Mit Bodenampeln gegen Smartphone-Junkies im Verkehr
Offenbar ist die Sucht, auch im Verkehr ständig aufs Smartphone zu schauen, so groß, dass jetzt wieder eine Stadt mit Bodenampeln experimentiert. Bodegraven in den Niederlanden hat jetzt LED-Linien auf dem Boden installiert, um zu verhindern, dass Smartphone-Junkies die Ampelzeichen übersehen. Allerdings gibt es auch Kritik an der Anlage.
An der Bordsteinkante sind die LED in den Boden eingelassen – genau dort, wo die Fußgänger bei Rot eigentlich warten sollen. Die LED sind mit der Ampelanlage verbunden und leuchten stark in Rot oder Grün.
Die Gemeinde Bodegraven will damit verhindern, dass Fußgänger, abgelenkt durch den Blick auf das Smartphone, einfach die Straße überqueren. Drei Schulen befinden sich in der Umgebung der Kreuzung. Diese haben die Installation schon begrüßt.
Lichtleisten leuchten in rot und grün
Entwickelt hat die +Lichtlijn Anlage das Unternehmen Bodegraafse HIG Traffic Systems, das in Bodegraven zu Hause ist und eine Pilotanlage im Verkehr erproben will. Denkbar ist es, die LED-Lichtlinie nicht nur an Fußgängerüberwegen zu installieren, sondern auch an Radwegen.
„Bei der Teilnahme am Verkehr lassen sich die Menschen immer stärker vom Smartphone ablenken“, beschreibt Stadtrat Kees Oskam. „Die Attraktivität von Social Media, Spielen, WhatsApp und Musik ist so groß, das die Aufmerksamkeit für den Verkehr sinkt. Als Stadtregierung können wir diesen Trend nicht leicht umkehren, aber wir wollen darauf reagieren.“
Verkehrsverband kritisiert die Bodenampeln
Und genau daran gibt es Kritik. Der niederländische Verkehrsverband VVN kritisiert, dass solche Bodenampeln eine Kapitulation bedeuten. Fußgängern werde signalisiert, dass man selbst während der Smartphone-Nutzung nur noch auf die Bodenampel und nicht mehr auf den Verkehr achten muss. Dabei dürfen an Kreuzungen Autofahrer abbiegen, während auch Fußgänger Grün haben und die Straße überqueren dürfen. Deshalb müssten Fußgänger in jedem Fall den Verkehr beobachten und nicht das Smartphone.
Auch die Stadt Augsburg experimentiert schon mit Bodenampeln, um zu verhindern, das ins Smartphone vertiefte Fußgänger vor eine Straßenbahn laufen.
Laut Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen führt die Ablenkung durch ein Smartphone zu einem Verhalten ähnlich dem unter dem Einfluss von 0,8 Promille Alkohol. Fußgänger, die aufs Smartphone blicken, seien „gar nicht wirklich präsent und schalten komplett ab“.
Überholspur für Fußgänger in China
Wie schlimm die Ablenkung sein kann, zeigt sich in der chinesischen Millionenstadt Chongqing, die auf einem Fußweg eine Spur für Handy-Nutzer eingerichtet hat, damit sie ungestört twittern, Nachrichten schreiben und E-Mails checken können. Andere Fußgänger können auf einem eigenen Gehweg ungestört und zügig vorankommen.
Dass die Ablenkungen durch das Smartphone selbst im Verkehr keine Ausnahme mehr ist, zeigt eine Dekra-Studie aus dem vergangenen Jahr. Die Dekra hat fast 14.000 Fußgänger in Amsterdam, Berlin, Brüssel, Paris, Rom und Stockholm beim Überqueren von Straßen beobachtet. Das Ergebnis: 17 Prozent der Fußgänger sind durch ihr Smartphone abgelenkt, wenn sie über die Straße gehen.
7,9 Prozent der Fußgänger tippten einen Text, weitere 2,6 Prozent telefonierten. Rund 5 Prozent trugen Ohrstöpsel oder Kopfhörer, ohne zu sprechen – hörten also möglicherweise Musik, so die Studie.
Frauen tippen Texte, Männer hören Musik
Dabei ist der Anteil der abgelenkten Fußgänger unter jüngeren Menschen deutlich höher als bei älteren Menschen. In der Altersgruppe über 46 Jahre tippten gut 5,6 Prozent Text während des Überquerens der Straße, in den Altersgruppen unter 35 Jahre waren es über 9 Prozent. Beim „Musikhören“ lag der höchste Wert mit 7,5 Prozent in der Altersgruppe 26 bis 35 Jahre.
Unterschiede gibt es aber auch nach Geschlecht. Während mehr als 12 Prozent der Fußgängerinnen zwischen 12 und 25 Jahren beim Überqueren der Straße texteten, waren es bei den männlichen Fußgängern derselben Altersgruppe nur 4,8 Prozent. Dafür hören Männer mehr Musik im Verkehr.
„Unsere Erhebungsteams berichteten teils von extremen einzelnen Ablenkungssituationen“, so Dekra-Vorstand Clemens Klinke. „Was immer wieder beobachtet wurde, waren Gruppen von jungen Menschen, die gemeinsam in ein Smartphone schauten, während sie die Straße überquerten. In einem Fall kollidierte sogar die ganze Gruppe mit einem Fahrradfahrer.“
Weitere Beispiele waren Mütter und Väter, die einen Kinderwagen schieben und trotzdem Texte tippen, ohne auf den Verkehr zu achten. „Besonders eindrücklich war auch eine Szene in Stockholm“, so Klinke. „Ein junges Mädchen bleibt mitten auf der Straße stehen, holt ihr Handy heraus und beginnt zu tippen. Erst als ein Busfahrer hupt, wird ihr klar, wo sie steht, und sie geht weiter.“
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