Indiens Automarkt auf der Überholspur
Der indische Subkontinent wird für europäische Automobilhersteller immer attraktiver. Vor allem der Volkswagen-Konzern geht jetzt in die Vollen.
Indien wird für europäische Automobilhersteller zunehmend attraktiv. Steven Peters, Leiter des Fachgebiets Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität Darmstadt, etwa sagt: „Ich setze große Hoffnung auf Indien, um uns auch marktseitig etwas mehr zu differenzieren und zu diversifizieren.“ Indien sei jetzt im Kommen.
China dominiert den globalen Automobilmarkt in Sachen Elektromobilität, nicht nur bei der Herstellung und dem Recycling von Batterien. Den chinesischen Markt versorgt es mit Fahrzeugen aus heimischer Produktion. Die europäischen Hersteller drohen ins Hintertreffen zu geraten. Diese Entwicklung sei, so Peters, „ein heilsamer Schock für unsere Industrie“. Für ihn steht fest: „Wir müssen uns vom chinesischen Markt emanzipieren, sonst sind die Risiken einfach zu groß.“
Wachstumsmarkt Indien
Indien verzeichnete in den vergangenen Jahren ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 6 % bis 7 % pro Jahr – dieser Trend soll sich fortsetzen. Die wachsende Mittelschicht und eine junge, zunehmend wohlhabende Bevölkerung treiben die Nachfrage nach Konsumgütern an. Mit gut 1,4 Mrd. Einwohnern ist Indien seit 2023 das bevölkerungsreichste Land der Erde.
In seinem Ökonomie-Podcast bto bricht der Ökonom Daniel Stelter für Indien eine Lanze: „Aus Sicht hiesiger Unternehmen ist Indien zweifellos eine große Chance – als Produktionsstandort, als Absatzmarkt, aber auch als Quelle qualifizierter Arbeitnehmer.“ Indien sei aber auch eine „Chance für Deutschland“ – so sei es unter „geopolitischen Gesichtspunkten für Deutschland und die EU entscheidend, dass Indien die Entwicklung gelingt. Schließlich ist es die größte Demokratie der Welt.“
Die Zahlen sind jedenfalls vielversprechend: Rund 15 Mio. Pkw bevölkern dort die Straßen. Die Neuzulassungen lagen für das Jahr 2023 inzwischen bei 4,1 Mio. Im ersten Halbjahr 2024 wurden auf dem indischen Pkw-Markt mit 2,2 Mio. Pkw so viele Fahrzeuge verkauft wie noch nie zuvor in einem Halbjahr – das Plus lag bei 7 %.
Die indische Regierung hat in den vergangenen Jahren große Investitionen in Straßen, Häfen, Flughäfen und Logistiknetze unternommen. Sie hat spezielle Wirtschaftszonen (Special Economic Zones, SEZs) und industrielle Korridore entwickelt, die Unternehmen dazu ermutigen sollen, Produktionsstätten zu errichten. In der Automobilbranche will die indische Regierung bis 2026 rund 65 Mio. Arbeitsplätze schaffen – die Löhne in der indischen Fertigungsindustrie sind im Schnitt deutlich niedriger als in China.
