Unfallserie wirft Fragen zur Sicherheit der Bahn auf
Der schwere Eisenbahnunfall im spanischen Santiago de Compostela und die Serie schwerwiegender Ereignisse in anderen Ländern hat die Frage nach den Sicherungssystemen in den Brennpunkt gerückt. Vor allem die Frage, ob Ähnliches auch in Deutschland zu befürchten ist.
Eine Katastrophe wie in Santiago de Compostela wäre in Deutschland nicht möglich. Nicht, weil die Risiken auf deutschen Strecken geringer wären, sondern weil Erfahrungen hierzulande schon viel früher gemacht und daraus die Konsequenzen gezogen wurden.
Ähnlich wie jetzt in Spanien entgleiste im Juli 1971 wegen zu hoher Geschwindigkeit der „Schweiz-Express“ Basel-Kopenhagen in einer Kurve bei Rheinweiler in Südbaden. Die Wellen der Empörung schlugen hoch, denn es war bereits der vierte Unfall in jenem Jahr. Wie in Spanien saß auch damals in Deutschland ein erfahrener Lokomotivführer auf der Lok. Er bremste vor der Kurve nicht rechtzeitig auf 75 km/h ab, sodass der Zug in der Kurve entgleiste und von der Böschung stürzte.
Die Bahn investierte nach Katastrophen in die Sicherheit
Die damalige Deutsche Bundesbahn investierte nach diesem Unfall im gesamten Netz in die Überwachung der Geschwindigkeit: Überall, wo sie um mehr als 20 % vermindert werden muss, wie vor engen Kurven, wurden Prüfabschnitte eingebaut, die zur Zwangsbremsung führen, wenn das Limit überschritten wird. Genutzt werden konnte dafür die weitgehend bereits vorhandene Induktive Zugsicherung (Indusi) mit ihrer Übertragungstechnik zwischen Gleis- und Fahrzeugmagneten.
Auch der Zusammenstoß zweier Züge in der Schweiz wenige Tage nach Santiago de Compostela hatte in Deutschland frühe Parallelen.
Im Dezember 1995 fuhr der legendäre „Gläserne Zug“ aus Garmisch-Partenkirchen aus, obwohl das Signal „Halt“ zeigte und ein Gegenzug nahte. Schon fünf Jahre zuvor war eine S-Bahn nach dem Halt in Rüsselsheim bei Frankfurt trotz „Rot“ abgefahren und mit einem Gegenzug zusammengeprallt. Diese Unfälle führten zu weiteren Investitionen. In die Fahrzeuggeräte der Zugbeeinflussung wurde eine Komponente implementiert, die „Weiterfahrt gegen ein ,Halt’ zeigendes Signal“ ausschließt.
Die Ursachen des Unfalls, der sich Anfang Juli in der kanadischen Provinz Quebec ereignete, wo Öl aus entgleisten Kesselwagen eines führerlosen Güterzugs in der Kleinstadt Lac-Mégantic zu einem Flammen-Inferno führte, lassen sich mit Technik kaum in den Griff bekommen.
Wenn ein Lokführer seinen Zug ohne hinreichende Sicherung einfach stehen lässt, kann die Zugbeeinflussung nur wirken, solange die Druckluftbremsen noch funktionsfähig sind. Bei einem abgestellten Zug entlüften sich die Bremsen jedoch mit der Zeit. Dann müssten Handbremsen angezogen oder Hemmschuhe vor die Räder gelegt werden.
Erst recht hilft Technik nicht gegen Vorsatz. Allem Anschein nach war bei dem Unfall im Pariser Vorort Brétigny-sur-Orge, wo der Schnellzug nach Limoges im Juli entgleiste, Sabotage mit politischem Hintergrund im Spiel.
Schnellzüge sind besonders sicher
Trotz der beträchtlichen kinetischen Energie, mit der sie unterwegs sind, haben sich die Hochgeschwindigkeitszüge als besonders sicher erwiesen. Tatsache ist: „Seit Inbetriebnahme der ersten Shinkansen-Strecke 1964 in Japan ist weltweit kein einziger Passagier auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke getötet worden“, schreibt der Schweizer Eisenbahnexperte Hans Bosshard. Kein anderes Verkehrsmittel erreiche dieses Maß an Sicherheit.
Das mag einerseits der bei diesen Zügen besonders umfassenden und sorgfältigen Kontrolle zu danken sein, zu einem guten Teil aber auch der viel weiter reichenden Sicherungstechnik.
Bis 160 km/h reicht das klassische System mit Vor- und Hauptsignalen aus. Schon 1965, als die Deutsche Bundesbahn zwischen München und Augsburg ihre ersten Schnellfahrten mit „Tempo 200“ unternahm, stand dafür ein zusätzliches Sicherungssystem zur Verfügung, die Linienzugbeeinflussung (LZB). Ein im Gleis verlegter Linienleiter wirkt dabei als langgestreckte Antenne, über die ständig Fahrinformationen zwischen Zug und Strecke ausgetauscht werden.
Wegen des mit höherer Geschwindigkeit zunehmend langen Bremswegs erfasst die LZB mehrere Blockabschnitte und erweitert die „Sicht“ des Lokomotivführers auf bis zu 5 km. Aufgesetzt darauf ermöglicht die automatische Fahr- und Bremssteuerung sogar völlig selbsttätige Fahrt ohne Zutun des Lokomotivführers. Allerdings endet dieses System vor den Endbahnhöfen, wo die Hochgeschwindigkeitsstrecken in die alte Infrastruktur einmünden.
Talgo-Schnellzug war 110 km/h zu schnell unterwegs
Der moderne spanische Talgo-Gliederzug „Alvia“ kann auf Hochgeschwindigkeitsstrecken bis zu 300 km/h erreichen, aber auch auf der iberischen Breitspur fahren. Entsprechend ist er mit zwei Sicherungssystemen ausgerüstet: Für das alte Netz mit der spanischen Zugsicherung ASFA und für die Schnellfahrten mit dem neuen European Train Control System (ETCS), das die Signale nicht mehr über eine Antenne im Gleis, sondern über sicheren Funk (GSM-R) überträgt.
Der Lokomotivführer, der unmittelbar nach der Katastrophe die Leitstelle informiert und zu hohe Geschwindigkeit eingeräumt hatte, wurde festgenommen. Er hat eingeräumt, mit Tempo 190 unterwegs gewesen ist, obwohl nur 80 km/h erlaubt sind. In einer langgezogenen Kurve entgleiste der Zug, 79 Menschen kamen ums Leben.
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