McLaren blickt in die Zukunft der elektrischen Formel 1
Ein elektrischer Rennwagen, der mit dem Fahrer kommuniziert und seine Aerodynamik aktiv steuert während er über eine Rennstrecke fährt, die teilweise verglast ist. Das alles haben Entwickler von McLaren in ihre Vision der elektrischen Formel 1 im Jahr 2050 gepackt.
Wenn es irgendwann nur noch Elektroautos gibt, wird die Formel 1 nicht nur leiser sein als heute, sie wird auch gänzlich anders aussehen. Davon zumindest ist McLaren überzeugt, das eine ehrgeizige Studie im Auftrag gegeben hat. Der britische Sportwagenhersteller und Formel-1-Rennstall blickt dabei bereits weit voraus: ins Jahr 2050, wenn sich am 13. Mai der Start zum allerersten Formel-1-Rennen der Geschichte, dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone, zum hundertsten Male jährt.
Der Grand Prix der Zukunft: Streben nach dem Möglichen
Während die Formel-1-Führung mit den Rennställen darüber streitet, wie ein Formel-1-Rennwagen im übernächsten Jahr technisch ausgestattet und nach welchen Regeln dann gefahren werden soll, wirft McLaren einen Blick gut dreißig Jahre weit in die Zukunft. Die firmeneigenen Experten entwarfen für Antriebstechnik, Aerodynamik, Materialeigenschaften, Design, Datenwissenschaft und menschliche Leistungsfähigkeit ein Gesamtkonzept dessen, was sie für denkbar, möglich und erreichbar halten. Vorausgegangen war eine ausführliche und weitreichende Fanbefragung, die einen Katalog von Erwartungen, Wünschen und Technikträumen zum Ergebnis hatte. Was heute an vielen Stellen wie Science-Fiction klingt, könnte morgen schon Wirklichkeit sein.
McLaren präsentiert den elektrischen MCLExtreme
Elektrisch über Induktion geladen, 500 km/h schnell, wie ein Raubtier auf dem Sprung, instinktgesteuert – das ist die Vision. Doch es ist kein Flugzeug. Schließlich würden auch Sicherheitsüberlegungen und Umweltschutz gegen flugfähige Rennautos sprechen. Die Formel 1 der Zukunft bleibt erdverbunden. Doch der „MCLExtreme“ verfügt über vier freistehende Räder und nach Vorausschau der McLaren-Konstrukteure werden die Boliden auch im Jahr 2050 noch direkt über ihre Hinterachse angetrieben.
Dagegen will McLaren die Formel-1-Piloten stärker exponieren. Eine volltransparente Cockpithaube soll bestmöglichen Schutz bieten und den Zuschauern gleichzeitig einen ungehinderten Blick auf die Fahrer ermöglichen, wie sie in liegeähnlicher Position ihre Fahrzeuge steuern. Und nicht nur das – selbst die Emotionen werden durch Farb-LEDs für alle sichtbar über das Fahrzeugäußere signalisiert. Statt der heutigen Feuerschutzmonturen werden die Fahrer spezielle, gleichzeitig flexible und höchst widerstandsfähige g-Schutzanzüge tragen, die verhindern, dass unter Belastung das Blut in die Extremitäten schießt und so Herz und Gehirn unterversorgt bleiben.
Nichtsdestoweniger werden die aktuellen Beschleunigungskräfte von bis zu 5 g durch höhere Geschwindigkeiten, engere Kurvenradien und stärkeres Beharrungsvermögen beim Bremsen deutlich übertroffen und dadurch eine ganz neue Fahrergeneration hervorbringen, die den gestiegenen Rennanforderungen an Körperstärke und Fitness gewachsen ist.
Künstliche Intelligenz und Symbiose: die augmentierte Mensch-Maschine
Gewaltige Fortschritte erwarten die McLaren-Experten über die nächsten dreißig Jahre hinweg zum einen im Verständnis, wie ein Mensch denkt und fühlt, zum anderen im Bereich der Hardware- und Software-Entwicklung. Das soll den Einbau von intelligenten, selbstständig dazulernenden Supercomputern erlauben, die mit menschlichen Benutzern mittels eines neurologischen Links direkt verbunden werden können. Über ein holografisches Head-up-Display liefert die künstliche Intelligenz dem Fahrer dann in Realzeit Daten und Schlüsselinformationen zum Rennen, während sie über das Helminterface und den mit Sensoren ausgestatteten Rennanzug Rückmeldung zum emotionalen und körperlichen Zustand des Piloten erhält und ihr Verhalten entsprechend anpasst. Mensch und Maschine werden so zu einer Einheit.
