Künstliche Intelligenz im Elektroauto der Zukunft
Das Auto der Zukunft wird gesteuert von künstlicher Intelligenz, ist wandlungsfähig, fährt selbstständig zur E-Tankstelle und koppelt sich für längere Strecken automatisch mit anderen zum Road-Train zusammen. Ein erstes Exemplar rollt in Bremen.
Wenn Timo Birnschein sein Vehikel einparkt, drückt er eine Taste seines Notebooks auf dem Beifahrersitz. Sensoren messen die Länge der Parklücke wie von Geisterhand bewegt sich das kleine Lenkrad am spartanisch bestückten Armaturenbrett. Die vier Räder drehen sich jeweils um bis zu 90 Grad – und schwups rollt das „EO Smart connecting car“ genannte Fahrzeug in die Lücke, die nur wenige Zentimeter länger ist als das Fahrzeug selbst. Gleichzeitig fährt die kantige, blaue Kanzel des Kleinwagens mit Birnschein gut einen halben Meter nach oben, was ihm einen guten Überblick im Großstadtdschungel sichert. Und damit er auch in ganz engen Parklücken aus dem Fahrzeug aussteigen kann, lassen sich die Türen eng zusammengefaltet nach oben wegklappen. „Aber eigentlich sind das alles nur Äußerlichkeiten“, lacht Birnschein, der als Informatiker am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) an der Universität Bremen arbeitet und mit einem Team von fast einem Dutzend Kollegen die Entwicklung des „EO“ leitet.
Bremer Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz entwickelt Elektroauto „EO“
Die wahren Werte und Möglichkeiten des kleinen Elektrofahrzeuges liegen in seinem Inneren. Im Lateinischen steht „EO“ für „Ich gehe“, am DFKI könnte die Übersetzung lauten: „Was geht? Was ist machbar?“ Denn die Bremer Robotik-Experten erforschen mithilfe dieses Kleinwagens, welche Fähigkeiten das (Elektro) Auto der Zukunft haben muss – und welche es haben könnte.
Das Auto der Zukunft hat viele Gesichter. Alle großen Hersteller forschen und experimentieren zurzeit an alternativen Antriebskonzepten wie reinen Elektroautos, Hybridsystemen oder Brennstoffzellen, die zum Teil schon auf der Straße sind, zum Teil erst in den kommenden Jahren auf die Straße rollen sollen.
An der RWTH Aachen haben Wissenschaftler und Ingenieure mit dem „StreetScooter“ ein „erschwingliches Elektromobil“ entwickelt, das eines Tages zum Preis von 10 000 € zu kaufen sein soll. An der TU München tüfteln Forscher an Leichtbaukonzepten für Carbon-Karossen und Wissenschaftler der „autonomos-labs“ an der FU Berlin haben einen handelsüblichen Kombi so mit Elektronik vollgestopft, dass sich das Fahrzeug völlig selbstständig durch den Straßenverkehr der Hauptstadt wühlen kann. Andere Forschungseinrichtungen wie die Uni Münster nehmen sich einzelne Aspekte – wie zukünftige Batteriesysteme – vor.
All diese Projekte betrachten Elemente des Fahrens und liefern am Ende eine Fortschreibung des bisherigen Systems Auto.
Der Ansatz in Bremen ist anders. Wie ihre Kollegen in Aachen, Berlin oder München beteiligen sich die Bremer Wissenschaftler zwar auch am Schwerpunktprogramm „Elektromobilität“ der Bundesregierung aber obwohl die Bremer Forscher ein eigenes Fahrzeug entwickelt haben, interessiert sie die eigentliche Autotechnik weniger: „Als Robotiker beschäftigen wir uns mit dem Zusammenspiel von Hard- und Software sowie mit dem Energiemanagement“, sagt Frank Kirchner, Chef des Robotics Innovation Center und Leiter des DFKI-Projektes „Neue Mobilität im ländlichen Raum“, zu dem auch die Entwicklung des „EO“ zählt. Und wenn sich Experten für künstliche Intelligenz wie die Bremer des Systems Auto annehmen, „kommt dabei mit Sicherheit kein klassisches Fahrzeug heraus, sondern vielmehr ein modulares System, das sich seinem jeweiligen Einsatzzweck anpassen lässt“, sagt Kirchner.
So ähnelt der „EO“ auch nur einer abgespeckten Version jener Kleinwagen, die sich vornehmlich in Großstädten in winzige Parklücken quetschen. Angetrieben wird das Fahrzeug von vier elektrischen Radnabenmotoren mit einer Einzelleistung von 4 kW. „Die“, so Birnschein pragmatisch, „haben wir aus Elektrorollern ausgebaut.“ Jedes der vier Räder ist einzeln aufgehängt und kann von jeweils vier Langhub-Linearantrieben gehoben, gesenkt und um insgesamt 90 Grad gedreht werden. Die Fahrgastzelle hat zwei Sitze und begrenzten Stauraum, doch über eine spezielle Kupplung am Heck wird sich der „EO“ demnächst durch modulare Elemente zu Familienkutsche oder Lastenesel ausbauen lassen.
