt. Auf dem „CarIT-Kongress“ stellten führende Automarken und Zulieferer ihre Konzepte für vernetzte Fahrzeuge vor. Das Fazit: „Das Fahrzeug wird zum mobilen Knoten im Netz.“
Anteil der Elektronik bei der Fahrzeugherstellung ist stark gestiegen
„Die Herausforderung besteht unter anderem darin, iPhone und Automobil miteinander zu verbinden“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Er skizzierte die Wachstums-
chancen, die sich der Branche durch neue IT-Systeme im Fahrzeug bieten. Habe im Jahr 1990 der Elektronikanteil bei der Herstellung eines Fahrzeugs noch bei 16 % gelegen, sei der Anteil der Wertschöpfung heute auf 30 % bis 40 % gestiegen, so Wissmann. Elektronik nehme bei den Innovationen im Premium-Segment bereits einen Anteil von 80 % ein, führte Wissmann weiter aus. „Hier ergeben sich ganz neue Wertschöpfungsketten.“
Um diese Wertschöpfung erfolgreich auszunutzen, „müssen wir das Auto neu erfinden und uns neuen Partnerschaften stellen“, erklärte der VDA-Präsident. Und ihm ist klar: „Wir können uns im Auto keine Systemabstürze erlauben.“
Elektronik darf den Fahrer nicht überfordern
„Das Auto der Zukunft muss sehen lernen, es ist vernetzt – und wir müssen es verstehen“, fasste es Thomas Form aus der Elektronik- und Fahrzeugforschung bei VW zusammen. Bei der Interaktion zwischen Mensch und Auto müsse es künftig vor allem darum gehen, den Fahrer „in den ursächlichen Fahrzeugfunktionen zu unterstützen, so Form. Dabei sehe er beim Thema Sicherheit zwei vorrangige Handlungsfelder, zum einen den „Schutzengel“, zum anderen den temporären Autopiloten bei ermüdenden Situationen. Alles in allem „dürfen wir die Fahrer nicht überfordern“, warnte Form, etwa durch die Kombination von komplexen Assistenzsystemen und Infotainment.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Rednern des CarIT-Kongresses sah Form die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander oder mit der Infrastruktur sowie komplett autonomes Fahren noch kritisch. Fraglich sei z. B., ob an einer befahrenen Kreuzung ständig die Abdeckung über Mobilfunk (LTE) gewährleistet sei. „Wenn wir etwas dem Kunden verkaufen, muss es top funktionieren“, so der VW-Ingenieur, der dabei auf noch ungeklärte Haftungsfragen sowie die nötigen Investitionen in die Infrastruktur verwies.
„Intelligente Verkehrsnetze werden künftig eine signifikante Rolle spielen“, sagte dagegen Bitkom-Präsident Dieter Kempf. „Das Auto wird zum Netzknoten, zum Sender und Empfänger.“ Bevor es aber so weit sei, müsse laut BMW-Ingenieur Frickenstein noch die schnelle und sichere Datenkommunikation sowie eine synchronisierte Infrastruktur gewährleistet sein. Zudem, so Mattes von Ford, „könne die Einführung kooperativer Systeme nur erfolgreich sein, wenn Autos weltweit dieselbe Sprache sprechen“.
Form appellierte, die Möglichkeiten der Technik nicht über die Kundenwünsche zu stellen: „Wir müssen uns fragen: Welche Systeme sind gewollt, welche Systeme machen Sinn und wofür zahlen die Kunden?“
Modernes Infotainment wird „zunehmend zum Verkaufsargument“
Dass Autofahrer Internetfunktionen in ihrem Fahrzeug wollen, und das möglichst in Verbindung mit ihrer eigenen Hardware wie Smartphone oder Tablets, stand für die Referenten außer Frage. Modernes Infotainment, etwa die Nutzung von E-Mail-Funktionen oder der Zugang zu sozialen Netzwerken auch im Auto, werde „zunehmend zum Verkaufsargument“, sagte Wissmann.
„Wir wollen das digitale Leben ins Auto bringen und nahtlos miteinander verknüpfen“, erklärte Ford-Chef Mattes. Das Kommunikationssystem „Sync“ etwa, das in den USA 3 Mio.-mal verkauft wurde, sei von der sicherheitsrelevanten Elektronik abgekoppelt. Personalisierte Funktionen, das Abrufen individueller Daten über eine intuitive Bedienung – all das werde das Fahrerlebnis für die Kunden künftig erhöhen, so Mattes.
Ob sich die Kunden künftig von der Technologiebegeisterung der Hersteller anstecken lassen, bleibt abzuwarten. Nicht selten verderben Anwendungen wie ein zu kleiner Regensensor oder eine unübersichtliche Steuerung neuer Funktionalitäten so manchem Fahrer den Spaß an neuen Assistenz- und Infotainmentsystemen. Hersteller wie Skoda reduzieren das Innenleben der Fahrzeuge deshalb gezielt. Analog zu dem Handy, mit dem viele Kunden „einfach nur telefonieren wollen“, wird es wohl auch Autos geben, die einfach nur fahren sollen – oder besser, gefahren werden sollen.
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