Seitenaufprall birgt tödliches Risiko
Pkw-Flanken gelten als Achillesferse – denn der Seitenaufprall auf einen Baum ist für Insassen lebensgefährlich. Experten fordern vor allem bautechnische Maßnahmen an Straßen mit Baumbestand.
Kollisionen mit Bäumen rücken zunehmend ins Visier der Unfallforscher: Bei jedem vierten tödlichen Verkehrsunfall, im Nordosten Deutschlands sogar fast bei jedem zweiten, ist ein Baum mit im Spiel. Die Experten fordern deshalb neben einer weiteren Verbesserung des Insassenschutzes vor allem straßenbautechnische Maßnahmen an Straßen mit Baumbestand.
Seit die Pkw-Insassen dank optimierter Frontpartien und Rückhaltesysteme in modernen Autos wesentlich bessere Überlebenschancen haben, stellt sich immer mehr die Fahrzeugflanke als Achillesferse heraus. Durch konstruktive Maßnahmen lässt sich der Seitenschutz allerdings wegen der nicht vorhandenen Knautschzonen nur noch sehr begrenzt verbessern.
Herkömmlichen Gurtsysteme bieten beim Seitencrash wenig Schutz, da Oberkörper und Kopf nach links und rechts pendeln können. Seitenairbags wie der Seitenvorhang (Inflatable Curtain) von DaimlerChrysler und Volvo oder die in BMW-Modellen eingebaute „Weißwurst“ – offizielle Bezeichnung: Inflatable Tubular Structure – mindern zwar die Unfallfolgen, können aber nur bis zu Kollisionsgeschwindigkeiten von rund 30 km/h wirksam Schutz leisten. Das größte Verbesserungspotenzial steckt daher im Elektronischen Stabilitäts-Programm (ESP), um die Schleudergefahr und den dadurch drohenden seitlichen Aufprall auf Bäume oder Masten möglichst zu verhindern.
Ein Abkommen von der Fahrbahn war laut Statistischem Bundesamt 1999 (jüngere Zahlen liegen noch nicht vor) mit einem Anteil von 34,8 % eine der häufigsten Ursachen schwerer Verkehrsunfälle: 2702 Tote und 27 979 Schwerverletzte registrierte die Statistik. Zwei Drittel der getöteten Autoinsassen ( 1784) kamen bei einem Aufprall gegen einen Straßenbaum ums Leben.
Extrem gefährlich ist vor allem die seitliche Kollision: „Selbst bei relativ geringen Kollisionsgeschwindigkeiten kommt es zu massiven Fahrzeugverformungen. Den Insassen drohen gravierende Verletzungen im Oberkörper- und Kopfbereich“, sagte Dekra-Unfallforscher Jörg Ahlgrimm anlässlich eines gemeinsam mit der Schweizer Versicherungsgesellschaft Winterthur in Wildhaus/Schweiz durchgeführten Crashtests, bei dem ein Ford Escort mit 49 km/h seitlich gegen einen Baum prallte. Das Ergebnis: A-Säule und Tür wurden etwa 30 cm tief eingedrückt, ein Beifahrer hätte vermutlich keine Überlebenschancen gehabt. „Bei einem Seitenaufprall muss bereits ab etwa 25 km/h mit tödlichen Verletzungen gerechnet werden“, so Ahlgrimm. „Bei einem Frontaufprall beständen dagegen sogar noch bei 50 km/h Überlebenschancen.“
Nicht umsonst gelten die zahlreichen Alleen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern als berüchtigte Todesstrecken. Untersuchungen belegen, dass – rein logisch nicht nachvollziehbar – die gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeiten in Alleen deutlich höher sind als auf freier Strecke. An Sonntagen entsteht dort ein das Auge irritierendes Licht- und Schattenspiel. Dieser Stroboskopeffekt vermindert offensichtlich bei vielen Fahrern die Wahrnehmungsfähigkeit.
Gut gemeinte Orientierungshilfen wie die sogenannten Baumspiegel – weiß markierte Ringe um den Baumumfang – haben sich als kontraproduktiv erwiesen: Besonders bei Nacht neigen viele Fahrer dazu, diese Markierungen zu fixieren wie das Kaninchen die Schlange, statt sich auf Verkehr und Straßenführung zu konzentrieren. Leitplanken sind ebenfalls nicht die optimale Problemlösung: Wie die Crashversuche in Wildhaus zeigten, fangen sie zwar ein schleuderndes Fahrzeug ab, können es aber anschließend auch wieder in den Gegenverkehr leiten.
Um die baumbestandenen Todesstrecken zu entschärfen, fordern die Unfallforscher von Dekra und Winterthur neben intensiv überwachten Tempolimits und Überholverboten optische Leiteinrichtungen auf und unmittelbar neben der Fahrbahn. Beim Neubau von Straßen sollten Bäume, wenn überhaupt, nur in ausreichender Entfernung gepflanzt werden – mindestens 6 m bei Tempo 80 km/h und 8 m bei Tempo 100 km/h.
Ökologisch und sicherheitstechnisch sinnvoller sei jedoch die Anpflanzung von Büschen und Sträuchern. Ein gleichfalls in Wildhaus durchgeführter Crashtest eines zweiten Ford Escort, der mit 49 km/h breitseitig in eine Buschgruppe schleuderte, ergab ein ungleich harmloseres Schadensbild. „Bei einem Buschaufprall sind die auf die Insassen einwirkenden Kräfte rund acht Mal geringer als bei einer Baumkollision“, resümierte Anton Brunner, Leiter der Winterthur-Unfallforschung. „Unsere Forderung an die Straßenbauer heißt deshalb: Büsche statt Bäume.“
HANS W. MAYER/WOP
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