Untergang bei der Jungfernfahrt – das ist Vasa, Schwedens größte maritime Fehlkonstruktion
Schon ihr Anblick sollte die Feinde in Angst und Schrecken versetzen – doch bereits bei der Jungfernfahrt sank der Stolz der schwedischen Flotte. Was ist schiefgelaufen beim Kriegsschiff Vasa, das 1628 den Ostseeraum dominieren sollte?
Während des Dreißigjährigen Krieges ab Mitte der 1620er-Jahre wollte König Gustav II. Adolf von Schweden sein Land als Seegroßmacht etablieren. Zwei Kriegsschiffe, größer und schwerer bewaffnet als alles bisher Dagewesene, sollten dabei helfen: die Vasa und die Äpplet. Die Vasa wurde als Erste fertiggestellt, doch sie kam nicht weit: Auf ihrer Jungfernfahrt sank das bis dahin größte Kriegsschiff bereits nach 1.300 m. Doch wie konnte es so weit kommen? Wir werfen einen Blick auf die Geschichte der Vasa, die als eine der größten maritimen Fehlkonstruktionen aller Zeiten gilt.
Inhaltsverzeichnis
- Stolz der schwedischen Flotte
- Von der Katastrophe zum Museumsschatz
- Wiederentdeckung der Vasa
- Bau der Vasa
- Schiff der Superlative
- Warum ist die Vasa gesunken?
- 333 Jahre auf dem Meeresgrund
- Einzigartiges Museumserlebnis
- Die Bergung der Vasa
- Moderne Restaurierungsmethoden
- Entdeckung des Schwesterschiffs
Stolz der schwedischen Flotte
Am Nachmittag des 10. August 1628 war die Stimmung in Stockholm laut Überlieferungen sommerlich und mild, als die prächtige Galeone Vasa, das neue Flaggschiff der schwedischen Flotte, zu ihrer Jungfernfahrt aufbrach. Zahlreiche Schaulustige hatten sich am Kai unterhalb des Schlosses versammelt, um die majestätischen drei Masten der Vasa in den Himmel ragen zu sehen. Nur drei der zehn Segel waren gesetzt, und das Schiff driftete langsam in Richtung seines Tagesziels, der nur wenige Seemeilen entfernten Insel Vaxholm. Doch schon nach wenigen Minuten erfasste eine Windböe das bis dahin größte und kampfkräftigste Schiff der schwedischen Marine und ließ es gefährlich nach Backbord krängen.
Ein weiterer Windstoß aus Süden brachte Wasser durch die geöffneten Stückpforten und füllte das untere Batteriedeck. Lose Teile rollten nach achtern, und die Kanonen kamen ins Rutschen. Unaufhaltsam zog es das mächtige Kriegsschiff in die Tiefe, nachdem es nur 1.300 m zurückgelegt hatte. Rund 30 Menschen wurden unter Deck vom Wasser eingeschlossen, während andere von herbeieilenden Beibooten gerettet wurden. Für die Vasa war es jedoch zu spät – sie sank auf den Grund des Stockholmer Hafens, bis nur noch die Mastspitzen mahnend über die Wellen ragten.
Von der Katastrophe zum Museumsschatz
Heute, fast 400 Jahre später, gibt es die Vasa auf Kühlschrankmagneten, Pillendöschen, Serviettenringen, Geschirrtüchern, T-Shirts und als Modell-Bausatz. Rund 1,5 Mio. Besucher strömen jährlich in das Vasa-Museum nahe des nach ihr benannten Jachthafens auf der königlichen Insel Djurgården. Aus dem einstigen Desaster des gescheiterten Prestigeprojekts ist eine kommerzielle Erfolgsgeschichte geworden.
Anders Franzén, ein junger Marinetechniker und Hobbyarchäologe, verdanken wir die Wiederentdeckung der Vasa. Anfang der 1950er-Jahre suchte er mithilfe von Archivmaterialien nach gesunkenen Kriegsschiffen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Fast zwei Jahre lang suchte er nach dem Wrack, das er zunächst fälschlicherweise auf der südlichen Seite des Fahrwassers vermutete. Zudem war die Galeone größtenteils unter Gesteinsbrocken von Sprengungen begraben, die Anfang des 19. Jahrhunderts für den Bau neuer Kaianlagen durchgeführt worden waren.
Wiederentdeckung der Vasa
Im Herbst 1955 erhielt Franzén schließlich den entscheidenden Hinweis. Auf neu erstellten Lotkarten für einen geplanten Brückenbau war eine undefinierte Erhöhung 120 m vor der Insel Beckholmen eingezeichnet. Am 25. August 1956 brachte Franzéns Lot ein Stück Schwarzeiche zutage – die Vasa war gefunden. Der Auftraggeber der Vasa, Gustav II. Adolf von Schweden, verhalf seinem Land zur Stellung als Großmacht. Bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts war Schweden immer wieder in Kriege um maritime Handelswege verwickelt. Zur Zeit der Vasa war Finnland Teil Schwedens; Estland und der größte Teil des heutigen Lettlands befanden sich ebenfalls in schwedischer Hand.
