Abheben für alle: Airbus A320 mit dem Flugsimulator selbst steuern
Flugsimulator: Viele träumen davon, einmal eine A320-Maschine zu steuern. Im Aerotask-Simulator haben sie die Gelegenheit dazu. Ein Selbstversuch.
Krampfend umschließen meine Finger den Steuerknüppel. Eine Nuance zu weit nach rechts, eine verunglückte Korrektur nach links, und schon geraten die Wolken um mich herum in Schieflage. Kurs halten. Kurs halten. Die vermeintlich simple Aufgabe erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Die Augen richten sich leicht zusammengekniffen auf den kleinen Bildschirm vor mir. Zwei weiße Striche, die die Tragflächen eines Fliegers markieren, meines Fliegers, brechen immer wieder aus. Fliegen ist Präzisionsarbeit. Ich bin völlig darin gefangen, das fragile Gleichgewicht zu halten. Die vielen leuchtenden Knöpfe um mich herum, den Schubhebel, den ich grundlos mit der schwitzigen rechten Hand umklammere, nehme ich kaum noch wahr. Der Ausspruch meines Großvaters, eines leidenschaftlichen Segelfliegers, kommt mir in den Sinn: „Runter kommt man immer.“ Runter? Jetzt erst kommt es mir wieder zu Bewusstsein: Ich habe keinen Zentimeter vom Boden abgehoben.
Airbus A320: Lizenz zum Fliegen ist nicht nötig
Statt in einem Airbus A320, der hoch oben am Himmel steht, wie mir der Simulator vorgaukelt, sitze ich im fensterlosen Keller eines Hotels im rheinländischen Meerbusch nahe Düsseldorf. Das Cockpit, in das ich vor wenigen Minuten gestiegen bin, endet unmittelbar hinter dem Pilotensitz. Einen Pilotenschein habe ich nie erworben, ein Flugzeug immer nur als Passagier betreten.
Eine Lizenz zum Fliegen ist auch gar nicht nötig, denn Vorkenntnisse braucht hier niemand. Im Simulator der Firma Aerotask, erst 2012 gegründet und bereits an acht Standorten deutschlandweit vertreten, lassen sich Verkehrsmaschinen vom Airbus A320 über die Boeing 737 bis zum riesigen A380 probefliegen. Angeleitet werden die neugierigen Gäste von erfahrenen Piloten.
Heute haben wir, Sarah Janczura und André Weikard, unsere erste Flugstunde. Unser Instruktor Sven Marburger, selbst langjähriger Berufspilot, nimmt uns in der Vorhalle des Hotels in Empfang und führt uns in den Nachbau des Airbus-Cockpits. Die Räumlichkeiten sind von überschaubarer Größe, und doch ist die Illusion perfekt. So müssen Piloten sich jeden Tag beim Betreten ihres Arbeitsplatzes fühlen. Auf dem Armaturenbrett prangen hunderte beleuchtete Schalter in der sonst eher düsteren Kammer. Zwei Sitze warten darauf, dass Pilot und Co-Pilot Platz nehmen.
„Die Nachbildung ist sehr detailgenau“
Gesagt, getan. Nach einer kurzen Einweisung durch den früheren Air-Berlin-Piloten kann der Flug beginnen. Viel Platz für die Beine ist hier nicht, warum sollte es den Piloten auch besser ergehen als den Passagieren in der Fluggastkabine weiter hinten? Dafür sind auf dem engen Raum, umso mehr Knöpfe und Tasten untergebracht. „Die Nachbildung ist sehr detailgenau“, sagt Marburger. Das Overhead Panel sei zum Beispiel originalgetreu aus dem Airbus A320 übernommen. Die beiden Flugschüler, derer sich Marburger an diesem Tag annimmt, müssen es ihm glauben. Sie haben noch kein Cockpit von innen gesehen. Da kommen ganz andere Besucher.
„Eine gute Landung ist eine, bei der alle Fluggäste überleben, und eine sehr gute die, bei der man nachher das Flugzeug noch benutzen kann.“ Sven Marburger, Berufspilot und Instruktor bei Aerotask in Meerbusch.
