IAA 2011 09.09.2011, 12:07 Uhr

Start-Stopp-Systeme im Trend

Die 64. Internationale Automobil-Ausstellung in Frankfurt am Main (15. bis 25. September) wird zeigen, dass Start-Stopp-Systeme kennzeichnend für neue Pkw sein werden, ganz abgesehen von Hybridantrieben. Schon 2015 dürften laut Zulieferer Johnson Controls 70 % aller Neuwagen weltweit mit Start-Stopp-Funktion ausgeliefert werden. Dank optimierter Batterien sollen sie den Spritverbrauch im Stadtverkehr bis zu 20 % senken. Systemlieferanten wie Bosch und Continental treiben die Technik mit Macht voran.

Rasant wächst der Markt für Start-Stopp-Systeme. Allein der weltweit größte Automobilzulieferer Bosch wird seine Produktion laut Bernd Bohr, Vorsitzender des Bosch-Unternehmensbereichs Kraftfahrzeugtechnik, in 2011 gegenüber dem Vorjahr auf 2,6 Mio. Einheiten verdoppeln. Schon 2013 dürfte nach den Angaben des Stuttgarter Konzerns jeder zweite Neuwagen in der EU mit Start-Stopp-Technik ausgerüstet sein.

Eine schnellere Marktdurchdringung der Start-Stopp-Technik erwartet nach jüngsten Prognosen der US-Zulieferer Johnson Controls (JC). Demnach soll der Markt für Start-Stopp-Systeme bis 2015 auf 35 Mio. Einheiten wachsen. Damit würden dann 70 % aller Neuwagen weltweit mit Systemen ausgeliefert, die Verbrennungsmotoren bei Zwischenstopps automatisch ab- und wieder anschalten. Im neuen europäischen Normzyklus (NEFZ) sollen sie den Kraftstoffverbrauch um etwa 4 % senken. Im Stadtverkehr sind es laut Bosch 8 %, laut JC sogar bis zu 12 %.

Zulieferer JC ist Marktführer für Start-Stopp-Batterien

Zulieferer JC mit deutschen Batteriewerken in Hannover und Zwickau ist nach Aussagen seiner Sprecherin Ina Longwitz Marktführer für Start-Stopp-Batterien „mit weit über 50 % Marktanteil“. Angesichts des prognostizierten Marktwachstums baue man die Kapazitäten derzeit massiv aus.

„Wir investieren rund 275 Mio. € in unsere zwei deutschen Werke und schaffen dort 300 Stellen, um unsere Produktion hierzulande bis 2013 auf 11,2 Mio. Start-Stopp-Batterien jährlich zu steigern“, sagte sie den VDI nachrichten.

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Da JC ebenso die Produktion in den USA aufstocke, werde die Kapazität innerhalb der nächsten beiden Jahre von 3,5 Mio. auf gut 18 Mio. Einheiten jährlich wachsen. Ob auch die teils im Bau befindlichen chinesischen JC-Werke Start-Stopp-Batterien fertigen werden, ließ Longwitz offen.

Klar ist aber, dass die Start-Stopp-Technik nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ vor einem Schub steht. Laut Longwitz machen die Ingenieure und Chemiker des Zulieferers rasche Fortschritte bei der Leistungsfähigkeit der Batterien.

Weil einfache Bleibatterien von den häufigen Neustarts des Verbrennungsmotors überfordert sind, kommen dort nur die zyklenfesteren Absorbent-Glass-Mat(AGM)- oder die etwas günstigeren Enhanced-Flooded-Batterien (EFB) zum Einsatz. Schlüssel zu deren Zyklenfestigkeit sind spezielle Vliese, die bei AGM-Batterien den Elektrolyt und in EF-Batterien die Aktivmaterialien stabilisieren.

Start-Stopp-Systeme: Kraftstoffverbrauch im Stadtverkehr um bis zu 20 % senken

„Unsere nun erzielten Verbesserungen betreffen sowohl die Batteriechemie, als auch die Vliese und Schnittmuster“, erklärte Longwitz. Die Start-Stopp-Systeme der nächsten Generation könnten dank der Optimierung den Kraftstoffverbrauch im Stadtverkehr bis zu 20 % statt bisher um 12 % reduzieren. Denn sie erlaubten nicht nur zusätzliche Motorstopps, auf welche die Systeme bisher bei niedrigem Ladestatus der Batterien verzichteten. Sie können auch stärker zur Versorgung der elektrischen Verbraucher im Bordnetz beitragen und der Elektrifizierung weiterer Nebenaggregate Vorschub leisten.