Gustav II. Adolf sah nicht nur Russland und das rivalisierende Dänemark als Feinde an, sondern auch der polnische König Sigismund, ein Cousin des Königs, erhob Anspruch auf den schwedischen Thron. Seit jeher fürchteten die Schweden den katholischen Einfluss aus Polen. Anfang des 17. Jahrhunderts proklamierte Schweden deshalb das Prinzip der vorgeschobenen Verteidigung und rüstete in den 1620er-Jahren seine Flotte umfassend auf. Gustav II. Adolf ordnete 1624 den Bau eines neuen Galeonentyps mit zwei Batteriedecks und deutlich schwereren Kanonen an.
Bau der Vasa
Die Stockholmer Werft war zu jener Zeit der größte Arbeitgeber des Landes. Rund 500 Menschen unterschiedlichster Nationalitäten waren dort beschäftigt. Die meisten Zimmerleute kamen aus den Niederlanden und bauten die Galeone nach der in ihrer Heimat bewährten Methode. Anstatt zunächst die Spanten in Position zu bringen und die Außenhaut an diesem Gerüst hochzuziehen, wurden erst die Planken provisorisch zusammengefügt, woraus sich die Form des Rumpfes ergab.
Auch die beiden Pächter der Werft, Henrik Hybertsson und Arendt de Groot, stammten aus den Niederlanden. Während Hybertsson für den Bau der Schiffe verantwortlich zeichnete, zog de Groot durchs Land, um die benötigten Materialien zu kaufen. Doch bald ging das Geld aus. Die Einführung der Kupfermünze 1624 führte zu einem starken Währungsverfall, der wiederum die Arbeiter aufgrund zu niedriger Löhne streiken ließ. Die Fertigstellung des Schiffes verzögerte sich, und das Prestigeobjekt des Königs wurde für die Pächter zum Verlustgeschäft.
Schiff der Superlative
Nicht nur die Bauweise der Vasa war neu, auch die umfangreiche Artillerie an Bord stellte eine Herausforderung dar. Der König veranlasste, dass sein neues Kriegsschiff mit 48 neuen 24-Pfund-Bronzekanonen bestückt werden sollte. Diese Feuerkraft erforderte zwei Batteriedecks, wobei das untere näher an der Wasserlinie liegen musste als üblich. Dies verschob den Schwerpunkt der Galeone nach oben. Mathematische Formeln zur Berechnung der Stabilität eines Rumpfes gab es noch nicht, und die Kenntnisse über den Zusammenhang von Bauweise und Seetüchtigkeit waren rudimentär.
Heute weiß man, dass die Holzkonstruktion der Vasa zu kräftig war. Die Balken der Batteriedecks waren unnötig massiv, die Decken zu hoch. Mehr Ballast im Rumpf hätte das Problem nicht gelöst, sondern die Vasa nur tiefer ins Wasser gedrückt. Erfolgversprechend wäre nur gewesen, das obere Batteriedeck zu räumen, was aus militärischen Gründen nicht möglich war.
Daten und Fakten |
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Warum ist die Vasa gesunken?
Die Instabilität der Vasa war den Verantwortlichen durchaus bekannt. Im Frühjahr 1628, als das Schiff bereits im Wasser lag, demonstrierte Kapitän Söfring Hansson Admiral Klas Fleming die Defizite, indem er 30 Männer immer wieder von einer Seite des Decks zur anderen rennen ließ. Die Demonstration musste abgebrochen werden, weil das Schiff zu stark ins Wanken geriet. Fleming entschied jedoch, die Information für sich zu behalten und den König nicht über die zweifelhafte Seetüchtigkeit seines neuen Prestigeprojekts zu informieren.
Nach dem Untergang wurde Kapitän Hansson unmittelbar verhaftet, doch die eigentlichen Verhöre fanden erst einen Monat später statt. Alle Beteiligten hatten Zeit, ihre Version der Geschichte zu konstruieren, und schnell herrschte Einigkeit darüber, dass es sich um einen Konstruktionsfehler handelte. Der Schiffsbaumeister Hein Jacobsson beteuerte, das Schiff nach den Vorgaben seines Vorgängers Henrik Hybertsson gebaut zu haben, der ungefähr ein Jahr vor der Fertigstellung starb.
Ein Problem: Während des Baus der Vasa verwendeten die Schiffsbauer unterschiedliche Maßeinheiten. Einige arbeiteten mit dem schwedischen Fuß, andere mit dem Amsterdamer Fuß, der etwa eineinhalb Zentimeter kürzer ist. Diese Diskrepanz führte dazu, dass das Schiff auf der Backbordseite schwerer wurde. Der leichteste Wind konnte die Vasa somit zum Kentern bringen.
333 Jahre auf dem Meeresgrund
333 Jahre nach ihrem Untergang schlief die Vasa lange auf dem Meeresgrund. Zwar vergaben die Behörden bereits drei Tage nach dem Unglück Bergungsprivilegien, doch alle Versuche, das Kriegsschiff zu heben, scheiterten. Zu tief saß die Galeone im Schlamm. Im Herbst entschied man sich, die über die Wasseroberfläche ragenden Masten zu kappen.
