Schwungrad bringt Autos schnell auf Touren
Bei Bahnen ist die Rückgewinnung von Bremsenergie Stand der Technik. Auch beim Auto ließe sich so Energie sparen – mit einem Schwungrad. In Chemnitz übertragen derzeit Ingenieure in Kooperation mit Automobilherstellern wie BMW, Fiat und Renault sowie den Uni“s aus Aachen, Dresden und Sheffield die Schwungrad-Technologie auf den Pkw.
Wenn die Bremslichter bei einem Auto aufleuchten, wird jedes Mal Energie vernichtet. Alle Kraft, die vorher in Geschwindigkeit umgesetzt wurde, endet als Wärme in den Bremsscheiben. Gerade im Stadtbereich mit den vielen Ampeln, Staus und der Suche nach Parkplätzen sind die Verluste besonders hoch. Doch Bremsenergie lässt sich recyceln – mit einem Schwungrad. Statt die kinetische Energie der Vorwärtsbewegung regelrecht zu verheizen, wandeln Schwungräder sie wieder in elektrische Energie um. Bislang gibt es solche „Energieerhaltungsbremsen“ im Kraftfahrzeugsektor nur für einige Busse. Durch besonders leichte und hochstabile Verbundmaterialien könnten zukünftig auch Pkw mit ihnen ausgestattet werden.
In Kooperation u.a. mit den Universitäten in Aachen, Dresden und Sheffield sowie Fahrzeugherstellern wie BMW, Fiat und Renault arbeiten Ingenieure der EAST-4D GmbH Lightweight Structures in Chemnitz daran, die Schwungrad-Technologie auf Pkw zu übertragen, indem sie leichte und besonders hoch belastbare Materialien einsetzen. Die Chemnitzer Schwungräder sind aus Kohlenstofffaserverbundwerkstoffen (CFK).
Ein Schwungradsystem wird elektrisch betrieben und eignet sich damit besonders für Elektrofahrzeuge, erklärte Raimund Grothaus, Geschäftsführer der EAST-4D GmbH Lightweight Structures. Diese verfügten ohnehin schon über einen vollständigen Stromkreislauf. Auch für ein mit Brennstoffzellen betriebenes Auto böte sich der Einbau eines Schwungradsystems an. In herkömmlichen Autos sei der Einsatz jedoch uneffektiv, denn ihr Antrieb funktioniere rein mechanisch. Der gesamte Stromkreis und das Elektroaggregat müssten zusätzlich installiert werden, so der Ingenieur, und das Zusatzgewicht würde den Energiespareffekt dann wieder aufheben. In einem Elektroauto hingegen säße der zusätzliche „Antrieb“ beispielsweise unter der Rücksitzbank.
Das Schwungrad ist ein Zylinder von 0,5 m Länge, 17 cm Durchmesser und hat eine Wanddicke von 2,5 cm. Es rotiert im Vakuum auf einem elektromagnetischen Lager. Fällt der Strom aus, kann das Rad in einem keramischen Notlauflager auslaufen. Im Inneren dieser Röhre liegt ein Generator, den das Schwungrad beim Bremsen antreibt. Das Schwungrad dreht sich mit konstanter Geschwindigkeit von 45 000 min-1 – einmal auf Touren gekommen verbraucht es fast keinen Strom mehr.
Fährt der Fahrer auf eine rote Ampel zu und tritt auf die Bremse, umschließen nun nicht die Bremsbacken die Bremsscheibe, sondern das Schwungrad beschleunigt auf 60 000 min-1. Damit entzieht es dem Antrieb Energie und treibt gleichzeitig den Generator an, der wiederum mit dem elektrischen Boardsystem gekoppelt ist – das Fahrzeug bremst. Springt die Ampel wieder auf Grün, beschleunigt der Fahrer wieder, der rotierende Zylinder verlangsamt sich auf bis zu 30 000 min-1 und stellt somit die Energie für den Ampelsprint zur Verfügung.
Mit dem Schwungrad kann man die Spitzenlasten abfangen, weil ein Elektrofahrzeug nur mit dem Strom aus der Batterie im Normalbetrieb nicht in die Gänge kommt, so Grothaus gegenüber den VDI nachrichten. Das Schwungrad stelle kurzzeitig immerhin eine Zusatzantriebsleistung von etwa 40 kW zur Verfügung. „Damit wird ein Elektroauto schon ganz schön flott“, sagte der Ingenieur schmunzelnd.
Bisher nutzen nur wenige Busse und kein einziger Pkw dieses Schwungrad-Konzept. „Es gibt heute etwa ein Dutzend solcher Stadtbusse. In ihnen ist ein Diesel- mit einem Elektroantrieb kombiniert“, berichtete Grothaus. Als Grund nannte er die bisher sehr schweren Schwungräder, die damit auch den Grundenergiebedarf des Autos insgesamt erhöhten übliche Materialien waren glasfaserverstärkte Kunststoffe und Metall. Außerdem waren die Abmessungen der Schwungräder groß. Sie sollten von einem Berstschutz umschlossen sein, denn wenn sich ein mit 60 000 min-1 rotierender Körper selbstständig macht oder zerspringt, könnte das katastrophale Folgen haben.
Das Besondere an den Schwungrädern aus Chemnitz ist ihre kompakte Bauweise aus CFK, die auch bei hohen Betriebstemperaturen größer 175 oC außergewöhnlich belastbar ist. Stabilität ist Grundvoraussetzung für die extremen Rotationsgeschwindigkeiten. „Das Gewicht des Zylinders ist nicht entscheidend, denn bei doppelter Masse kann die gespeicherte Energie nur verdoppelt werden. Bei doppelter Drehzahl vervierfacht sich jedoch die gespeicherte Energie“, begründet der Ingenieur seine Entscheidung für die Leichtgewichte. Mit einer Umfangsgeschwindigkeit von 450 m/s sind seine CFK-Zylinder erheblich schneller als die herkömmlichen schweren Schwungräder.
Die CFK-Bauweise trägt nicht allein zu höherer Effektivität, sondern auch zu mehr Sicherheit bei. Das Material ist so stabil, dass das Rad erst bei 112 000 min-1 zerbersten würde, so Grothaus. Zerspränge doch einmal ein Zylinder bei 60 000 min-1 Touren, würde er durch den Berstschutz aufgefangen. „Das Material altert zwar kaum, geht nicht von allein kaputt, aber man weiß bisher noch nicht, wie es sich bei einem Frontalaufprall verhält“, meinte Grothaus. Bisher wurde das neuartige Schwungradsystem noch in kein Auto eingebaut. Entwickelt wurde es ursprünglich für den Fiat Cinquecento, es kann aber – so wie es bei den Chemnitzer Entwicklern steht – in Autos bis zur Golf-Klasse eingebaut werden, betont Grothaus. „Die Auto-Hersteller müssen sich nur dafür entscheiden.“ JO SCHILLING/WOP
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