Verkehr 09.11.2021, 14:58 Uhr

EU-Rechtsrahmen: Schlüssel für erfolgreiches autonomes Fahren scheint gefunden

Autonomes Fahren zählt zu den revolutionärsten Technologien unserer Zeit. Ein Durchbruch fehlt bislang – auch aufgrund fehlender rechtlicher Rahmenbedingungen. Doch jetzt scheint der Schlüssel gefunden zu sein.

Frau liest vor Steuer

Autonomes Fahren lässt Autofahrer zu reinen Passagieren werden. Neue Empfehlungen bilden eine Basis für einen EU-Rechtsrahmen.

Foto: panthermedia.net/AndreyPopov

Smarte und automatisierte Verkehrswegeplanung reduziert Staus und sorgt für eine optimierte Fahrzeugauslastung. So die Idealvorstellung autonomen Fahrens. Robo-Trucks, die eigenständig Güter ans Ziel bringen, gibt es bereits. Was fehlt, ist ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen. Die Wirtschaftsberater von Hogan Lovells haben eine klare Empfehlung, die Herausforderungen schnell lösen könnten.

Vertrauen in autonome Fahrzeuge steigt

Die Kontrolle abgeben und sich in ein autonom fahrendes Auto setzen erfordert Vertrauen. Daran hapert es in der Gesellschaft noch. Eine neue Umfrage zeichnet ein anderes Bild.

Eine künstliche Intelligenz am Steuer wäre für die Menschen in Deutschland kein Hinderungsgrund mehr, sich in ein Fahrzeug zu setzen. Fast alle (99,8 Prozent) können sich grundsätzlich vorstellen, ein autonomes Verkehrsmittel zu nutzen. Vor gut einem Jahr lag der Anteil bei 93 Prozent, vor zwei Jahren erst bei 77 Prozent, so eine Befragung des Digitalverbands Bitkom.

Die Technologie zum autonomen Fahren hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht.

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„In vielen Verkehrssituationen sind selbstfahrende Fahrzeuge längst sicherer als solche, bei denen der Mensch die Kontrolle hat“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Deutschland hat eine hervorragende Ausgangsposition, auch weil mit dem Gesetz zum autonomen Fahren eine entsprechende Rechtsgrundlage für den Straßenverkehr geschaffen wurde.“

Zwei Drittel (66 Prozent) würden autonome Busse nutzen. Jeweils 6 von 10 (62 Prozent) können sich vorstellen, in einen selbstfahrenden Privat-Pkw, Mini-Shuttle-Bus oder ein selbstfahrendes Taxi zu steigen. Doch an den Durchbruch glauben die wenigsten Befragten in den kommenden Jahren. In 20 Jahren scheint das realistischer zu sein. 18 Prozent sagen, dies werde in 15 Jahren der Fall sein und 31 Prozent gehen von 20 Jahren aus. 22 Prozent rechnen mit dem Durchbruch erst in 25 Jahren.

Währenddessen wird über einen einheitlichen EU-Rechtsrahmen zum autonomen Fahren diskutiert.

Erster EU-Rechtsrahmen: Empfehlung überrascht

In einem White Paper spricht sich die Wirtschaftskanzlei für Flexibilität bei der Schaffung des ersten EU-Rechtsrahmens zur Markteinführung autonomer Fahrzeuge aus. Das mag überraschen – gehen die meisten Interessierten doch eher von einem strengen Rechtsrahmen aus. Flexibilität, Sicherheit und zukünftige Entwicklungen in der Industrie sollen laut Hogan Lovells in den Mittelpunkt gestellt werden. Ausgerechnet Deutschland weicht hiervon ab.

„Deutschland hat als erstes Land das automatisierte Fahren in einem einheitlichen Rahmen geregelt. Das begrüßen wir sehr“, sagt Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied Daimler AG, Integrität und Recht.

Das Gesetz regelt jedoch nicht das autonome Fahren, bei dem Fahrer komplett zu Passagieren werden (Level 5). Die Bundesregierung hat außerdem 2016 eine Ethikkommission gebildet, die sich mit rechtlichen und ethischen Fragen beim autonomen Fahren befasst.

Lesen Sie auch: Autonomes Fahren: Kennen Sie die Rechtslage?

