Fluglärm reduzieren durch neue Materialien 14.07.2021, 07:00 Uhr

Pssssst! Ein Flugzeug landet, ohne dass es einer hört!

Forschende der amerikanischen Texas A&M University wollen Flugzeuge leiser machen. Nach ihrer Ansicht sind die Triebwerke gar nicht das Problem. Sie halten einen Spalt an den Flügeln für den entscheidenden Faktor.

Flugzeug landet

Eine Landung ohne Fluglärm? Die wäre dann vermutlich nachts erlaubt.

Foto: panthermedia.net / tan4ikk

Fluglärm ist in vielen Regionen eine große Belastung für die Anwohner. Das hat wiederum wirtschaftliche Konsequenzen, da Beschränkungen wie Nachtflugverbote beschlossen werden, um den Krach zu bestimmten Zeiten zu reduzieren. Es hätte also viele Vorteile, wenn Flugzeuge leiser wären. Forschende der Texas A&M University wollen genau das erreichen, und sie scheinen auf einem guten Weg zu sein. Zumindest theoretisch. Denn die ersten Ergebnisse beruhen auf einer Computersimulation.

Fluglärm entsteht nicht nur durch die Triebwerke

Bei Fluglärm denken die meisten Menschen an das Dröhnen der Triebwerke. Anders die Ingenieurinnen und Ingenieure aus Texas: „Bei der Landung werden die Flugzeugtriebwerke weit zurück gedrosselt und sind daher sehr leise. Jede andere Geräuschquelle, wie beispielsweise der Lärm, den die Tragflächen erzeugen, wird dadurch für die Menschen am Boden umso deutlicher wahrnehmbar“, sagt Darren Hartl vom Department of Aerospace Engineering. Die Triebwerke seien – zumindest beim Landeanflug – also gar nicht das Problem, da sie sich faktisch im Leerlauf befänden.

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Der Krach kommt in erster Linie durch die Tragflächen zustande. Sie müssen neu ausgerichtet werden, um das Flugzeug abzubremsen und auf das Aufsetzen vorzubereiten. Das Prinzip kann man sich ähnlich vorstellen wie das Öffnen einer Jalousie am Fenster. Die Lamellen werden gedreht, und es entsteht ein Spalt. Beim Flugzeug löst sich die Vorderkante ein Stück vom Rest des Flügels. Dabei bildet sich ein Zwischenraum, in den Luft strömt und dadurch Fluglärm erzeugt.

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Hartl vergleicht dieses Phänomen mit dem Spielen einer Flöte. „Beim Spielen beginnt die Luft, die über ein Loch geblasen wird, um das Loch herumzuwirbeln, und die Größe, die Länge und die Art, wie ich die Löcher abdecke, erzeugt einen resonanten Klang mit einer bestimmten Frequenz. In ähnlicher Weise schwingt die zirkulierende Luft in der Vertiefung, die zwischen der Vorderkante des Flügels und dem Hauptflügel entsteht. Dabei erzeugt sie ein scharfes, unangenehmes Geräusch.“ Genau diese Form des Fluglärms lässt sich aus seiner Sicht erheblich reduzieren.

Eine Formgedächtnislegierung für die Lücke

Die Idee, die Hartl und sein Team verfolgen, ist naheliegend: Sie wollen die Lücke schließen. In früheren Arbeiten haben sie bereits gezeigt, dass ein Flugzeug deutlich leiser wird, wenn Füllstoffe als Membran in den Spalt eingesetzt werden. Dafür sollten sie die Form eines lang gezogenen „S“ haben. Für die Praxis setzt das allerdings voraus, dass die Membran während des Sinkflugs die gewünschte S-Form einnimmt, sich aber nach der Landung wieder in die Vorderkante des Flügels zurückzieht. Sie brauchen also eine geeignete Formgedächtnislegierung.

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Ist das überhaupt möglich? Schließlich müsste das Material bei jeder einzelnen Landung seine Form wieder verändern. Hinzu kommt: Die S-Form muss sehr passgenau sein, um Fluglärm effektiv zu unterdrücken. Größere Abweichungen erhöhen die Geräuschkulisse.

Bei der Simulation sinkt der Fluglärm

Die Forschenden wollten das Prinzip simulieren und stellten fest, dass sie sich eine regelrechte Herkules-Aufgabe gestellt hatten: „Jedes Mal, wenn die Luft einen gewissen Druck auf das Material ausübt, bewegt sich das Material. Und jedes Mal, wenn sich das Material bewegt, bewegt sich die Luft anders um es herum“, sagt Hartl. „Das Verhalten der Luftströmung verändert also die Struktur, und die Bewegung der Struktur verändert die Luftströmung.“

Tausende von Berechnungen waren daher nötig, bis es den Ingenieurinnen und Ingenieuren tatsächlich gelang, die Bewegungen des Materials korrekt zu simulieren – und den Fluglärm zu reduzieren. Eingeflossen sind Daten über die Geometrie der Flügel, Werte zu den elastischen Eigenschaften der Formgedächtnislegierung und Berechnungen zu den aerodynamischen Umströmungen des Materials beim Sinkflug. Im Ergebnis landeten die Flugzeuge deutlich leiser. Zumindest theoretisch. Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Ansatz über Experimente in der Praxis belegen. Sie arbeiten dafür bereits an verkleinerten Modellen von Flugzeugflügeln, die mit der Formgedächtnislegierung ausgestattet werden. In Windkanälen soll sich dann zeigen, wie gut sich Fluglärm durch diese Veränderung reduzieren lässt.

Krach werden die Flieger übrigens weiterhin machen – beim Starten. Aber wenn der Ansatz der Forschenden funktioniert, könnte zumindest die Landung der Flugzeuge in der Nacht erlaubt werden.

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Ein Beitrag von:

  • Nicole Lücke

    Nicole Lücke macht Wissenschaftsjournalismus für Forschungszentren und Hochschulen, berichtet von medizinischen Fachkongressen und betreut Kundenmagazine für Energieversorger. Sie ist Gesellschafterin von Content Qualitäten. Ihre Themen: Energie, Technik, Nachhaltigkeit, Medizin/Medizintechnik.

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