Aerotask zieht Ingenieure an
Der Simulator von Aerotask zieht Ingenieure und andere Technikbegeisterte an, die sich weniger dafür interessieren, wie die Maschine, deren Imitat sie vor sich haben, zu lenken ist, als welche technischen Eigenschaften sie hat. Das Spektrum der Schnupper-Flugkapitäne reicht darüber hinaus vom ehemaligen Flieger, der mit Kapitänsmütze zum simulierten Freizeitflug erscheint, bis zu Kindergeburtstagsgästen.
„Viele angehende Piloten kommen hierher, um für das Assessment Center bei Eurowings zu üben“, weiß Marburger.
Im Gegensatz zu den professionellen Full-Flight-Simulatoren, deren Cockpit auf gewaltigen Plattformen hydraulisch die Schnauze hebt und senkt, beschränkt sich die Illusion bei Aerotask auf eine 180°-HD-Projektion. Keine Motorengeräusche, kein Ruckeln, kein Kerosingeruch. Dafür ist der Testflug hier zu Preisen unter 100 Euro zu haben. In Profianlagen wird nicht selten der sechsfache Preis je Stunde fällig.
„Und die Anlage hier ist in mancher Hinsicht den Ausbildungssimulatoren überlegen“, erzählt Marburger.
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Die Aussicht aus dem Cockpitfenster, die im Grunde auf der Programmierung von entsprechender PC-Software beruht, ist nämlich überaus detailverliebt. 24.000 Flughäfen weltweit können hier virtuell angeflogen werden. Flughafengebäude und Sehenswürdigkeiten entlang den Flugrouten sind akribisch nachgebildet. Details, auf die man in der nüchternen Pilotenausbildung verzichtet.
„Da drüben sehen wir zum Beispiel gleich den Kölner Dom“, sagt Marburger.
Ich luge nur kurz im Augenwinkel in die Richtung, die sein Finger anzeigt, schließlich habe ich noch immer eine Verkehrsmaschine auf Kurs zu halten und weiß nach der ersten Viertelstunde am Steuer bereits nur zu gut, dass jede Unaufmerksamkeit bitter bestraft wird. So bin ich denn auch mehr erleichtert als enttäuscht, als der Pilot erklärt: „Ausfälle von Triebwerken oder einen Brand simulieren wir heute noch nicht. Beim ersten Mal reicht es, ein Gefühl für die Maschine zu bekommen.“ Doch auch das kann Aerotask.
Piloten nehmen Aussichten auch mit dem Smartphone auf
Auf Knopfdruck wird ein technischer Notfall simuliert, von Blitzen durchzuckte Gewitterwolken ziehen auf oder Schneefall setzt ein. Die Wetterszenarien wirken zum Teil recht bedrohlich. „So ein Unwetter würde man in der Realität umfliegen“, sagt der Pilot hinter uns. Bei guter Wetterlage ist die Aussicht dagegen beeindruckend – das muss mit dem Smartphone aufgenommen werden, auch wenn es kein „echter“ Ausblick auf die Rheinregion ist, die wir gerade überfliegen. Marburger schmunzelt. „Wir zücken auch oft das Handy und nehmen die Aussicht auf“, sagt er und kramt sein Smartphone aus der Tasche. Die Fotos, die er im Schnelldurchlauf durchscrollt, zeigen spektakuläre Polarlichter, Wüstenlandschaften, Urwälder und gewaltige Sonnenuntergänge.
Die Frage drängt sich auf: Was bringt den gut verdienenden Piloten dazu, sich nebenberuflich im Simulator zu tummeln? „Wir haben hier Spaß daran, den Besuchern die Technik des Flugzeugs näherzubringen“, sagt Marburger. Zwischen seinen Flügen, die häufig Ziele in Fernost ansteuern, liegen oft mehrtägige Pausen. Da biete sich die Tätigkeit im Simulator als Zusatzbeschäftigung an. Man glaubt es dem Luftfahrt-Enthusiasten, dass er sich wohler im Cockpit einer Verkehrsmaschine fühlt als auf dem heimischen Sofa. Und er ist damit längst nicht alleine.
