Mehr Reichweite: Gangschaltung soll E-Autos effizienter machen
Elektroautos haben in der Regel nur einen Gang, doch das ist vergleichsweise ineffizient, findet ein Darmstädter Start-up. Es hat ein optimiertes Mehrganggetriebe entwickelt, das ein hohes Einsparpotenzial besitzt. Es ermöglicht kleinere Batterien oder eine höhere Reichweite bei gleicher Batteriegröße.
Herkömmliche Benzin- und Dieselfahrzeuge benötigen ein mehrstufiges Getriebe, um die Motordrehzahl weitgehend konstant zu halten. Elektromotoren hingegen können ihre Leistung über einen viel breiteren Bereich abgeben, da sie Drehzahlen von über 15.000 Umdrehungen pro Minute erreichen – etwa das Dreifache eines Verbrennungsmotors. Unabhängig von der Drehzahl liefern sie ein konstantes Drehmoment, sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Geschwindigkeiten.
Aus diesem Grund sind Elektroautos in der Regel mit einem Ein-Gang-Getriebe ausgestattet, das die Motordrehzahl konstant um einen bestimmten Faktor, oft ein Zehntel, reduziert. Das Start-up InnoShiftIng ist hingegen davon überzeugt, dass ein Mehrganggetriebe ein große Einsparpotenzial hinsichtlich Batterie- und Motorgröße hat und eine höhere Reichweite erlaubt.
Fünf bis zehn Prozent Energie lassen sich einsparen
Freunden des Schaltknüppels sei gesagt: Den gibt es nicht. Wie der Erfinder des Schaltsystems, Daniel Schöneberger, erklärt, funktioniert alles vollautomatisch. Wie bei anderen automatisierten Getrieben werden die Gänge während der Fahrt automatisch hoch- und runtergeschaltet. Auch Wipphebel, wie man sie von manchen Autos kennt, gibt es nicht.
Schöneberger hat das Schaltsystem für Elektroantriebe im Rahmen seiner Promotion entwickelt und ist überzeugt, dass sein Getriebe die Effizienz von Elektroautos steigern kann: „Fünf bis zehn Prozent Energie lassen sich damit einsparen“. Um die gleiche Reichweite wie mit konventionellen Elektroantrieben zu erreichen, könnten so kleinere und leichtere Batterien eingebaut werden. Die Natur freut sich. Alternativ ließe sich die Reichweite um fünf bis zehn Prozent steigern, wenn man eine gleich große Batterie verwendet und nur das Ein-Gang-Getriebe durch das Mehrganggetriebe ersetzt.
Aktor und Klauenkupplung sorgen für schnelles Schalten
Herzstück des Schaltsystems ist ein verbesserter Aktuator, der für die Durchführung der Schaltvorgänge verantwortlich ist. Es ermöglicht bei Automatikgetrieben den Gangwechsel wie bei einem herkömmlichen Schaltgetriebe. Bei Automatikgetrieben für Verbrennungsmotoren werden die Gänge mechanisch synchronisiert, bei Elektroautos erfolgt die Drehzahlregelung direkt über den Elektromotor. Der optimierte Aktor ermöglicht laut Schöneberger bis zu 10-20-mal schnellere Gangwechsel.
Eine weitere wichtige Komponente ist die Klauenkupplung, die zu einer effizienteren Kraftübertragung beim Schalten beiträgt, indem die „Klauen“ präzise ineinandergreifen und so weniger Kraft als bei herkömmlichen Kupplungen benötigen. Für ein sicheres und komfortables Schalten mit Klauenkupplungen ist eine perfekte Synchronisation der Eingriffswinkel erforderlich, die von Sensoren gemessen wird. Verschmutzungen beeinträchtigen jedoch häufig die Messgenauigkeit dieser Sensoren.
Sensor und Getriebesteuerung erhöhen den Fahrkomfort
Um die Messgenauigkeit zu erhöhen, hat InnoShiftIng speziellen Differenzwinkelsensor entwickelt, der die Leistung von Klauenkupplungen verbessert. Der Sensor ermöglicht einen zuverlässigeren, kostengünstigeren und einfacheren Betrieb der Kupplung. Durch das präzisere Einrasten der Gänge wird der Verschleiß im Vergleich zu herkömmlichen Schaltsystemen deutlich reduziert. Dank dieser Technologie, für die InnoShiftIng ein Patent besitzt, können die Gänge völlig ruckfrei und präzise gewechselt werden, was den Fahrkomfort deutlich erhöht.
Daniel Franz, Mitbegründer von InnoShiftIng, optimierte gemeinsam mit Schöneberger nicht nur den Aktor und den Sensor für die Klauenkupplung, sondern verbesserte auch die Getriebesteuerung. Eine eigens entwickelte Software passt das Schaltverhalten des Automatikgetriebes automatisch an die Fahrsituation an, so dass die Gangwechsel komfortabler und schneller werden. Durch diese Kombination von Hard- und Software konnte die Schaltdauer von ursprünglich 500 Millisekunden auf 20 Millisekunden reduziert werden.
TU Darmstadt legte den Grundstein und hilft den Gründern
Vor acht Jahren lernten sich die Gründer Daniel Schöneberger und Daniel Franz, am Institut für Mechatronische Systeme (IMS) der Technischen Universität Darmstadt kennen. Gemeinsam entwickelten sie eine innovative Idee zur Verbesserung von Schaltsystemen in Elektrofahrzeugen. Im Januar 2023 gründeten sie mit Unterstützung eines EXIST-Stipendiums der Bundesregierung die InnoShiftIng GmbH.
Das Innovations- und Gründerzentrum der Universität bot ihnen Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln und Patenten, die Uni stellt zudem Räumlichkeiten für Forschung, Konstruktion und Büroarbeit zur Verfügung. Auf dem Antriebsprüfstand des IMS können sie ihr Schaltsystem unter verschiedenen Bedingungen testen. Wer sich fragt, was InnoShiftIng bedeuten mag, der Firmenname bedeutet „Innovatives Schalten (englisch shift) und „Ing“ für Ingenieur“, erklärt.
Industrie zeigt bereits Interesse
Die Gründer von InnoShiftIng haben sich entschieden, ihre Erfindung nicht für Preise oder Auszeichnungen einzureichen, da sie als zu spezifisch und für Laien schwer verständlich gilt. Fachleute erkennen jedoch den Nutzen ihrer speziell für Elektroautos entwickelten Mehrgang-Schaltung, wie sie so ähnlich bisher nur in wenigen hochpreisigen Modellen zu finden ist.
Durch die Kombination aus Aktor, Klauenkupplung und Getriebesteuerung bietet die Schaltung laut Gründer einige Vorteile gegenüber herkömmlichen Automatikgetrieben: Sie ist kompakter, komfortabler und kostengünstiger. Zwei Industriepartner haben sie bereits, nun sollen weitere Firmen für eine Serienproduktion gesucht werden. Für das aktuell noch um ein Drittel kleinere, fast serienfertige Modell suchen die Gründer einen Produzenten. „Vermutlich dauert es in Deutschland etwa vier Jahre, bis so etwas in Serie geht“, schätzt Schöneberger.
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