Aktuell ist Indien der viertgrößte Automobilmarkt der Welt. Bis 2030 soll Indien, so das Beratungsunternehmen IndiaConnected, auf Platz drei aufsteigen. Die indische Automobilindustrie macht etwa 7 % des dortigen Bruttoinlandprodukts aus. Steven Peters sagt dazu: „Das BIP ist in Indien regional natürlich sehr unterschiedlich und der gesamte Markt für Premiumfahrzeuge noch recht klein, aber sehr stark wachsend.“
Indien wird für deutsche Automobilindustrie attraktiv
Premierminister Narendra Modi hat mehrere Initiativen gestartet, darunter den „Automotive Mission Plan 2016–2026“, der 100 % ausländische Direktinvestitionen in der Branche erlaubt. Die chinesische Regierung hingegen führte in den letzten Jahren eine striktere Kontrolle und umfassende Vorschriften für ausländische Firmen ein. Das zeigt Wirkung: Volkswagen-Tochter Škoda setzt laut dem chinesischen Fachportal 36kr Auto in China auf „strategische Schrumpfung“. Die Produktion des Škoda Fabia bei Shanghai wurde bereits eingestellt. „China Light“ soll es bei Škoda nun heißen. Dagegen werde nun der verstärkte Einstieg in Indien vorbereitet. „Indien ist der neue Place to be“, sagte Christan Cahn von Seelen gegenüber Automobil-Produktion.de. Er ist Marketing- und Vertriebschef für die VW-Gruppe in Indien. Er sieht den Subkontinent sogar als „Gravitationszentrum für die gesamte Gruppe“.
Innerhalb des Volkswagen-Konzerns ist Škoda für den indischen Markt zuständig. Das Unternehmen kommt mit seiner Tochter Škoda Auto Volkswagen India dort bislang auf einen Marktanteil von 1,3 %. Das soll sich bald ändern: Ab 2025 will VW einen günstigen E-SUV in Indien einführen. VW will außerdem Elektroauto-Komponenten an den indischen Hersteller Mahindra liefern. Schließlich soll VW in Verhandlungen mit dem indischen JSW-Konzern stehen, um ein Gemeinschaftsunternehmen für die Produktion von Elektroautos zu gründen. BMWs Einstieg in Indien soll sich trotz des kleinen Premiummarkts bereits gelohnt haben: So trug der Subkontinent im ersten Halbjahr 2024 zwar nur mit knapp über 7000 Einheiten zum weltweiten Absatz bei, zeigte aber dabei mit 21 % ein starkes Wachstum im Vergleich zum Vorjahr.
Auch die Automobilzulieferer zieht es nach Indien. ZF hat Anfang 2024 in Oragadam seine inzwischen 19. Produktionsstätte eröffnet. Im Frühjahr ging die Zimmer Group, die sich auf Dämpfungssysteme spezialisiert hat, in der Nähe von Pune mit einem neuen Werk an den Start. Das Paderborner dSpace hat in Trivandrum einen Software-Entwicklungsstandort eröffnet.
Deutsche Hersteller und Zulieferer sind laut dem Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) mittlerweile an über 100 Standorten und Produktionsstätten in Indien vertreten. Sie erhoffen sich neue Absatzpotenziale in Indien. Der VDA pflegt seit einigen Jahren mit Indien insbesondere einen Wissenstransfer im Bereich Elektromobilität. Die indische Bürokratie macht dem Spitzenverband dagegen etwas Sorgen. Er berichtet über „ein Wirrwarr an Kompetenzen und Erlässen“ seitens verschiedener Ministerien, die Vorschriften für die Automobilindustrie erlassen.
Heimische und japanische Hersteller dominieren Indiens Automobilmarkt
Wie in China ist auch in Indien Elektromobilität Trumpf: Indien will den Anteil von Elektrofahrzeugen an den Neuzulassungen mit Subventionen und Steuererleichterungen bis 2030 im Pkw-Bereich auf 30 % erhöhen. Für Lkw und Busse liegt die Latte bei 70 %, bei Zwei- und Dreirädern sogar bei 80 %. Das schlägt sich bereits auf der Produktionsseite nieder: Der indische Hersteller Ola Electric bietet mit dem Ola Rodster X einen Elektroroller mit 15 PS bereits ab 800 € an.
Europäische Hersteller müssen jedenfalls mit harter Konkurrenz durch lokale und japanische Unternehmen rechnen. Insbesondere die japanischen Autobauer Suzuki und Honda haben sich mit großen Produktionsstätten auf dem indischen Markt seit Langem etabliert. Doch der riesige Wachstumsmarkt Indien bietet genug Potenzial für weitere Hersteller.
Ein Beitrag von: