Containerfrachter „Solong“ bewusst auf Kollisionskurs gebracht
Nach dem schweren Schiffsunfall in der Nordsee vor dem britischen Hafen Hull haben die britischen Behörden den Kapitän des Containerfrachters „Solong“ verhaftet. Gegen den 59 Jahre alten Mann wird den offiziellen Angaben zufolge wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt.

Der Tanker „Stena Immaculate“ nach der Kollision mit dem c"Solong".
Foto: picture alliance / empics/Danny Lawson/PA Wire
Nach der Kollision eines Frachters mit einem US-Tanker am Dienstag vor der britischen Ostküste wurde der russische Kapitän des Containerschiffs „Solong“ festgenommen. Die Ursachen für den Zusammenstoß der beiden Schiffe mit einem Todesopfer bleiben weiter unklar. Eine größere Umweltkatastrophe scheint vorerst abgewendet. Das 140 m lange Containerschiff der Hamburger Reederei Ernst Russ war mit dem unter US-Flagge fahrenden Tanker „Stena Immaculate“ kollidiert. Ein Besatzungsmitglied der „Solong“ wird seither vermisst. Beide Schiffe gerieten in Brand. Das Mehrzweckschiff „Mellum“ des Deutschen Havariekommandos unterstützt die Bergungsarbeiten des niederländischen Spezialunternehmens Boskalis.
Containerschiff fuhr mehr als zwei Stunden mit hoher Geschwindigkeit auf den Tanker zu
Warum die „Solong“ mit dem 183 m langen Tanker kollidierte, ist bislang unbekannt. Den Angaben der britischen Schifffahrtsbehörde zufolge befand sich der Containerfrachter auf dem Weg von dem englischen Hafen Grangemouth nach Rotterdam, als das Unglück geschah. Der Tanker „Stena Immaculate“ lag zur gleichen Zeit mit acht weiteren Schiffen vor Anker knapp außerhalb der Sichtweite des britischen Hafens Hull. In einer von dem Schiffsportal vesselfinder.com zusammengestellten Aufzeichnung der AIS-Daten ist zu erkennen, dass die „Solong“ über mehr als zwei Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 16 Knoten (ca. 30 km/h) geradewegs auf den Tanker zugefahren ist. In der Vergrößerung der Aufzeichnung entsteht der Eindruck, dass die Kurslinie den Frachter an dem Tankschiff vorbeigeführt und zwischen den ankernden Schiffen hindurchgeführt hätte.
Tanker driftete in den Fahrweg des Containerschiffs
Etwa 15 min vor der Kollision scheint sich die „Stena Immaculate“ aber langsam in Bewegung zu setzen und in die Kurslinie der „Solong“ zu driften. Eine Reaktion der „Solong“ ist auf den Aufzeichnungen zunächst nicht zu erkennen. Erst wenige Minuten vor dem Zusammenstoß scheint der Containerfrachter wie in den internationalen Kollisionsverhütungsregeln vorgeschrieben zu seiner Steuerbordseite (rechts in Fahrtrichtung) auszuweichen. Üblicherweise sind Berufsschiffe mit radargestützten Kollisionswarngeräten ausgestattet, die bereits auf einer Distanz von mehreren Kilometern einen drohenden Zusammenstoß anzeigen.
Die britischen Behörden schließen nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen aus, dass die „Solong“ bewusst auf den Kollisionskurs gebracht wurde. Nähere Angaben zu dem verhafteten Kapitän machten die Behörden nicht. Unbestätigten Angaben zufolge gehört die unter US-Flagge fahrende „Stena Immaculate“ zu einer Flotte von etwa zehn Tankschiffen, die das US-Verteidigungsministerium zur Versorgung international operierender US-Militäreinheiten gechartert hat. Den AIS-Daten zufolge befand sich das 183 m lange Schiff auf dem Weg von Griechenland zu dem britischen Hafen Killingholme, der wie der Hafen von Hull an der Humber-Mündung und nur wenige Kilometer von der Unglücksstelle entfernt liegt.
Deutschland gut aufgestellt bei Containerschiffen
Containerfrachter wie die „Solong“ gehören zu den Stärken der deutschen Reedereien. Mit 612 Schiffen stellen sie 8,7 % der weltweiten Containerflotte. Nachdem Deutschland jahrzehntelang die Nummer eins in diesem Bereich war, wurden sie inzwischen nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder (VDR) von der Schweiz und China überholt. In der Schweiz hat die Mediterranean Shipping Company MSC ihren Sitz. Das weltgrößte Schifffahrtsunternehmen verfügt allein über 810 Containerfrachter.
Internationale Konflikte belasten globalen Warenverkehr
Die meisten Schiffe der deutschen Reeder fahren wie die in Portugal registrierte „Solong“ unter ausländischer Flagge. Nur wenige 100 der insgesamt 1764 Schiffe sind im deutschen Schiffsregister eingetragen. Dennoch haben die Frachter nach Überzeugung des VDR eine hohe Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Nach Angaben des Reederverbandes werden rund 62 % der deutschen Exporte und 60 % der Importe auf dem Seeweg transportiert.
Dass viele der Containerschiffe mittlerweile in China gebaut werden, könnte für die hiesigen Reeder wie auch ihre internationalen Wettbewerber in naher Zukunft zum Problem werden. Laut VDR plant die neue US-Regierung, auf in China gebaute Schiffe beim Anlaufen von US-Häfen millionenschwere Gebühren zu erheben.
Ohnehin hat die weltweite Schifffahrt bereits heute unter internationalen Konflikten zu leiden. Zunehmende internationale Spannungen stören dem VDR zufolge wichtige internationale Handelswege vom Südchinesischen Meer über die Straße von Taiwan bis hin zu den Gewässern rund um das Schwarze und Rote Meer. Für Reedereien bedeute dies nicht nur längere Handelswege und höhere Betriebskosten, sondern insbesondere eine erhebliche Planungsunsicherheit im globalen Warenverkehr.
Ein Beitrag von: