Tempolimit reicht nicht zur Mobilitätswende: „CO2-Preis ist deutlich zu niedrig angesetzt“
Geschwindigkeitsbegrenzungen wie das Tempolimit auf deutschen Autobahnen lösen nicht die Probleme der Mobilitätswende. Warum das Tempolimit aber unsere Denkweise ändert, wie man lange Strecken zügig zurücklegt, erklärt Umweltökonom Grischa Perino. Vor allem im CO2-Preis sieht er noch Handlungsbedarf.
Maximal 130 Kilometer pro Stunde sollen auf deutschen Autobahnen erlaubt sein. Ginge es nach Annalena Baerbock, würde sie als erste grüne Bundeskanzlerin, das Tempolimit auf Autobahnen umgehend umsetzen. Die Debatte ist so alt wie das Auto selbst – und Streit vorprogrammiert. Grischa Perino, Professor für Ökologische Ökonomie an der Universität Hamburg, erklärt im Interview, warum das Tempolimit nur ein kleines Puzzleteil in der Mobilitätswende darstellt und der CO2-Preis ausschlaggebend ist.
Tempolimit: Was sich jetzt auf deutschen Autobahnen ändert
ingenieur.de: CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hält Tempo 130 auf Autobahnen für „unlogisch“. Als Argument greift er nach der Elektromobilität. Gehen Sie da mit oder wie stehen Sie zu der Aussage?
Grischa Perino: Es gibt eine Reihe von Gründen, warum ein Tempolimit gefordert wird. In erster Linie geht es ja um die Unfallsicherheit und die hat erstmal nichts mit den Fahrzeugtypen zu tun. Solange Menschen ein Auto steuern ist die Antriebsart des Fahrzeugs für die Sicherheit auf Autobahnen irrelevant. Die Aussage von Armin Laschet bezieht sich auf die CO2-Emissionen. Bei der Fahrt sind diese bei einem E-Auto bei Null. Doch auch bei einem Elektroauto gilt, dass wie bei einem Verbrenner der Energieverbrauch mit der Geschwindigkeit steigt. Wenn man sich der 130 km/h nähert, zieht auch der Elektromotor deutlich mehr Energie. Das reduziert die Reichweite und auch der Strom für die E-Autos muss produziert werden. In Bezug auf die Abgase, die direkt auf der Autobahn entstehen, hat Armin Laschet schon recht, allerdings ist die Aussage zu kurz gedacht, denn je mehr Strom wir verbrauchen, desto schwieriger wird es, diesen Strom klimaneutral herzustellen. Größer gedacht, ist die Frage eher, wie wir zu einem anderen Mobilitätsverhalten kommen und hier kann ein Tempolimit auf Autobahnen einen wichtigen Beitrag leisten.
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Verändertes Mobilitätsverhalten umfasst viel mehr als das Tempolimit
Was umfasst nach Ihnen ein geändertes Mobilitätsverhalten?
Elektromobilität ist ein Schritt. In einem Konzept zum veränderten Mobilitätsverhalten gehören auch autonome Fahrzeuge, ein weiterer Ausbau der Bahnstrecken und die Integration verschiedener Verkehrsmittel. Selbstfahrende Autos auf einer Autobahn fahren zu lassen, auf der sich auch sehr viel schnellere, von Menschen gesteuerte Fahrzeuge bewegen, ist nach meinem Kenntnisstand eine erhebliche zusätzliche Hürde. Eine weitere Wirkung eines Tempolimits erfolgt über die Erwartungshaltung der Fahrerinnen und Fahrer. Wenn ich ohne Tempolimit auf den Autobahnen unterwegs bin, besteht ja die Erwartungshaltung, dass ich schnell weite Strecken zurücklege. Das stimmt zwar empirisch so nicht, hält den einzelnen aber nicht davon ab, zu optimistisch zu planen. Durch ein Tempolimit könnte sich die Denkweise ändern, wie man lange Strecken zügig zurücklegt. Wenn ein ICE zum Beispiel viel häufiger und hoffentlich auch verlässlich 250 km/h fährt, rücken alternative Mobilitätswege in den Fokus.
