Intralogistik schiebt Elektromobilität an
Auf der Hannover Messe 2012 wird Elektromobilität ein Kernthema sein. Denn viele Branchen rechnen sich in dem Zukunftsmarkt gute Chancen aus. Neben der Automobilbranche, dem Maschinenbau und der Energiewirtschaft trägt auch die Intralogistik verstärkt zum Erfolg bei.
Für Wolfram von Fritsch, Vorstandschef der Deutschen Messe AG, ist klar: „Der Schlüssel zum Erfolg der Elektromobilität liegt in branchen- und unternehmensübergreifender Kooperation.“ Das sieht Henning Kagermann ebenso. Er ist Lenkungskreis-Vorsitzender der „Nationalen Plattform Elektromobilität“, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, in dem Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen vertreten sind. Und weil er Fritsch auch darin zustimmt, dass die Hannover Messe ein ideales Umfeld zur Vernetzung ist, übernimmt er erneut die Schirmherrschaft der Teilmesse MobiliTec auf der Hannover Messe 2012. Das teilten beide vergangene Woche auf der Vorpressekonferenz zur MobiliTec in Berlin mit.
Mit Fritsch und Kagermann saß Maik Manthey, Bereichschef Elektronische Systeme und Antriebe bei Linde Materials Handling (Linde MH), Aschaffenburg, auf dem Podium. Linde MH war als Hersteller von Gabelstaplern zuletzt federführend an der Entwicklung eines Elektroautos beteiligt.
Linde MH mit 100.000 Flurförderzeugen pro Jahr führend in der Intralogistik
Mantheys Arbeitgeber fertigt über 100 000 Flurförderzeuge pro Jahr. „Drei Viertel davon fahren elektrisch“, berichtete er. Die Anfänge der Elektromobilität reichen bei der Kion-Tochter rund 40 Jahre zurück. Seither entwickelt und produziert das Unternehmen Elektromotoren, Umrichter und Steuerungen, Achsen, Servoantriebe und Sensoren. „Das ist die DNA eines jeden Elektrofahrzeugs“, sagte er, „an verschiedenste Fahrzeuge adaptierbar und millionenfach erprobt.“ Jährlich produziere man 400 000 E-Motoren von 1 kW bis 45 kW. Auch bauraumoptimierte Leistungselektroniken seien in seiner Branche längst verfügbar. „Die Grundlagentechnologien für Elektromobilität sind hierzulande schon da“, so Manthey.
Doch es gibt Unterschiede zur Automobilindustrie. Neben den Fahrprofilen unterscheiden sich die favorisierten Spannungsbereiche: Während Pkw-Bauer auf Hochvoltsysteme (400 V bis 800 V) schwören, arbeiten Intralogistiker meist weit unterhalb 200 V. Dennoch sieht Manthey vor allem Gemeinsamkeiten: Wo sich installierte Antriebsleistung und Fahrzeuggewichte ähneln, sei Technik übertragbar. So hat Linde MH auf Basis seiner Gabelstaplertechnik mit der Firma Zwiehoff eine kleine Elektro-Draisine entwickelt, die mit zwei Stapler-Antriebsachsen, Standardbatterien und serienmäßigen Umrichtern 200 t schwere Lokomotiven und Güterwaggons auf Schienen oder auf Asphalt rangieren kann.
Intralogistik: Elektrombilität hat in der Gabelstaplertechnik bereits Tradition
Wichtigste Veränderung der Serientechnik: Die Ingenieure haben die Steuerung neu programmiert und an die Extrembelastung des Zwergs appliziert. Dank automatischer Traktionskontrolle drehen die Räder beim Anziehen der enormen Massen nicht durch. Außerdem erzeugen die Achsmotoren beim Bremsen Strom. Und da kleine Motoren (je zwei Asynchron-Maschinen à 4,5 kW pro Achse, 48 V) im Einsatz sind, wird beim Anfahren geboostet. „Die Motoren werden kurz um Faktor zwei bis drei übersteuert. Das vertragen sie, solange man es zeitlich nicht übertreibt“, so Manthey. Diese Auslegung setze aber tiefes Systemverständnis und Erfahrung mit den Komponenten voraus.
Seit 2010 vermarktet Linde MH das Knowhow auch extern. Gerade in der Landtechnik kommt das gut an. Die Branche setzt einerseits auf Elektroantriebe, weil deren exakte Steuerbarkeit präziseres Ausbringen von Dünger, Pflanzenschutz oder Saatgut erlaubt. Zum anderen muss sie anziehende Abgasgrenzwerte erfüllen und ihre Kunden kalkulieren Kraftstoffkosten mittlerweile mit spitzem Stift. Darum gehen die Hersteller wie die Kollegen aus der Automobilindustrie dazu über, Nebenantriebe von Traktor, Mähdrescher & Co. zu elektrifizieren. Ihre Klimaanlagen, Lüfter, Kompressoren oder Hydraulikpumpen konsequent auf Stromantrieb umzustellen, lohnt sich: Der Leistungsbedarf der Verbrennungsmotoren von Traktoren sinkt dadurch laut Manthey um bis zu 25 kW.
Landtechnik-, Baumaschinen- und Spezialfahrzeughersteller schwenken auf Elektromobilität um
Während Landtechnik-, Baumaschinen- und Spezialfahrzeughersteller den vielfach beschworenen branchenübergreifenden Aufbruch zur Elektromobilität umsetzen, gibt sich die Automobilindustrie bisher reserviert. Gesteigertes Interesse am Erfahrungsschatz der Intralogistiker vermag Manthey bisher auf jeden Fall nicht zu erkennen. Allein der Hamburger Nischenhersteller Karabag kam auf Linde MH zu, um eine Elektroversion des Fiat 500 zu entwickeln. Ganze neun Monate hat es danach gedauert, den 29 000 € teuren Elektroflitzer auf die Räder zu stellen.
Vom ursprünglichen Antriebskonzept blieb wenig übrig. Karabag hatte eine wassergekühlte 30-kW-Maschine ins Auge gefasst, die aus einer 22-kWh-Batterie gespeist ohne Nachladen 140 km weit fahren sollte. Realisiert wurde der New500E mit einem nicht gekühlten, viel leichteren 16,3-kW-Elektromotor, der laut Manthey dank optimierter Steuerung bessere Beschleunigungswerte aufweist als der stärkere Motor. Vor allem erlaubte es der abgespeckte Motor, die Kapazität der Batterie auf 11 kWh zu halbieren dennoch liegt die Reichweite immer noch im dreistelligen km-Bereich. Bei Marktpreisen von bis zu 800 €/kWh Batterie ein enormer Kostenvorteil – abgesehen von eingespartem Gewicht.
Auf Anraten der Linde-Experten arbeitet der Antrieb wegen der stabileren Ströme, des geringeren Aufwands beim Abschirmen benachbarter Komponenten und der simpleren Ladetechnik bei 125 V. Motor, Umrichter und Steuerungselektronik sind sämtlich erprobte Serientechnik aus Elektrostaplern. Damit sie den New500E effizient und zuverlässig antreiben, haben die Entwickler E-Motor und Umrichter anhand von sieben Kennlinien aufeinander abgestimmt. Für sie war das reine Routine. Einzig bei den Parametern mussten sie umdenken: 50 km/h Durchschnittstempo und 105 km/h Höchstgeschwindigkeit sind in Fabriken eher unüblich. „Letztlich geht es bei der Auslegung jedes Elektroantriebs darum, das Potenzial auszureizen, ohne Systemkomponenten zu überlasten“, resümierte Manthey. Das in vier Jahrzehnten gereifte Know-how helfe dabei ungemein.
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