Mit den Jahren hat sich eine große Internet- Community gebildet, die sich zum Teil intensiv und mit großem Ernst mit Flugsimulatoren befasst. Auf vatsim.net finden regelrechte Aufnahmeprüfungen statt, der sich all jene stellen müssen, die beim simulierten Flugbetrieb der Online-Fangemeinde „mitspielen“ wollen. „Das ganze wird echt auf einem hohen Niveau abgehalten“, bestätigt der Instruktor. Bei manchen Hobbydigitalpiloten ist die Liebe zur virtuellen Weltreise so groß, dass sie sich eigene Simulatoren anschaffen. Die schlagen allerdings mit Kosten von 50.000 Euro bis 70.000 Euro zu Buche. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, über solche Liebhaberei zu staunen. Denn für das Pilotenteam geht es nun an die Landung.
Im Landeanflug: „fasten your seatbelt“
Ein gelungenes Aufsetzen müsse dabei gar nicht immer besonders sachte vonstatten gehen, erfahren wir. Im Fachjargon spricht man zum Beispiel von einer „positiven Landung“, wenn der Pilot bei nasser Landebahn die Reifen hart in die Fahrbahn drückt. Nur so sei es möglich, den dünnen Wasserfilm zu durchstoßen, direkten Bodenkontakt herzustellen und Aquaplaning zu vermeiden. „Überhaupt ist eine gute Landung eine, bei der alle Fluggäste überleben, und eine sehr gute die, bei der man nachher das Flugzeug noch benutzen kann“, scherzt Marburger. Viel kaputt machen kann ich im Simulator nun nicht. Und das ist auch gut so. Denn die Landebahn die unerbittlich auf mich zukommt, steht doch recht schief zum eingeschlagenen Kurs. Landeklappen ausfahren. Mach du das. Ich kann jetzt nicht aufschauen. Irgendwo da drüben müssen die Knöpfe sein. Noch mal drücken, dann leuchtet auch das Signal „fasten your seatbelt“, „Schnallen Sie sich bitte an“, in der erdachten Passagierkabine auf.
Nicht so wichtig jetzt. Kurs halten. Kurs halten. Aufsetzen. Schubumkehr. Langsam, aber sicher gleitet unsere Maschine übers Rollfeld. Leider so schräg, dass sie schließlich ein gutes Stück abseits davon zum Stehen kommt. Applaus ist an dieser Stelle freilich keiner zu hören. Eine tröstende Belobigung durch den begleitenden Piloten gibt es dennoch. „Fürs erste Mal war das schon ordentlich. Da haben wir schon andere Landungen hier gesehen.“ Und ganz ehrlich: Auch für geübte Flieger sei die Landung noch immer eine Herausforderung an die Konzentrationsfähigkeit, sagt Marburger.
Autonomes Fliegen schreitet voran
Wenn sie denn überhaupt noch manuell ausgeführt wird. Die Entwicklungen im Bereich autonomes Fliegen schreiten unaufhaltsam voran. Marburger bangt dennoch nicht um die Zukunft seines Berufsstandes.
„Sicherlich kommt das vollautonome Fliegen eines Tages, aber man darf das fehlende Vertrauen der Passagiere in die Technik nicht unterschätzen.“
Die erwarteten schließlich noch immer, dass ein Mensch vorne im Cockpit sitzt, der im Notfall eingreifen kann. Und so liegt die Zukunft, in der gewaltige Verkehrsflugzeuge nur noch im Simulator von Hand gesteuert werden, noch in weiter Ferne. Wir Bruchpiloten sind nach der guten Stunde im Simulator jedenfalls einigermaßen erschöpft. Bei unserem nächsten Flug werden wir sicher mit anderen Augen ins Kapitänscockpit spähen – und mit gehörig Respekt für die Leistung der Piloten.
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