Innovatives Design für den Schiffbau der Zukunft
Stürmische See oder offene Ozeane? Der künftige Kurs der internationalen Handelsschifffahrt ist ungewiss. Experten entwickeln bereits Szenarien und Technologien für die maritime Wirtschaft der Zukunft.
Wenn Andrea Hernandez in die Zukunft blickt, sieht sie nicht nur Schiffe, die Fracht über die Meere transportieren. Sie denkt an Schiffe, die mitten im Ozean verankert sind und Algen ernten – Grundlage für Biokraftstoffe, die den Energiebedarf der dann fast zehn Milliarden Menschen decken sollen.
„Das wäre zumindest ein Beispiel dafür, wie die Weltmeere in den nächsten Jahrzehnten friedlich genutzt werden können, wenn der freie Zugang für jede Nation gewährleistet ist“, so Hernandez, im finnischen Technologiekonzern Wärtsilä für Zukunftsfragen zuständig.
Es sind allerdings auch andere Szenarien vorstellbar: Schwer bewaffnete Kriegsschiffe sichern schwimmende Wasserwerke, die mithilfe von Windenergie Ozeanwasser zu Trinkwasser verwandeln – dem in naher Zukunft wohl teuersten Gut der Welt.
Möglicherweise durchpflügen auch 400 m lange Containerschiffe die Weltmeere. Sie tragen 1000 oder mehr sogenannter Megaboxen, die in ihrem Volumen jeweils mehr als einem Dutzend heutiger Container entsprechen. Auffallend an diesen Frachtern wäre neben ihrer Größe und dem fließbandartigen Schnell-Ladesystem vor allem ihre Flagge: Fast alle Schiffe dieses Typs könnten unter der roten Fahne der Volksrepublik China fahren, die wohl irgendwann ab 2030 die Weltmeere beherrschen wird.
Open Oceans, Rough Seas, Yellow River – das sind die drei Szenarien, die die Wärtsilä-Experten rund um Andrea Hernandez für die Entwicklung der Schifffahrt in den kommenden 30 Jahren entworfen haben. Anlass ihrer Überlegungen waren die Weltwirtschaftskrise und das schockartige Erlebnis, wie schnell die Weltschifffahrt aus voller Fahrt fast zum vollständigen Stillstand gekommen war. „Wir wollten einfach wissen“, so Hernandez, „welche Technologien in Zukunft gefragt sein könnten.“
Solchen Fragen geht auch der aktuelle Bericht der Forschungsabteilung der Schiffsklassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) nach. „Bestandteile technischer Lösungen“, so Frank Hensel, Technical Support Manager für Containerschiffe bei DNV Germany, „sind neue Schiffskörperformen, unterschiedliche brennstoffsparende Antriebskonzepte, Abgasbehandlung, Ballastwassertreatment, alternative Brennstoffe und intelligente Cargosysteme.“
Glücksfall „Open Oceans“ ist fraglich
Doch die Entwicklungsrichtung ist abhängig von unterschiedlichsten Rahmenbedingungen. Hernandez und ihre Forscherkollegen legten für ihre Zukunftsszenarien deshalb einige zentrale Parameter zugrunde: Wachstum von Wirtschaft und Welthandel, Bedeutung von Klima- und Umweltschutz sowie die Entwicklung von Ressourcen wie Erdöl oder Wasser und mögliche Hegemonie-Bestrebungen einzelner Regionen wie China und Europa.
Im glücklichsten Fall der „Open Oceans“ ist der Umwelt- und Ressourcenschutz ein hohes Gut in einer Welt, die vom freien Handel bestimmt ist. Die Versorgung der wachsenden Bevölkerung – die zu 80 % in großen Städten in Küstennähe lebt – erfordert neue Schiffe für neue Aufgaben, so Hernandez.
Eine Idee wäre das 100 m lange Spezialschiff, das mitten im Ozean mit langen Saugarmen Algen aus dem Meerwasser filtert und an Land bringen lässt, wo die Algen zu Biosprit verarbeitet werden. Das Schiff operiert vollautomatisch und ohne Besatzung. Angetrieben wird es mit Strom, der in Brennstoffzellen oder in Biogasreaktoren hergestellt wird.
Doch wie wahrscheinlich das Szenario eines freien Zugangs zum Meer bleibt, darüber mag Hernandez nicht spekulieren. Dass die Volksrepublik China derzeit mit aller Macht ihre Schiffbauindustrie vorantreibt und in großer Zahl Massengutschiffe für den Erztransport aus Afrika bauen lässt, könnte das Szenario „Yellow River“ Realität werden lassen.
Ab 2020 ist China nach dieser Einschätzung die weltweit führende Handelsnation. Riesige Containerschiffe symbolisieren in den Wärtsilä-Szenarien diese Entwicklung. Eine extrem lange Wasserlinie und gewaltige Schiffsantriebe, die möglicherweise auf Atomkraft setzen, verleihen den mehr als 400 m langen Riesen hohe Geschwindigkeiten.
Es gibt aber noch irritierendere Szenarien als das „Yellow River-Modell“. Im Szenario „Rough Seas“ werden wirtschaftliche Interessen zunehmend mit militärischer Gewalt durchgesetzt und sauberes Trinkwasser zum knappen Gut.