Dieser ICE ist der Güterzug der Zukunft
Entscheidungen innerhalb der Mobilität ziehen also enorme Kreise und bedingen wiederum andere Bereiche…
Ganz genau, in den letzten Jahrzehnten sind Motoren deutlich effizienter geworden – haben aber auch viel mehr PS als früher. Wenn wir diese Entwicklung auf E-Autos übertragen haben wir eines Tages starke Elektromodelle mit riesengroßen Batterien. Die Frage ist aber eher, wohin wir damit wollen. Wenn man praktisch nirgends mehr schneller als 130 fahren darf, macht es wenig Sinn, Autos zu bauen, die so ausgelegt sind, dass sie 200 fahren können. Das spart Ressourcen. Da kann ein Tempolimit ein wichtiges Signal für Konstrukteure, Hersteller und das Mobilitätsverhalten der Fahrenden sein. Alle Probleme löst solch eine Geschwindigkeitsbegrenzung aber nicht. Für mich ist es ein Puzzleteil.
„Ein wichtiges Puzzleteil ist der CO2-Preis“
Welche Puzzleteile werden denn noch benötigt, um ein komplettes Bild der Mobilität der Zukunft zu schaffen?
Ein wichtiges weiteres Puzzleteil ist der CO2-Preis – auf Benzin haben wir den ja schon seit Anfang des Jahres. Derzeit liegt der Preis bei 25 Euro pro Tonne CO2. Im Vergleich zu den Schäden, die dadurch verursacht werden, ist der Preis deutlich zu niedrig angesetzt. Das Ziel einer CO2-Steuer ist natürlich, dass die Verbraucher sich so verhalten, dass sie der Besteuerung möglichst aus dem Weg gehen, das heißt das Mobilitätsverhalten ändern. Dazu braucht es die Option, ausweichen zu können. Zuverlässige E-Autos mit Infrastruktur und Infrastruktur jenseits der Straße sind gefragt. Bürgerinnen und Bürger müssen die Chance haben, sich sehr gut ohne eigenes Auto fortbewegen zu können. Investitionen in die Bahn und E-Mobilität versetzen alle in die Lage, klimafreundlichere Entscheidungen zu fällen. Ich habe größere Sympathien für Anreize als für Verbote – und das Tempolimit ist ja eine Art von Verbot. An bestimmten Stellen können Verbote aber eine Signalwirkung erreichen, die andere Regulierungselemente nicht erzielen. Das Maß muss aber stimmen.
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Ergibt Ihre Forschung einen zeitlichen Horizont, wann wir in der Mobilität der Zukunft angekommen sind?
Hier kann ich nur sagen: Wir müssen jetzt sehr schnell die Infrastruktur umbauen. Bei jeder Investition, egal ob privat oder öffentlich, muss man sich überlegen, ob sie mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 vereinbar ist. Infrastruktur-Projekte haben ja Lebenszyklen von 50 Jahren und länger. Mobilitätsprojekte, die heute angestoßen werden, müssen in 20 Jahren CO2-neutral sein – möglichst ohne, dass in erheblichem Umfang nachgebessert werden muss. Das ist eine riesengroße Herausforderung – vor allem da dies erhebliche politische Koordination erfordert. Länder und Kommunen müssen abgestimmte Pläne haben, bei denen immerhin die Schnittstellen zusammenpassen. Wichtig ist, dass alle mitziehen, ansonsten entsteht zu viel Sand im Getriebe. Privathaushalte und Unternehmen müssen bei diesen Schritten mitgenommen werden. Das geht am besten durch verlässliche Rahmenbedingungen. Das Tempolimit ist hier ein kleiner Baustein, der wirken kann. Doch nur wenn auch die anderen Maßnahmen schnell greifen, kann die Mobilitätswende gelingen. In 60 Jahren haben wir es vielleicht auch mit einem ‚weiter so‘-Ansatz geschafft, aber das ist dann zu spät.
