Germanwings-Katastrophe: Wie sicher sind unsere Cockpits heute?
Germanwings-Absturz 2015: Was seither beim Thema psychische Gesundheit im Cockpit passiert ist – und was sich wirklich verändert hat.

Am 24. März 2015 steuerte Andreas Lubitz die A320 von Germanwings in den Tod - der Pilot war ausgesperrt. Kann solch eine Katastrophe wieder passieren?
Foto: PantherMedia / carlosphotos
Am 24. März 2015 kam es zu einem tragischen Ereignis, das die Luftfahrt weltweit erschütterte. Ein Airbus A320 der Fluggesellschaft Germanwings stürzte in den französischen Alpen ab. An Bord: 150 Menschen. Der Copilot Andreas Lubitz hatte die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht. Die Ermittlungen ergaben schnell: Er handelte allein. Der Kapitän war zu diesem Zeitpunkt ausgesperrt.
Die drängende Frage nach dem Unglück war nicht nur, wie es dazu kommen konnte, sondern vor allem: Warum wurde ein psychisch angeschlagener Mann nicht rechtzeitig gestoppt?
Inhaltsverzeichnis
- Warnzeichen übersehen
- Keine strafrechtlichen Folgen – aber viele offene Fragen
- Neue Vorschriften sollen Wiederholung verhindern
- Flugmedizinische Datenbank gegen Ärzte-Hopping
- Lufthansa verschärft Anforderungen
- Kontrollen auf Alkohol, Drogen und Medikamente
- Mehr Fragen zur Psyche – keine Tests
- Hilfsangebote für belastete Piloten
- Zwei-Personen-Regel wieder aufgehoben
- Schweigepflicht der Fliegerärzte bleibt bestehen
- Finanzielle Absicherung bei Fluguntauglichkeit
Warnzeichen übersehen
Lubitz hatte bereits Jahre zuvor wegen schwerer Depressionen seine Pilotenausbildung unterbrechen müssen. Trotzdem kehrte er später in den Dienst zurück. In den Monaten vor dem Absturz suchte er laut Ermittlungen 41 verschiedene Ärztinnen und Ärzte auf – viele davon ohne voneinander zu wissen. Er erhielt diverse Medikamente, darunter auch starke Psychopharmaka. Niemand informierte die Fluggesellschaft. Lubitz selbst verschwieg eine Krankschreibung und trat seinen Dienst an – mit tödlichen Folgen.
Keine strafrechtlichen Folgen – aber viele offene Fragen
Nach dem Unglück prüften französische und deutsche Behörden mögliche Versäumnisse. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf kam jedoch zu dem Schluss, dass keine Person oder Institution strafrechtlich verantwortlich gemacht werden könne. Weder die Ärztinnen und Ärzte noch die Lufthansa oder ihr flugmedizinischer Dienst hätten rechtlich falsch gehandelt.
Einige Angehörige der Opfer klagten zivilrechtlich gegen das Luftfahrtbundesamt. Eine Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus.
Neue Vorschriften sollen Wiederholung verhindern
Trotz fehlender strafrechtlicher Konsequenzen zog die Luftfahrtbranche Konsequenzen. Die psychische Gesundheit von Pilotinnen und Piloten rückte stärker in den Fokus – sowohl bei medizinischen Untersuchungen als auch bei Unterstützungsangeboten. Das Ziel: Frühzeitiges Erkennen von Problemen und Vermeidung eines zweiten Falles wie Lubitz.
Frank Blanken, Sprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), erklärte dazu:
„Jedes System kann mit einer gewissen negativen Energie ausgehebelt werden. Ein zweiter Fall Lubitz ist so aber aus meiner Sicht sehr unwahrscheinlich.“
Flugmedizinische Datenbank gegen Ärzte-Hopping
Eine zentrale Maßnahme war die Einführung einer flugmedizinischen Datenbank. Seit 2016 müssen sich Pilotinnen und Piloten bei bestimmten medizinischen Untersuchungen registrieren lassen. So haben Fliegerärzte Zugriff auf relevante Vorerkrankungen. Ziel ist es, das sogenannte Ärzte-Hopping zu unterbinden. Dieses Vorgehen soll verhindern, dass erkrankte Personen unterschiedliche Diagnosen oder Behandlungen verschleiern.