Diese technischen Details machen den „EO“ zu einem flexiblen Fahrzeug, das sich jeder Anforderung anpassen und zudem dank seiner beweglichen Räder sogar auf der Stelle drehen kann.
Doch diese Features sind nur erste Schritte auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: „Wir suchen die intelligente Alternative zu heutigen Fahrzeugsystemen, die die jeweiligen Vorteile von Individualverkehr und Massenverkehrsmitteln miteinander verknüpfen“, sagt Kirchner.
Elektroauto „EO“ soll mit Hilfe von Sensoren selbstständig fahren lernen
Mit dem Demonstrator, der derzeit über das Institutsgelände am Rande der Bremer Uni rollt, erproben Birnschein und seine DFKI-Kollegen einzelne Komponenten für das künftige System. Die selbst entwickelte Hardware ist ein erstes praktisches Beispiel für die komplexen Systeme, die noch auf dem Programm der Bremer Forscher stehen. Die praktische Erprobung soll Antworten auf theoriegetriebene Fragestellungen geben. Wie funktioniert eine sensorgestützte Steuerung des Fahrzeuges? Welche Anforderungen müssen an ein effizientes Energiemanagement gestellt werden? Wie komplex ist ein System überhaupt, das vielfältigen Anforderungen gerecht werden und dann im Zweifelsfall auch noch selbstdenkend und -lenkend sein muss? Wie muss die Fahrzeugtechnik ausgelegt sein, um mehrere „EOs“ zu einem „Road-Train“ zu verbinden?
Denn die Bremer haben eine ambitionierte Vision: Der „EO“ soll nicht nur ein besonders wendiger, elektrisch betriebener Kleinwagen für den Stadtverkehr, sondern Basismodul für ein ganzes Verkehrssystem sein. Dieses Verkehrssystem soll die jeweiligen Vorteile von Individualverkehr und Massenverkehrsmittel verbinden.
Dabei ist der Name „smart connecting car“ Programm: So sucht sich der „EO“ für die Mittel- und Langstrecke automatisch Partner, mit denen er sich zu Road-Trains zusammenschließt. Gleichzeitig werden die Batterien der einzelnen Komponentenfahrzeuge so zusammengeschaltet, dass die elektrische Energie möglichst effizient genutzt wird. Und schließlich soll jeder Einzel-„EO“ am Ende der Reise selbstständig die nächste freie Stromtankstelle finden, an der er seine Batterie mittels Induktion steckerlos aufladen kann.
Auch wenn das Fahrzeug und seine Komponenten im Vordergrund des Projektes stehen – für Kirchner geht es bei dem Vorhaben um weit mehr. „Für die Mobilität der Zukunft müssen wir auch wissen, welche Anforderungen wir künftig an die Infrastruktur stellen werden“, betont der Fachmann für intelligente Systeme.
Intelligente Alternativen zum “Betanken” von Elektroautos gesucht
So müsse beispielsweise die Frage geklärt werden, wie E-Mobile künftig mit Strom versorgt werden. Aus Langzeitstudien mit gut 100 Elektroautos wissen die Bremer Forscher: „Am Anfang ist es noch selbstverständlich, das Auto nach jedem Gebrauch an die Steckdose zu hängen“, so Kirchner. Aber mit der Zeit lässt das Engagement nach, die Ladeintervalle werden immer größer. Über intelligente Alternativen zu den derzeit genutzten Stromtankstellen müsse aber schon heute nachgedacht werden: „Dann kann man im Laufe der ohnehin notwendigen Sanierungsarbeiten gleich auch die erforderlichen Stromleitungen legen.“
Genau genommen geht es den Bremer Wissenschaftlern um Birnschein und Kirchner bei ihren Untersuchungen mit dem „EO“ nicht einmal um das Auto der Zukunft: „Worüber wir nachdenken müssen, ist vielmehr die Stadt der Energiewende“, ist Kirchner überzeugt. Denn Schlagworte wie E-Mobilität und Energieeffizienz ziehen irgendwann auch technische Konsequenzen wie Verkehrsleitsysteme oder – ganz banal – andere Stromleitungen nach sich. „Es wäre unbezahlbar, wenn wir sie später auf einen Schlag finanzieren müssten“, drängt der Professor zur Eile. Ihn treibt vor allem die Überzeugung, dass bei der Suche nach neuen Konzepten für Mobilität die daraus erwachsenden Konsequenzen nicht vernachlässigt werden dürften. Zeit lassen, so Kirchner, könne man sich allenfalls bei der Gestaltung der Parkplätze, in die Autos wie der „EO“ sich dann automatisch manövrieren können.
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