Flughafenbau 21.12.2012, 18:28 Uhr

Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) im Dornröschenschlaf

Monatelang ruhten die Arbeiten am unvollendeten Flughafen Berlin-Brandenburg (BER). Nach der geplatzten Eröffnung am 3. Juni sollte er im Frühherbst, dann im Frühjahr und schließlich am 27. Oktober 2013 in Betrieb gehen. Auch der neue Termin wackelt, weil der Brandschutz weiter Probleme macht. Derweil haben 1,2 Mrd. € Steuergelder die Flughafengesellschaft nur knapp vor der Insolvenz gerettet. Ob der Nachschlag reicht, ist ungewiss.

Berlins Regierender Bürgermeister hat das Vertrauen in das Projekt verloren.

Berlins Regierender Bürgermeister hat das Vertrauen in das Projekt verloren.

Foto: SPD

Leise rieselt der Schnee. Europas größte Baustelle ruht unter der weißen Pracht. Jetzt, im Dezember 2012, ist es hier am Großflughafen Berlin Brandenburg verdächtig still. Der „Problem-BER“ döst im Winterschlaf. Oder ist es ein Dornröschenschlaf? Seit die für 3. Juni geplante Eröffnung Mitte Mai platzte, ist auf der Baustelle nicht mehr viel passiert.

Hinter den Kulissen dafür umso mehr: Auf Seiten der Flughafengesellschaft mussten der technische Leiter Manfred Körtgen und diverse Projektleiter gehen. Auch der Generalplaner pg bbi ist raus, hinter dem sich die Architekturbüros JSK und gmp verbargen. Schon 2010 war die IGK-IGR Ingenieurgesellschaft Kruck mbH nach Projektquerelen aus der pg bbi ausgeschieden, was den ersten Eröffnungstermin 30. Oktober 2011 zu Fall brachte.

Nun soll es am 27. Oktober 2013 losgehen. Eröffnungstermin Nr. 5. Stets tönten die Verantwortlichen: „Alles im Griff, der Zeitplan steht“. Jedes Mal mussten sie kleinlaut verschieben. Nun sind sie vorsichtiger. Beinahe verzagt klang es, als ein sichtlich mitgenommener Klaus Wowereit letzte Woche vor dem Berliner Abgeordnetenhaus gestand: „Niemand kann aus heutiger Sicht eine Garantie für den 27. Oktober geben.“

Flughafen Berlin-Brandenburg (BER): Wowereit verliert Vertrauen in das Projekt

Berlins Regierender Bürgermeister und BER-Aufsichtsratschef hat das Vertrauen in das Projekt verloren. Was bei ihm nur die Miene verrät, spricht Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer aus: „Es gibt ernst zu nehmende Hinweise, dass der Termin nicht gehalten werden kann.“

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Wowereit bleibt im alten Muster. Auf Nachfrage hätten die Experten den Termin bestätigt, erklärt er. Mit voller Konzentration und gebündelten Kräften sei es zu schaffen. Die alte Leier. Doch die Fakten sprechen dagegen. Laut Horst Amann, dem neuen Technikchef, ist das Projekt abermals in Verzug.

Eigentlich sollte ab November wieder voll gebaut werden. Laut Beobachtern verlieren sich vereinzelte Handwerkertrupps im riesigen Terminal. Nach wie vor ruht die Arbeit an der Brandschutzanlage. Sie wird laut Wowereit wohl erst Mitte Januar aufgenommen. Nachtragsverhandlungen mit den ausführenden Firmen laufen. Noch vor zwei Wochen klagten diese öffentlich, keine aktuellen Baupläne zu haben.

Derweil fragt sich die Republik, wie die Karre so tief in den Dreck geraten konnte. Das Berliner Parlament hat einige Ursachen ans Licht gebracht. Allen voran der Brandschutz im riesigen Terminal. Mit 320 000 m² Bruttogeschossfläche zählt es zu den größten Gebäuden Europas. Im Sinne kurzer Wege und heller Räume haben die Planer einen architektonisch überzeugenden Kubus geschaffen.