Am 20. Oktober 2021 hat die Europäische Kommission allen 27 Mitgliedstaaten einen Entwurf für eine sogenannte EU-ADS-Verordnung vorgelegt („automated driving system“ oder kurz „ADS“). Sie geht damit einen wichtigen Schritt, bevor im November eine erste öffentliche Konsultation dazu stattfindet. Der Entwurf der Verordnung legt unter anderem die Vorschriften für die Typgenehmigung von autonomen Fahrzeugen in Bezug auf ihr automatisiertes Fahrsystem fest.

Deutschland sieht sich ebenfalls in einer Führungsrolle beim autonomen Fahren. Die Bundesregierung treibt die Forschung und Entwicklung autonomer Autos selbst voran. Die Mobilität der Zukunft soll sicher, umweltfreundlich und nutzerorientiert sein. Am 21. Juni 2017 trat bereits das Gesetz zum automatisierten Fahren (Änderung des Straßenverkehrsgesetzes) in Kraft. Rechte und Pflichten der Fahrer eines autonomen Fahrzeugs wurden geregelt. Unter anderem heißt es, dass automatisierte Systeme (Stufe 3) die Fahraufgabe unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen dürfen. Ein Fahrer ist aber weiterhin notwendig.

Autonomes Fahren: Welche Stufen gibt es?

Stufe 3? Was soll das bedeuten? Beim autonomen Fahren gibt es verschiedene Level und Technologiestufen.

Level 1: Assistiertes Fahren

In Stufe 1 unterstützen Assistenzsysteme wie ein Tempomat den Fahrenden. Den Verkehr muss der Fahrer oder die Fahrerin allerdings ständig im Blick behalten. Für Unfälle oder Verkehrsverstöße haftet der Fahrer.

Level 2: Teilautomatisiertes Fahren

Ein teilautomatisiertes Auto in Level 2 kann zum Beispiel auf der Autobahn gleichzeitig die Spur halten, bremsen und beschleunigen. Auch hier gilt: Fahrende können die Hand zwar zeitweise vom Lenker nehmen, allerdings müssen sie die Assistenzsysteme stets überwachen und bei Bedarf korrigieren.

Level 3: Hochautomatisiertes Fahren

In Level 3 fahren Pkw selbstständig und ohne menschlichen Eingriff – jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum und unter geeigneten, vom Hersteller vorgegebenen Bedingungen. Zeitung lesen während der Fahrt – kein Problem. Als Erstes werden Level-3-Pkw wohl auf Autobahnen unterwegs sein, denn dort gibt es keinen Gegenverkehr, die Straßen sind durchgängig als digitale Karten erfasst.

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Level 4: Vollautomatisiertes Fahren

Ein Level-4-Fahrzeug darf ohne Insassen fahren. Fahrer können die Fahrzeugführung auch komplett abgeben. Die Passagiere haften nicht für Verkehrsverstöße oder Schäden. Ingenieure und Ingenieurinnen forschen mit Hochdruck an der Vollautomatisierung des Autos. Doch immer wieder passieren Unfälle mit autonomen Autos.

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Level 5: Autonomes Fahren

Hier beherrscht die Technik im Auto alle Verkehrssituationen – sei es das Queren einer Kreuzung oder das Durchfahren eines Kreisverkehres. Es gibt nur noch Passagiere, die während der Fahrt zum Beispiel einen Film schauen können.

Ob wir wirklich bereit für autonome Fahrzeuge sind, hören Sie in dieser Podcast-Folge von “Technik aufs Ohr”. Einer der führenden deutschen Wissenschaftler im Bereich des automatisierten Fahrens ist Lutz Eckstein. Er ist Direktor des Instituts für Kraftfahrzeuge an der RWTH Aachen und Vorsitzender der VDI-Gesellschaft Fahrzeug und Verkehrstechnik. Bei Technik aufs Ohr wollen die Moderatoren wissen, ob wir der Technik vertrauen können, wie weit die technische Entwicklung ist und wie sich autonom- und manuell fahrende Fahrzeuge zukünftig miteinander verständigen werden. Jetzt reinhören:

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Drei zentrale Empfehlungen für einen Rechtsrahmen für autonome Fahrzeuge

Im White Paper „The Road to Autonomous Vehicles“ sind zentrale Empfehlungen für einen Rechtsrahmen für autonome Fahrzeuge enthalten. Diese sollen als Basis für regulatorische Entwicklungen auf EU- und nationaler Ebene dienen.