Das Wassertransportschiff, das die Wärtsilä-Designer symbolhaft für dieses Szenario entworfen haben, birgt die meisten technischen Erneuerungen. Die Energie für die Meerwasseraufbereitung gewinnt das Schiff über optimierte Flettner-Rotoren aus dem Seewind der Schiffsantrieb besteht aus einem Vielstoff-Motor, der auch mit Flüssiggas betrieben werden kann. Luftpolster unter dem Schiffsrumpf reduzieren den Reibungswiderstand, die Aufbauten sind stromlinienförmig. Nach der Studie der norwegischen DNV könnte eine solche Technologie beim Treibstoff Einsparungen von bis zu 10 % bringen.
Das Zukunftsthema für Schiffsdesigner ist der Energieverbrauch
Derartige Anstrengungen, den Energieverbrauch von Schiffen und damit gleichzeitig auch die Umweltbelastungen zu senken, ziehen sich mehr oder weniger ausgeprägt durch alle drei Szenarien: „Unabhängig von der Entwicklung der übrigen Rahmenbedingungen gehört der Energieverbrauch zu den wichtigsten kommenden Aufgaben für die Schiffsdesigner“, so Hernandez.
„Innovative Schiffsdesigns sind gefragt“, ergänzt auch Hensel. In den Zukunftsszenarien der norwegischen DNV spielen deshalb neue Motoren- und Antriebskonzepte, die Nutzung von Wind, Sonnenenergie und Biosprit als Treibstoff und optimierte Rumpfformen eine entscheidende Rolle. Angesichts immer strengerer Auflagen zur Reduzierung der Schwefel- und Stickoxid-Emissionen rechnen die Norweger ab 2020 damit, dass zunehmend elektrische Antriebssysteme oder erdgasbetriebene Motoren auf Schiffen eingesetzt werden.
Noch sehen die Norweger allerdings wesentliche Probleme: Alle alternativen Systeme sind aus heutiger Perspektive extrem teuer, brauchen viel Platz, haben eine zu geringe Lebensdauer und liefern nicht die erforderliche Leistung.
Zudem sehen die Norweger einen neuen Schiffstyp am Horizont: Das „Arctic Ship“ soll die bereits in wenigen Jahren weitgehend eisfreien Gewässer rund um den Nordpol passieren können. Weil es dennoch im Norden sehr kalt bleiben wird, unterscheiden sich diese Schiffe von herkömmlichen Frachtern durch spezielle Rettungssysteme aus einer Kombination von Rettungsboot und Kettenfahrzeug sowie ausgeklügelte Elektronik für die Navigation in der Nähe des Nordpols.
Aktuell aber ist der Brennstoff-Verbrauch eines der wichtigsten Themen für Reeder, sagt Dr.-Ing. Uwe Hollenbach, der an der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt (HSVA) den Bereich Schiffsantrieb leitet. Seit geraumer Zeit beobachtet er ein Umdenken unter Reedern: „In den vergangenen 20 Jahren wurden Schiffe immer auf den sogenannten Vertragspunkt, eine bestimmte Geschwindigkeit bei einem bestimmten Tiefgang, optimiert. Heute geht es eher darum, wie die Schiffe unter verschiedenen Bedingungen am wirtschaftlichsten gefahren werden können.“
Ein Augenmerk richten die Hamburger Schiffbauexperten dabei darauf, den Widerstand durch die Optimierung der Schiffsform zu minimieren. Reibungsärmere Schiffsanstriche, etwa nach dem Vorbild der Haihaut, könnten dazu beitragen weitere Überlegungen konzentrieren sich darauf, Luftblasen am Rumpf oder Luftkammern unter dem Schiff zur Minimierung des Widerstandes zu nutzen.
Der Sonnenantrieb für Schiffe steckt noch in den Kinderschuhen
Flexiblere Antriebskonzepte stehen ebenfalls auf dem Programm: Die klassische Hauptmaschine, die nur in einem begrenzten Leistungsbereich arbeiten kann, ist passé. Moderne Motoren dürfen in einem Bereich zwischen 10 % und 100 % der Nennleistung betrieben werden. Doch die Nutzung alternativer Energien für den Schiffsantrieb werde wohl erst ein Thema, „wenn kein Erdöl mehr da ist“, vermutet Hollenbach. Und wenn der Wind die Schiffe treiben soll, „werden wir wohl wieder kleinere Schiffe bekommen wie zum Ende des 19. Jahrhunderts“. 400-m-Riesen unter Segeln scheinen nicht praktikabel.
Allerdings bietet die Nutzung der Windkraft noch Verbesserungspotenzial: Im vergangenen Jahr umrundete ein Hightech-Segel-Trimaran die Erde in nur 48 Tagen, nur wenige Jahre zuvor lag der Weltrekord noch bei 90 Tagen.
Mittlerweile entwächst auch der Sonnenantrieb den Kinderschuhen. Derzeit umrundet das in Kiel gebaute Solarboot „Planet Solar“ die Welt, 140 Tage sind für die Reise vorgesehen. „Da ist sicherlich noch viel zu optimieren“, meint Hollenbach, „am Ende könnten sich Wind- und Solarenergie sinnvoll ergänzen.“ Für den Hamburger Ingenieur ist dies allerdings Zukunftsmusik mit seinen Kollegen konzentriert er seine Überlegungen auf das heute Machbare: „Was wir heute entwickeln, wird in zwei Jahren gebaut.“
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