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Ingenieure und Ingenieurinnen können Verhalten der Mobilität ändern
Welche Denke sollten Ingenieure und Ingenieurinnen in den kommenden 20 Jahren haben?
Technologie spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle – sei es Optimierungen, bei Techniken, die wir schon kennen, oder bei Entwicklungen, die noch entstehen. Alles, was Ingenieure und Ingenieurinnen in dieser Richtung tun, macht es uns leichter die Ziele zu erreichen. Der andere Baustein ist die politische Steuerung. Das habe ich selbst in Forschungsprojekten erlebt. Technologisch geht schon vieles, doch für Unternehmen macht es oft keinen Sinn, es umzusetzen, da die politischen Bedingungen es unwirtschaftlich machen. Regulierungen sind oftmals 20 Jahre alt und älter und auf die Technologien und politischen Zielen von damals zugeschnitten. Diese Steine aus dem Weg zu räumen, ist sehr schwer. Ich denke es kommt vor allem darauf an, technologische Entwicklungen zu entwerfen, die es leicht machen Verhalten in der Mobilität zu ändern.
Schwebt Ihnen da etwas Konkretes vor?
Die Koordination der Vernetzung zum Beispiel. Wenn ich als Reisender über mehrere Verkehrsmittel von A nach B will. Vor allem im ländlichen Raum. Mir schwebt da ein Shuttleservice vor, der mich vor der Haustür abholt und zum Regionalverkehr bringt. Der gefühlte Komfort und die Sicherheit sind wichtig. Das könnte auch eine Kapsel vor dem Haus sein, die mir das Feeling gibt, dass ich mich in meinem Auto befinde. Diese Kapsel wird abgeholt und zu einem Sammelpunkt gebracht, an dem andere Kapseln angekoppelt werden. Dann sitzt man vielleicht in einer Art ICE und merkt es gar nicht.
Befindlichkeiten der Menschen ernst nehmen – vielleicht sogar ausnutzen
Spannende Vorstellung…
Ja, man hat sozusagen einen eigenen Space und ob man sich in den öffentlichen Raum eines Verkehrsmittel begibt und den anderen Menschen, mit denen man befördert wird begegnet, ist einem selbst überlassen. Das ist nur eine Idee, da gibt es sicher noch viele andere – und bessere – von Ingenieuren und Ingenieurinnen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, die Befindlichkeiten der Menschen ernst zu nehmen – vielleicht sogar auszunutzen – um sie zu nachhaltigeren Lösungen zu bewegen. Technologien, die das erleichtern, sind ein wichtiger Beitrag zur Mobilitätswende.
Warum brauchen wir eine Mobilitätswende?
Der Straßenverkehr verursacht nicht nur klimaschädliches CO₂, sondern sorgt für Staus und eine sinkende Lebensqualität in Städten. Eine Mobilitätswende beinhaltet aber auch mehr als das Aus des Verbrenners. Die Mobilitätswende beinhaltet ein Umdenken. Ausbau von Städten, neue Radwege oder Elektroroller verändern die Fortbewegung. Ein Ziel der Mobilitätswende ist die Einsparung von Kohlenstoffdioxid.
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren durch Elektro- oder Hybridfahrzeuge zu ersetzen stellt nur einen Teilerfolg dar. Zwar würde die Luft in den Städten sauberer und der Straßenverkehr insgesamt leiser, dennoch bliebe ein hohes Verkehrsaufkommen. Nicht nur die Antriebstechnik bedarf Veränderung, auch unsere Einstellung zur Mobilität. Dazu muss das Angebot an Alternativen stimmen. Car-Sharing-Services und ein attraktives, schnelles Bahnnetz gehören dazu. Politiker und Städteplaner sind gefordert.
Die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik bietet Ingenieuren und Ingenieurinnen rund um die Verkehrsträger Straße, Schiene, Luft und Wasser eine fachliche Heimat. Sie befasst sich mit Aspekten rund um Mensch und Mobilität.
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