Brandschutz als zentrales Problem des künftigen Flughafens Berlin-Brandenburg (BER)

Der Preis der Ästhetik: extrem komplizierte Entrauchung, weil im Gebäudekern die Frischluftzufuhr fehlt. Im Ernstfall müssen in Minuten 3,5 Mio. m³ Rauch abgesaugt und fast ebenso viel Frischluft nachgeführt werden. Die Luft muss bis auf 2,15 m Höhe atembar bleiben. Teils soll der Rauch vom Dach her abgesaugt werden. Für Funktionsräume im Kern und den Gepäckausgabebereich im 2. Untergeschoss ist vorgesehen, den Rauch 35 m tief in den Keller und von dort horizontal durch zwei 120 m lange Kanäle zu 50 m hohen Kaminen zu führen.

Über Kilometer führen Kanäle durchs Terminal. Mehr als 1000 steuerbare Brandschutzklappen und Dutzende Automatiktüren sollen gewährleisten, dass nicht bei jedem Papierkorbbrand die ganze Maschinerie starten muss. Rund 400 verschiedene Brandszenarien sind in die Planung eingegangen.

Gebaut ist die Anlage – Kanäle, Zehntausende Brandmelder und Sprinkler, ein Evakuierungsleitsystem und jene Automatiktüren, die Passagiere im Alltag wie von Geisterhand geöffnet zum richtigen Terminal leiten. Natürlich fein sortiert nach den Schengen-Kriterien für die Einreise nach Europa.

Die ausführenden Unternehmen Siemens, Bosch, Imca, Imtech und T-Systems hatten laut Ausschuss-Aussage des Ex-Gesamtprojektleiters Joachim Korkhaus 95 % des Systems realisiert, als die Fusion der Einzelanlagen vor einem Jahr eine unerwartet hohe Fehlerquote offenbarte. Wirkprinzipprüfungen konnten nicht stattfinden. Die Betriebserlaubnis für den Großflughafen geriet außer Reichweite. Die Eröffnung platzte.

Rückblickend zeigt sich, dass bei den fieberhaften Arbeiten Ende 2011 teure Fehler unterlaufen sind. So hat Technikchef Amann festgestellt, dass bei Brandschutzanlagen und Kabeltrassen an behördlichen Auflagen vorbeigebaut wurde.

Und Korkhaus beschrieb Parlamentariern im Bauausschuss chaotische Zustände. Da nach zig Planungsänderungen in der Bauphase keiner mehr bei den 50 000 Plänen zur Gebäudetechnik durchblickte, waren Kollisionen der Gewerke an der Tagesordnung. Elektriker kappten beim Schlitzen der Wände Brandmeldekabel, die in ihren Plänen nicht verzeichnet waren. Sie sollten Kabeltrassen verlegen, wo schon Lüftungskanäle hingen.

Die Gewerke standen sich im Weg. „Was uns die großen Probleme bereitete, war die Kollisionsprüfung“, erklärte Korkhaus. Unterschiedliche Büros planten Entlüftung, Sprinkleranlagen, Kabeltrassen. Zusätzliche Behördenauflagen brachten zusätzliche Technik. Es wurde gebaut, eingerissen, wieder gebaut und wieder eingerissen.

Hätte ein digitaler Flughafen helfen können? Ein 3-D-Modell, das den jeweils aktuellen Stand der Planung und Realisierung für jedes Gewerk sichtbar abbildet? – Laut Wowereit gehörte so ein Modell zum Auftrag der pg bbi. Doch Martin Delius, Pirat und Leiter des BER-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, bezweifelt, dass die Möglichkeiten des Internets bei der Echtzeitaktualisierung der Baupläne ausreichend genutzt wurden. „Die Wurzel des Übels liegt aber im Management“, stellt er klar. In Gesprächen und beim Aktenstudium hat er den Eindruck gewonnen, dass die Verantwortlichen zu wenig kommuniziert haben. An Rückschluss zwischen Spezialisten der ausführenden Unternehmen, der Behörden und der Flughafengesellschaft habe es gefehlt.