Boliden der nächsten Generation: Formel-1-Transformer-Cars
Die Bord-KI soll durch fortgeschrittene Lernalgorithmen und die sensorische Rückkopplung das Verhalten des Fahrers antizipieren und das Gefährt weit unterhalb der menschlichen Reaktionszeiten für bevorstehende Rennvorgänge konfigurieren. Die McLaren-Konstrukteure sagen hier eine Rückkehr zur aktiv gesteuerten Aerodynamik voraus, was auf den Rennstrecken derzeit – abgesehen von DRS-Fenstern –verboten ist.
Der MCLExtreme aber setzt auf eine ständige Rundumverwandlung zur Regulierung des Luftwiderstandes durch einziehbare Seitenkästen, verstellbare Spoiler und andere variable Karosserieverkleidungsteile, um auf der Strecke Geschwindigkeit zu maximieren sowie Überholvorgänge und Bremsmanöver zu optimieren.
Formel E in 2050: Extreme Kurse mit Blackout-Zonen
Ein Großteil des Anpressdrucks wird künftig über den Unterboden generiert, die Flügel sind deutlich verkleinert. Da der Bolide über selbstreparierende Pneus verfügt, die ein Rennen lang halten, bedarf es keiner Reifenwechsel mehr. Statt des Boxenstopps gibt es eine Boxendurchfahrt, während der über eingelassene Induktionsschleifen im Boden die Fahrzeugbatterien nachgeladen werden. Dies ermöglicht strategische Optionen, denn je langsamer man fährt, desto höher sind die Konnektivität und die Laderate.
Vorgesehen sind zudem Blackout-Zonen, in denen die Fahrer von aller Kommunikation mit ihrem Rennteam und der KI abgeschnitten sind und damit ganz und gar auf ihre fahrerischen Fähigkeiten allein zurückgeworfen werden. Neue, radikalere Rennstrecken mit engeren Kurvenradien und extremen Überhöhungen sollen unzerstörbar unter Glas gelegt werden und den Zuschauern dadurch beste Sicht bieten.
Die McLaren-Fiktion: Zukunftsmusik mit Dissonanzen
Für die Überlegungen, die McLaren präsentiert, scheinen dreißig Jahre vielleicht doch ein eher geringer Zeitraum, wenn auch weniger für die Konstruktion und die Entwicklung entsprechender wettbewerbstauglicher Fahrzeuge selbst. Aber bis eine ausreichende Anzahl der neuartigen Rennstrecken in ihrer Komplexität und mit ihrer technisch erforderlichen Ausstattung entworfen, geplant, finanziert, gebaut, getestet, abgenommen und zur Funktionsreife geführt ist, dürfte eine mehr als beträchtliche Zeit vergehen. Zweifelhaft muss scheinen, ob man Rennsportler soweit ihrer Menschenwürde entkleiden darf, wie es die Fiktion des englischen Rennstalles vorsieht. Die Frage, ob sich Menschen bei so hohen Geschwindigkeiten einem Computer anvertrauen werden, stellt sich hingegen weniger, denn das tun viele Millionen bereits heute – wenn sie mit einem Großflugzeug fliegen.
Letzten Endes liegt die größte Schwäche der Studie jedoch darin, dass nicht die Fans, die Techniker, die Visionäre es sind, die die Weiterentwicklung der Formel 1 bestimmen werden. Die Formel 1 ist ein Produkt, die Formel 1 ist ein Geschäft. Nicht vom technischen Fortschritt, dem was machbar und was vorstellbar ist, wird die Entwicklung der Formel 1 abhängen, sondern von Geschäftsinteressen, Geschäftsstrategien und Geschäftspolitik. Durch eine futuristische Fahrzeugstudie, egal wie elegant und ambitioniert, kommt dies mit Sicherheit nicht zum Ausdruck.
Status der Formel-E heute
Viele der McLaren-Erkenntnisse wurden nicht zuletzt in der Formel-E gewonnen. Auf Initiative von Jean Todt, dem Präsidenten des Welt-Automobilverbandes FIA, wird seit 2014 die Formel-E-Meisterschaft für Formel-Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb weltweit auf eigens entworfenen Stadtkursen ausgetragen, die nach nunmehr vier abgeschlossenen Saisons langsam den Kinderschuhen entwächst. Die Rennwagen werden ausdifferenzierter und technisch anspruchsvoller, die E-Antriebe und Batterien leistungsstärker, der Publikumszuspruch nimmt zu.
Vom Formel-1-Niveau ist man freilich um Größenordnungen entfernt. Die Rennserie ist dazu bestimmt, vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein, Effizienz und technologischem Fortschritt die Entwicklung von Elektroautos voranzutreiben, nicht etwa rennsportliche Höchstleistungen zu erbringen. Die FIA möchte vielmehr Elektromobilität bewerben – dort, wo es besonders wichtig ist, im urbanen Raum und bei einem vermehrt jugendlichen Publikum. Ein besonderes Merkmal stellt dar, dass mittels des sogenannten Fanboosts die Zuschauer über die sozialen Medien auf das Wettbewerbsgeschehen direkt Einfluss nehmen können.
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