Lufthansa verschärft Anforderungen
Die Lufthansa verschärfte in Absprache mit Arbeitnehmervertretungen ihre internen Regeln. Wer länger als drei Wochen krankgeschrieben ist, muss ein neues Tauglichkeitszeugnis vorlegen. Diese Regel geht über die gesetzlichen Vorgaben hinaus und soll sicherstellen, dass nur gesunde Personen im Cockpit sitzen.
Kontrollen auf Alkohol, Drogen und Medikamente
Seit 2016 gibt es verdachtsunabhängige Kontrollen des Flugpersonals auf Alkohol, Drogen und bestimmte Medikamente. Diese Tests erfolgen stichprobenartig – direkt vor Flugantritt und unter ärztlicher Aufsicht. Das Luftfahrtbundesamt überprüft, ob die Airlines ihrer Kontrollpflicht nachkommen. Seit 2020 gelten diese Vorschriften europaweit.
Mehr Fragen zur Psyche – keine Tests
Die europäische Luftsicherheitsbehörde EASA hat ihre Richtlinien angepasst. Bei den jährlichen flugmedizinischen Untersuchungen müssen Fliegerärzte nun gezielter nach psychischen Problemen fragen. Auf standardisierte Tests wird jedoch verzichtet – aus Sorge, dass Betroffene falsche Angaben machen könnten.
Hilfsangebote für belastete Piloten
Airlines sind verpflichtet, niedrigschwellige Unterstützungsangebote für das Flugpersonal bereitzuhalten. Das Ziel: Pilotinnen und Piloten mit psychischen Problemen frühzeitig Hilfe anbieten, bevor die Situation eskaliert.
„Wenn sich belastete Kollegen nicht melden, wird es nur schlimmer“, sagt Anja Granvogl, Sicherheitsexpertin der VC. „Aber sie brauchen auch eine klare Perspektive, dass sie schnell zurückkehren können, wenn sie gesund sind.“
Ein Beispiel ist das Programm „AntiSkid“. Es wurde ursprünglich zur Unterstützung bei Suchtproblemen eingerichtet und später auf psychische Belastungen ausgeweitet. Hier können sich Betroffene anonym an Kolleginnen und Kollegen wenden. Laut Psychologe Gerhard Bühringer werden jährlich bis zu 120 Pilotinnen und Piloten betreut. Etwa 90 % erhalten ihre volle Flugtauglichkeit zurück. Kritik gibt es jedoch an den langen Bearbeitungszeiten durch das Luftfahrtbundesamt.
Zwei-Personen-Regel wieder aufgehoben
Nach dem Absturz wurde schnell eine neue Regel eingeführt: Zu jeder Zeit sollten zwei Personen im Cockpit sein. Ziel war es, einen Alleingang wie bei Lubitz zu verhindern. Doch die Maßnahme wurde später wieder zurückgenommen. Der Grund: Die gepanzerte Cockpittür musste häufiger geöffnet werden, was neue Risiken schuf. Branchenverband und Verkehrsministerium entschieden sich deshalb gemeinsam gegen die Regel.
Schweigepflicht der Fliegerärzte bleibt bestehen
Ein umstrittenes Thema bleibt die ärztliche Schweigepflicht. Die französische Untersuchungsbehörde BEA hatte empfohlen, diese aufzuweichen. In Deutschland blieb sie jedoch unangetastet. Fliegerärzte dürfen weiterhin keine Informationen an Arbeitgeber weitergeben – selbst bei schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Die Verantwortung für die Flugtauglichkeit liegt somit weiterhin bei den Pilotinnen und Piloten selbst.
Finanzielle Absicherung bei Fluguntauglichkeit
Ein weiteres Problem: Viele Pilotinnen und Piloten sorgen sich vor finanziellen Einbußen, wenn sie wegen psychischer Erkrankungen nicht mehr fliegen dürfen. Zwar gibt es tarifliche Absicherungen, doch nach Einschätzung der VC sind diese nicht mehr zeitgemäß. Viele setzen daher auf private Versicherungen oder schaffen sich ein zweites berufliches Standbein, etwa durch ein Studium. Denn ein fluguntauglicher Pilot hat es schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. (mit dpa)
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