  1. Typgenehmigungssystem innerhalb Europas: Hier empfiehlt Hogan Lovells einen ganzheitlichen und zukunftsorientierter Ansatz. Was heißt das: Der Rechtsrahmen muss laut den Wirtschaftsexperten so flexibel wie möglich gehalten sein. Als Mindestmaß sollte das bestehende Typgenehmigungssystem dienen. Eine Abweichung allein für autonome Fahrzeuge sieht die Kanzlei nicht.
  2. Regulatorische Verantwortung und Nachweis eines Sicherheitskonzepts: Expertise ist einer der Schlüssel für den Erfolg autonomer Fahrzeuge. Doch einer muss auch die Verantwortung tragen. Bei der Zuweisung von Rollen und Verantwortlichkeiten sollen alle beteiligten Wirtschaftsakteure berücksichtigt werden.
  3. Unklarheiten vermeiden: Insbesondere in Bezug auf den bestehenden Rechtsrahmen sind Unstimmigkeiten sowie ungenaue Begriffe und Definitionen zu vermeiden. Klarheit stellt die dritte Empfehlung dar.

Experte fordert flexiblen EU-Rechtsrahmen

Patrick Ayad, Global Leader Mobility and Transportation bei Hogan Lovells, sagt über die Empfehlungen:

„Wir haben die großartige Chance, autonome Fahrzeuge in Europa einzuführen. Die derzeitigen Bemühungen in Europa sind vielversprechend und stimmen weitgehend mit den Empfehlungen überein, die wir heute in unserem White Paper vorgestellt haben. Für die Typgenehmigung von autonomen Fahrzeugen müssen wir jetzt einen umfassenden und holistischen Ansatz wählen, da dies für diesen Zweck noch wertvoller und förderlicher sein wird. Technologische Innovationen, neu entstehende Mobilitätslösungen sowie Kooperationen und Zusammenschlüsse verändern die Industrielandschaft und erfordern einen flexiblen Rechtsrahmen – um zu funktionieren, muss dieser sowohl auf Ebene der EU als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden und gelten.”

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Global Leader Mobility and Transportation Patrick Ayad.

Foto: Hogan Lovells

Wie funktioniert das autonome Fahren?

Autonome Fahrzeuge wie Pkw oder Lkw sind mit einer Vielzahl von Sensoren und Kameras ausgestattet, die zum Beispiel mit Ultraschall arbeiten. Einige Fahrzeuge verfügen über Laserscanner. Dank der Sensoren und Kameras „tastet“ das Auto alle paar Millisekunden die Umgebung ab. Sie brauchen aber auch detailliertes Kartenmaterial, das sie über ihre Sensoren und Kameras abgleichen können. Die Farbe der Ampel bei tiefstehender Sonne zu erkennen, ist für autonome Fahrzeuge heute noch eine Herausforderung.

Weniger Kohlendioxid-Ausstoß durch autonomes Fahren

Autonomes Fahren: Herausforderung für Europa

Gesetzgeber stehen vor der Herausforderung einen Rechtsrahmen zu schaffen, der eine Markteinführung in ganz Europa ermöglicht. Erst das in Kraft getretene Gesetz zum autonomen Fahren erlaubt das Fahren mit autonomen Taxis, Lkw oder anderen Fahrzeugen auf deutschen Straßen. Der Entwurf der EU-ADS-Verordnung prägt die Entwicklung eines Rechtsrahmens für autonome Fahrzeuge innerhalb Europas. Deutschland scheint von dem flexiblen Ansatz auf EU-Ebene abzuweichen, indem das Land in ihrem Entwurf im Gegensatz zu bestehenden Regelungen eine neue Definition für „Hersteller“ einführt, die sich auf den „Fahrzeughersteller“ bezieht. Laut den Experten von Hogan Lovells ist das nicht der Schlüssel zum Erfolg.

Über Hogan Lovells
Rund 2.600 Anwälte und Anwältinnen arbeiten für die internationale Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells. Dr. Patrick Ayad gilt als Experte in allen Rechtsfragen des Automobilvertriebs.

Ein Beitrag von:

  • Sarah Janczura

    Sarah Janczura

    Sarah Janczura schreibt zu den Themen Technik, Forschung und Karriere. Nach einem Volontariat mit dem Schwerpunkt Social Media war sie als Online-Redakteurin in einer Digitalagentur unterwegs. Aktuell arbeitet sie als Referentin für Presse und Kommunikation beim VDI e.V.

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