Die Vasa überstand die Jahrhunderte dank der besonderen Zusammensetzung des Stockholmer Hafenwassers. Es war nahezu anaerob, säurefrei und bis ins 20. Jahrhundert stark verunreinigt. Chemische Prozesse liefen nur sehr langsam ab, und Bakterien, die zur Zersetzung beitrugen, konnten nicht überleben. Während das Holz nahezu unversehrt blieb, lösten sich sämtliche Metallteile fast vollständig auf.
Einzigartiges Museumserlebnis
Das Vasa-Museum zeigt die restaurierte Galeone als beeindruckendes Exponat. Ein Besuch der Vasa ist für Stockholm-Besucher fast zwingend, insbesondere für jene, die mit dem eigenen Boot anreisen und im Sportboothafen direkt am Museum liegen. Drinnen ist es kühl, der Geruch von altem Holz erfüllt die Luft. Das beeindruckende Schiff füllt den großen, offenen Raum der Länge nach aus. Vorn scheint der riesige Bugspriet fast an die Wand zu stoßen, achtern verlaufen die Besuchergalerien dicht am Heck entlang. Auf fünf Stockwerken kann man die Galeone von allen Seiten betrachten und eine Auswahl der zahlreichen Fundstücke aus nächster Nähe sehen.
Unten auf Kielhöhe liegen die Skelette der 15 Besatzungsmitglieder in gläsernen Vitrinen. Anhand der Schädel war es möglich, einige ihrer Gesichter zu rekonstruieren. Die Kleidung gab Aufschluss über ihre Rolle an Bord. Als Wachsfiguren schauen sie dem Besucher heute entgegen und machen das Schiffsunglück anhand einzelner Schicksale begreiflich. Im schwachen Schein der Deckenlampen glänzt der Rumpf, als wäre er mit Wachs überzogen. 98 % des Holzes sind original von 1628, nur die Planken des Oberdecks, Teile des Bugspriets und das Rigg mussten ersetzt werden.
Die Bergung der Vasa
1956 wurde die 1628 gesunkene Vasa wiederentdeckt, und die Bergung dauerte bis 1961. Dass auf die Entdeckung eine Bergung folgen würde, war nicht selbstverständlich. Doch Franzén schaffte es, die zuständigen Behörden zu überzeugen, dass ein fast vollständig erhaltenes Kriegsschiff aus den Großmachtzeiten Schwedens nicht nur eine Bereicherung für das kulturelle Erbe des Landes, sondern auch ein Magnet für Besucher aus aller Welt sein würde.
Zunächst füllte man zwei Pontons mit Wasser, um sie um einige Meter abzusenken. Dann befestigte man Seile, die hinunter zum Schiff führten und auf Spannung gebracht wurden, um die Vasa durch den Auftrieb beim Leerpumpen der Pontons mit nach oben zu ziehen. Taucher gruben über zwei Jahre hinweg sechs Tunnel unter dem Schiff hindurch. Erst im August 1959 begann die eigentliche Bergung. Die Pontons „Odin“ und „Frigg“ führten 18 Hebungen innerhalb von vier Wochen durch. Mit jeder Hebung gewann die Vasa etwa einen Meter an Höhe und wurde in seichteres Wasser geschleppt. Schließlich blieb sie weitere anderthalb Jahre vor der Insel Kastellholmen auf dem Grund liegen.
Moderne Restaurierungsmethoden
Nach ihrer Bergung wurde die Vasa vom meterdicken Schlamm befreit und permanent mit kaltem Wasser besprüht, um das Austrocknen des Holzes zu verhindern. Die Projektleitung kaufte fast alle verfügbaren alten Badewannen in Stockholm auf, um Figuren und andere Schiffsteile zu lagern. Tausende Metallbolzen im Rumpf mussten durch Holzpfropfen ersetzt werden.
Um Bakterienbefall und Rost zu bekämpfen, wurde eine Lösung aus Wasser und Polyethylenglykol über ein automatisches Sprinklersystem über der Vasa versprüht. 17 Jahre lang war die Anlage ohne Unterbrechung im Einsatz. Mit der Eröffnung des Museums 1990 wurde das Klimasystem weiterentwickelt und Sensoren am Rumpf angebracht. Seit 2003 werden die Bewegungen im Schiff gemessen, da die Vasa aufgrund ihres ungleich verteilten Gewichts weiterhin nach Backbord neigt.
Entdeckung des Schwesterschiffs
2022 entdeckten schwedische Archäologen ein riesiges Schiffswrack aus dem 17. Jahrhundert. Die Forschungen ergaben, dass es sich dabei um die Äpplet, das Schwesterschiff der Vasa, handelt. Zwar hielt sich die Äpplet etwas länger, doch auch sie bewährte sich langfristig nicht. Das Schiff wurde 1629 zu Wasser gelassen und 1658 als seeuntüchtig eingestuft. Im folgenden Jahr wurde die Äpplet bei Vaxholm versenkt, um die Meerenge zum Schutz vor Feinden zu sperren.
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