Ein Briefwechsel zwischen der pg bbi und Flughafengeschäftsführer Rainer Schwarz im Februar 2010 verrät viel über den Ton im Projekt. Die Planer bitten Schwarz flehend um ein Gespräch in kleiner Runde. Wegen der Verzögerungen und Einzelvergaben an unterschiedliche Planungsbüros laufe so viel schief, dass eine Neuausrichtung der Projektorganisation nötig sei. „Es sind Entscheidungen erforderlich, die sich weder technisch noch juristisch delegieren lassen“, mahnen sie. Schwarz antwortet: „Wie ihnen sicherlich bekannt sein dürfte, ist mein Kollege, Herr Körtgen, primär für die Planung und den Bau des BBI (= BER, die Red.) zuständig. Insofern ist Ihre Vorgehensweise unter Umgehung des zuständigen Ressortgeschäftsführers für mich schwer nachvollziehbar.“

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Da bitten die Generalplaner, dass der verantwortliche Geschäftsführer nicht delegierbare Entscheidungen trifft, und er weist sie wie Schuljungen zurecht. Zur Erinnerung: Die pg bbi ist geschasst. Schwarz ist im Amt. Allerdings tun sich neue Kapitel des Missmanagements auf, die sowohl den Eröffnungstermin 2013 als auch das jüngst um 1,2 Mrd. € aufgestockte Budget ins Wanken bringen und damit auch die Führungsriege des Projekts.

Gerade hat ein von Amann bestelltes Brandschutzgutachten so ernste Zweifel am Konzept aufgeworfen, dass ein Rückbau der Entrauchungsanlagen im Terminal droht. Delius äußert zudem einen auf Informanten gestützten Verdacht: Die verbaute Anlage entspreche nicht wie geplant Brandschutzklasse F600 (bis 600° C nach 30 min Rauchentwicklung) sondern F400 (bis 400° C nach 90 min). „Sollte sich das bewahrheiten, hätten die Verantwortlichen eklatante Konstruktionsfehler gemacht“, sagt er. Für leistungsfähigere, im Querschnitt größere Auslässe und Kanäle der höheren Brandschutzklasse müsse womöglich die gesamte Deckenkonstruktion verändert werden.

Auch der Lärmschutz macht dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) zu schaffen

Ein weiteres Problem tut sich beim Lärmschutz auf. Laut Dieter Dombrowski, CDU-Landtagsabgeordneter in Brandenburg, hat die Flughafengesellschaft erst 2000 von 25 500 antragsberechtigten Haushalten mit Lärmschutz ausgestattet. Gerichte klären derzeit, wie viel Schallschutz Antragsteller verlangen können. Erreichen die Kläger, was sie fordern, wären allein dafür 591 Mio. € der gerade bewilligten 1,2 Mrd. € von Bund, Berlin und Brandenburg verplant.

Landtagsabgeordnete zeigten sich jüngst überrascht, dass es die BER-Verantwortlichen entgegen vorheriger Bekundungen plötzlich eilig haben, das Geld zu bekommen. „Dem Flughafen geht offenkundig das Geld aus. Bei der Finanzierung des BER brennt es lichterloh“, kommentierte die Opposition trocken. Das liegt auch daran, dass immer mehr Rechnungen für mündlich erteilte Aufträge der heißen Bauphase im letzten Winter auftauchen. Sie sollen sich auf über 250 Mio. € summieren.

Bei Bund und Ländern schwindet der Glauben, dass der Nachschlag reichen wird. Dabei sind die Kosten bereits von einst geplanten 2 Mrd. € auf 4,3 Mrd. € explodiert.

Und zu allem Überfluss zeichnet sich ab, dass die 22 Jahre alte Planung ein grundlegendes Problem birgt. Jüngst meldete die Flughafengesellschaft, dass die Berliner Flughäfen dieses Jahr erstmals über 25 Mio. Fluggäste befördern. Der BER ist für 27 Mio. Passagiere gebaut, wird also ab Eröffnung nahe seiner Kapazitätsgrenze arbeiten. Zwar behauptet die BER-Leitung, bedarfsgerecht geplant zu haben. Doch im Abschlussbericht des ersten Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag ist nachzulesen, dass die Planung auf Marktanalysen beruht, die 25 Mio. Passagiere erst 2020 erwarteten.

Verantwortliche Politiker behaupteten seinerzeit, den Berliner Flughäfen Tegel, Schönefeld und Tempelhof drohe schon bei 20 Mio. Fluggästen der Kollaps. Nun bewältigen allein Tegel und Schönefeld 25 Mio. Passagiere. Ein aktuelles Gutachten wirft Zweifel auf, ob der dösende BER das auch schaffen wird. Aber schön aussehen tut er schon – so still unter der weißen Winterpracht.  

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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