Die Lieferanten der Systeme sehen das Potenzial der Start-Stopp-Technik ebenso noch nicht ausgereizt. So wird Bosch auf der IAA Systeme mit zusätzlicher Segelfunktion präsentieren, die im EU-Normzyklus „kombiniert“ den Kraftstoffverbrauch um 5 % und im Stadtverkehr bis 15 % reduzieren sollen.

Dafür wird der Verbrennungsmotor schon beim Ausrollen vor roten Ampeln, Stauenden oder Ortsschildern abgestellt, wenn der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt. Springt die Ampel auf Grün, ehe das Fahrzeug zum Stehen kommt, reicht ein Tritt aufs Gas, um den Motor wieder zu starten. Damit das ruckelfrei geschieht, werden Drehzahl von Motor und Starter vor dem Wiederanlassen binnen Millisekunden synchronisiert. Auch Continental setzt auf diese „Segelfunktion“.

Die Entwickler setzen zudem bei Continental wie die Kollegen beim französischen Zulieferer Valeo auf zusätzliche Energiespeicher, um Spannungsspitzen durch die häufigen Startvorgänge abzufedern. Beide nutzen dafür zusätzlich zu den herkömmlichen Bleibatterien Superkondensatoren. Diese „Supercaps“, die per Bremskraftrückgewinnung oder generatorischem Betrieb des Startergenerators in Sekunden voll geladen sind, können die Energie ebenso schnell wieder abgeben und 500 000 Ladezyklen aushalten.

Dank dieser schnell verfügbaren Energiereserve können die Systeme jeden kurzen Halt zum Abschalten des Verbrennungsmotors nutzen und ihn ebenfalls schon beim Ausrollen stoppen. Wie Bosch setzen Continental und Valeo den Verbrauchsvorteil ihrer Systeme im Stadtverkehr jeweils bei etwa 15 % an.

Start-Stopp-System von Continental: Supercaps, Starter-Generator und Spannungsmanagement

Im System von Continental spielen neben den Supercaps ein 2,2 kW starker Starter-Generator und ein Spannungsmanagementmodul die Hauptrollen. Das Zusammenspiel der drei zentralen Komponenten stabilisiert das Bordnetz, wenn neben den zusätzlichen Motorstarts weitere elektrische Verbraucher wie Infotainment, Beleuchtung oder Klimaanlage Strom ziehen.

Damit das Stoppen des Verbrennungsmotors nicht zu Lasten von Sicherheit und Komfort gehen, überwachen Sensoren im Vorfeld, ob im Bremskraftverstärker genug Unterdruck herrscht, die Funktion der Pumpen in Automatikgetriebe für die nächste Gangwahl reicht oder inwieweit der Startergenerator bei entsprechender Systemauslegung sogar dazu beitragen kann, die Geschwindigkeit beim Segeln konstant zu halten.

Exakt diese Mikrohybridisierung treibt Valeo derzeit im Zuge des französischen Förderprogramms „Mild Hybride Généralisable“ voran. Dabei wird ein leistungsstarker Startergenerator den Verbrennungsmotor nicht nur nach dem vorübergehenden Abschalten anlassen, sondern ihn zuweilen auch mit elektrischer Antriebsleistung unterstützen.

Den Strom für die Unterstützung liefern die während Bremsmanövern per Motorbremse geladenen Supercaps; wobei Teile des rückgewonnenen Stroms auch über einen Spannungswandler ins Bordnetz eingespeist werden.

An dem Förderprogramm wirkt der PSA-Konzern (Peugeot/Citroën). Ziel ist es, über den punktuellen Elektroantrieb des Startergenerators die Zahl der Zylinder des Verbrennungsmotors reduzieren zu können und die Drehmomentschwäche des kleineren Motors bei niedrigen Drehzahlen durch die E-Maschine mit 10 kW bis 15 kW auszugleichen. Valeo will so den Verbrauch von Benzin- und Dieselmodellen durch die milde Hybridisierung durchschnittlich um jeweils 15 % bis 20 % zu senken. Erste Serieneinsätze der Technik sind für 2013 geplant.

 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

  • Wolfgang Pester

    Ressortleiter Infrastruktur bei VDI nachrichten. Fachthemen: Automobile, Eisenbahn, Luft- und Raumfahrt.

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