Mit Seilbahnen gegen den Verkehrskollaps
Staus, Verzögerungen, Unfälle – der morgendliche Stadtverkehr ist kein Vergnügen. Warum schweben wir darüber nicht häufiger hinweg?
Seilbahnen gelten als zuverlässig und sicher. Doch Verkehrskonzepte sehen sie in der Regel eher als Touristenattraktion, denn als technische Mobilitätslösung an. Dabei helfen sie in einigen Großstädten bereits erfolgreich dabei, den täglichen Verkehrskollaps zu verhindern. Wir haben mit Claus Bürkle gesprochen. Der Bauingenieur ist Infrastrukturexperte und Partner der Drees & Sommer SE und entwickelt unter anderem Seilbahnkonzepte. Er erklärt, wo sie sinnvoll eingesetzt werden können und nennt ein Beispiel, wo eine Seilbahn den Privatverkehr mit Autos verringern konnte.
ingenieur.de: Herr Bürkle, Sie sehen die Seilbahn vielerorts als eine echte Alternative zum Bus. Ist das nicht ein bisschen schräg?
Claus Bürkle: Das höre ich häufiger. Wenn wir das Seilbahnkonzept bei Kommunalpolitikern vorstellen heißt es oft: Wir sind hier doch nicht auf der Zugspitze. Aber am Ende überzeugen die Argumente. Da wäre die kurze Bauzeit. Der Bau der Luftschwebebahn in Koblenz hat 14 Monate gedauert. In diesem Fall mussten nur zwei Punkte miteinander verbunden werden. Bei einer Standseilbahn ist die Bauzeit auf der grünen Wiese in der Regel etwa 10 Monate länger. Bei komplexen Bauvorhaben und je nach Lage kann es natürlich auch länger dauern. Dies gilt im Übrigen aber auch für Luftschwebebahnen. Sie verlaufen auf einer Schienentrassierung und sind vergleichbar mit Straßenbahnen. Allerdings können Sie hier mit vorgefertigten Systemen arbeiten. Das beschleunigt den Bau enorm. Das Einstiegsbauwerk kann in bestehenden Gebäuden integriert werden.
Die Kosten sind also ein Argument. Was spricht noch für Seilbahnen?
Ein weiteres Argument ist, dass Seilbahnen oft schneller von a nach b kommen, weil sie den direkten Weg ansteuern. Und auf Staus keine Rücksicht nehmen müssen. Außerdem können sie Stadtteile voranbringen, die bislang vom öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen waren. In London hat sich an den Endhaltestellen der Emirates Air Line eine ganz neue Infrastruktur entwickelt. Die Viertel sind viel lebendiger geworden. In Künzelsau verbindet eine Standseilbahn die Kernstadt mit einem Stadtteil auf dem Berg. Die Anwohner pendeln zur Arbeit und zur Schule in die Kernstadt.
Dazu kommt: Mit einem Bus können Sie höchstens 50 Menschen auf einmal befördern. Bei einem Gelenkbus sind es 80. Die Standseilbahn in Künzelsau kann bis zu 1.000 Personen pro Stunde und Richtung bei einer 5-minütigen Taktung transportieren. Um dieses Fahrgastaufkommen mit Bussen bewältigen zu können, müssten 12 Busse pro Stunde und Richtung fahren. Darüber hinaus ist die Seilbahn in Künzelsau sehr energieeffizient. Sie benötigt mehr Energie für die Beleuchtung als für den Transport.
Woher kommt der geringe Energieverbrauch?
Es handelt sich um eine Standseilbahn. Hier gibt es nur eine Spur. Sobald ein Wagen der Schwerkraft folgend nach unten fährt, zieht er sozusagen den anderen Wagen nach oben. Über eine Ausweiche in der Mitte fahren die Wagen aneinander vorbei.
Und was kostet der Bau einer Seilbahn?
Das hängt vom Seilbahntyp, von der Länge und vom Anspruch ab. Die urbane Seilbahn in Ankara mit etwas mehr als drei Kilometer Länge hat rund 25 Millionen Euro gekostet. Die Seilbahn in Koblenz schlug mit 13 Millionen Euro zu Buche. Die Standseilbahn in Künzelsau hat rund 11 Millionen Euro gekostet.
Und wie hoch sind die Folgekosten? Die Seilbahnen müssen ja schließlich auch gewartet werden.
In Künzelsau ist man bei der Planung 1996 davon ausgegangen, dass die Seilbahn ein Zuschussgeschäft sein wird. Die Prognosen gingen von 115.000 Euro zusätzlichen Kosten im Jahr 2005 aus. Tatsächlich musste die Kommune im Jahr 2005 aber nur 10.000 Euro zuschießen. Bei einem regelmäßigen Busverkehr hätte der Zuschuss je nach Taktung zwischen 50.000 und 70.000 Euro pro Jahr gelegen. Das zeigt, dass sich die Seilbahn auch wirtschaftlich trägt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es heute weniger Autos in dem Wohngebiet gibt als vor dem Bau der Seilbahn. Und das, obwohl es mittlerweile stark gewachsen ist.
Seilbahnen haben aber doch nicht nur Vorteile.
Natürlich gibt es auch Nachteile. Eine Seilbahn eignet sich nicht für längere Strecken. Sondern nur für Distanzen von bis zu acht Kilometern. Daher kann sie nie mit einer S-Bahn konkurrieren, die 30 Kilometer überbrückt. Mit 20 bis 25 Kilometern pro Stunde sind sie auch nicht so schnell. Die optimale Länge beträgt daher fünf bis sechs Kilometer. Die lassen sich mit dieser Geschwindigkeit in einem überschaubaren Zeitraum überbrücken.
Un welche Orte halten Sie für absolut ungeeignet für eine Seilbahn?
Kaum welche. Die Frage ist nur, ob sich ein Bau wirtschaftlich rechnet oder nicht. In Künzelsau hatten wir z.B. einen so genannten kriechenden Berg. Das heißt der Hang hat sich bewegt und musste abgefangen werden. Bautechnisch ist das nicht trivial, aber machbar.
Die Probleme kommen von ganz anderer Seite. Schwierigkeiten ergeben sich häufig beim Thema Überfahrtsrechte: Seilbahnen fahren ja manchmal auch über Wohnhäuser hinweg. Damit sind nicht alle Eigentümer einverstanden. Dazu kommt, dass Seilbahnen für die meisten Genehmigungsbehörden absolutes Neuland sind. Im Regierungspräsidium Freiburg Landesbergdirektion gibt es gerade einmal einen Spezialisten.
Weiterführende Artikel zu Seilbahnen
Das jüngste Seilbahn-Projekt in Deutschland geizt nicht mit Superlativen. Auf einer Länge von über 3 Kilometern kommt die Seilbahn auf die Zugspitze mit einer einzigen Stahlstütze aus.
Das größte Seilbahnnetz der Welt verläuft in Bolivien. Länge der einzelnen Verbindungen: 10 Kilometer.
In Brasilien nutzt das Baustoffunternehmen LafargeHolcim eine Seilbahn für den Transport des Kalksandsteins von der Abbruchstelle zur Fabrik. Damit spart sich der Konzern 40 Lastwagen pro Stunde.
In Chicago und New York gab es ebenfalls Pläne, eine Seilbahn zu bauen. Die einen wollten eine neue Touristenattraktion erschaffen, die anderen eine Alternative zum Verkehrsinfarkt bieten. Über die Planungsphase sind beide Städte aber bis heute nicht hinausgekommen.
Ein Beitrag von: