Automobilbau 10.12.2010, 19:50 Uhr

Unterwegs mit einem Knick in der Deichsel

Crashtest mit Anhänger. In Superzeitlupe bohrt sich die Deichsel des Anhängers ins Heck des Zugfahrzeugs und durchsticht die Rückbank. Vier Berliner Jungingenieure haben diesen Film vom TÜV Rheinland zum Anlass genommen, eine Sicherheitsdeichsel zu entwickeln. Anschließend scheute das Team keine Mühen, um sie zu erproben. Ursprünglich wollten sie dabei sogar selbst ans Steuer.

Gleich mehrere Professoren der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin waren sich in ihrem Urteil einig: „Das wird nicht funktionieren!“ Die Idee einer Sicherheitsdeichsel, die vier Studenten vorgetragen hatten, sei nett – aber untauglich. „Spätestens da wollten wir es wissen“, erinnert sich Robert Breitfeld, der 29-jährige Konstrukteur des Quartetts – und strahlt.

Hanns-Lüdecke Rodewald, Leiter des Laborkomplexes für Fahrzeugsicherheit an der HTW, hatte das Team auf die Idee gebracht. „Am Rande einer Vorlesung hat er uns Filme von Crash-Versuchen gezeigt, an denen er beteiligt war“, erklärt Stephan Rudolph, Sprecher der angehenden Ingenieure.

Die Bilder sind beeindruckend: Mit 800 kg Ladung im Schlepptau kracht ein Ford Escort frontal auf eine Crash-Barriere. In der Superzeitlupe springt die Deichsel von der Anhängerkupplung und dringt auf Höhe des Nummernschilds wie eine Lanze ins Heck. Die Anhängerlast schiebt nach und quetscht den Kofferraum zusammen, als wäre es eine leere Blechbüchse.

Passagiere auf der Rückbank hätten keine Chance: die Deichsel rammt mit Macht durch die Sitze – trotz Stufenheck. Bei einem Van mit drei Sitzreihen wäre der Crash wahrscheinlich noch fataler abgelaufen. „Und das bei 50 km/h und Auflauf-gebremstem Anhänger“, sagt Manuel Cech. Obwohl der 27-Jährige die Zeitlupe zum zigsten Mal sieht, klingt in seiner Stimme ein Staunen mit.

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Breitfeld, Rudolph und Cech war nach dieser Vorführung klar, dass etwas geschehen muss. Ihre Nachforschungen ergaben, dass hierzulande 5,2 Mio. Hänger zugelassen sind, deren maximale Gesamtlast kleiner oder gleich 3,5 t ist. Obwohl sie nur selten im Einsatz sind, gab es 2008 über 130 Schwerverletzte und neun Tote bei Unfällen mit Anhängern.

„Zu viele“, fand das aus früheren Projekten eingespielte Trio – und machte sich zusammen mit dem etwas jüngeren Kommilitonen Norman Steinke (25) daran, die Deichselproblematik zu entschärfen. Rudolph und Cech übernahmen die Berechnung der auftretenden Kräfte und Simulationen, Breitfeld den Part der Konstruktion und Steinke ging die Patentrecherche und die Analyse von Markt- und Unfalldaten an.

„Unser Ziel war eine robuste, simple und vor allem nachrüstbare mechanische Lösung für verschiedene Deichseltypen bis 3,5 t“, erklärt Breitfeld. Nach einigem Grübeln und Tüfteln entstanden erste Prototypen. An einem froschgrün lackierten Unikat erklärt der angehende Master-Ingenieur die Funktion. „In das üblicherweise gerade Stahlrohr der Deichsel haben wir einen V-förmigen Knick eingebaut. Am tiefsten Punkt befindet sich ein Gelenk.“ Steinke ergänzt: „Im Normalfall ist das Gelenk mit einem Bolzen blockiert. Durchmesser und Material des Bolzens sind so ausgelegt, dass Stöße bei normaler Fahrt ihm nichts anhaben können. Bei einem Unfall treten aber etwa 30 Mal stärkere Kräfte auf und lassen den Bolzen zerbrechen.“

Der Klappmechanismus wirkt dann wie eine Guillotine, der den Metallstift in drei Teile zerlegt. In diesem Fall klappt der vordere ansteigende Schenkel des Knicks auf den abfallenden hinteren und hebelt gleichzeitig die Deichsel aus der Kupplung. So hat der Hänger statt einer geraden Stahllanze ein um etwa 45 ° abfallendes Frontstück, das sich unter das Auto schiebt und dort einen Großteil der Aufprallenergie in den Asphalt ableitet. „Über den Bolzendurchmesser lässt sich das System an verschiedene Gewichtsklassen anpassen“, erläutert Cech.

So zumindest hatte es sich das Quartett überlegt und in einer Simulation vorgeführt. Doch ihre Professoren hatten nur besagtes Kopfschütteln übrig. Spätestens ab hier wird ihre Geschichte vom Hochschulprojekt zum Abenteuer.

Die Teammitglieder legten 400 € zusammen und kauften einen ausgedienten Gebrauchtwagen. Anschließend suchten sie nach einer Wand, wo sie ihr Fahrzeug ungestört crashen konnten.

„Wir dachten dabei an eine der Industriebrachen im Berliner Umland“, sagt Cech. Um zu testen, bei welchem Tempo der Bolzen bricht und die Deichsel einknickt, sollte einer von Ihnen sich mit Helm und Polsterschutz ans Steuer setzen. „Nur bis maximal 15 km/h. Anschließend wollten wir mit Stein auf dem Gaspedal und blockierter Lenkung einen Test bei 50 km/h machen“, erinnern sie sich feixend.

Soweit kam es nicht. Denn Steinke trat ein Praktikum bei dem Berliner Ingenieur- und Kfz-Sachverständigenbüro Priester & Weyde an. Als er den Unfallgutachtern von seinem Projekt erzählte, wurden diese hellhörig. Sie ließen sich den Prototypen vorführen – und sagten dem Team volle Unterstützung zu.

„Sie haben uns einen alten Ford Mondeo Automatik samt Anhänger hingestellt und uns vor allem professionelles Test-Equipment überlassen“, erzählen die Vier. Die Gutachter stellten die Hardware. Die Ausführung lag in Händen des Teams.

Statt einen der Ihren zu „opfern“, übernahm ein Lenkroboter den Fahrerjob. Zudem brachten sie Unfalldatenspeicher an Auto und Anhänger an, um die Geschwindigkeit und die Längs- und Querbeschleunigung beim Aufprall zu messen. Hochgeschwindigkeitskameras standen bereit, um den Crash zu dokumentieren. Und nicht zuletzt vermittelten ihnen die Gutachter ein legales Testfeld auf einem stillgelegten Armeeflughafen im brandenburgischen Neuhardenberg.

Perfekte Bedingungen also, zumal Experten des Gutachterbüros am Testtag selbst vor Ort waren, um Unfälle nachzustellen. Das Studententeam konnte bei Fragen auf sie zukommen. Ohne Eigenleistung ging es für sie aber nicht ab. „Die vorgesehene Mauer für unseren Versuch war zwar ideal“, berichtet Cech, „doch die Piste war leider von dichtem Gras überwachsen.“ Zwei Tage haben sie gehackt und geschaufelt, um 30 m freizulegen.

Dann der Testtag. Strahlend blauer Himmel. Die präparierte Betonpiste zwischen einem Kiefernwäldchen und alten Hangars endet an einer verwitterten schulterhohen Betonmauer. Der dunkelblaue Mondeo steht für seine letzte Fahrt bereit. Aus seinen offenen Türen ragen Beine und Hinterteile. Letzte Handgriffe vor dem finalen Knall. Auch am alten grauen Anhänger dahinter wird noch verkabelt und geprüft. Als Ladung dienen 300 kg schwere Betonbrocken. Zwischen Auto und Anhänger scheint das V der Knickdeichsel zu schweben. Die Spannung steigt. Auf beiden Seiten der Piste warten Freunde, Familien, Kommilitonen und Sachverständige, die aus halb Europa zu den Tests angerückt sind.

Endlich ist es soweit. Die Sensorik ist scharf geschaltet. Reifen von Auto und Hänger sind ebenso wie die Fahrbahn vor der Mauer mit weißer Farbe markiert. Der Lenkroboter ist präpariert. Steinke gibt das Startsignal. Der Motor des Mondeo heult auf, das Gespann nimmt Fahrt auf und schneller als gedacht macht es einen gewaltigen Rumms. Dann herrscht Stille. Niemand der Umstehenden weiß, ob es nun gut oder schlecht gelaufen ist. Bis die Vier losjohlen und sich abklatschen. Sie rennen auf ihre Knickdeichsel zu, die eingeklappt unter dem fast unversehrten Kofferraum des Mondeo ruht. Einzig der Auspuff ist nach dem Aufprall bei 40 km/h aus der Halterung gerissen. Tiefe Kratzer im Beton zeugen davon, dass der Plan der Energieableitung nach unten aufgegangen ist. „Besser hätte es gar nicht laufen können“, schwärmt Rudolph. Am Strahlen seiner drei Partner ist abzulesen, dass er nicht übertreibt.

Der Test hat ihre Konstruktion voll bestätigt. Wie es nun weitergeht? – „Wir sind mit einem Anhängerhersteller im Gespräch“, so Rudoph. Aber natürlich sei die Technik noch lange nicht serienreif. Lebensdauertests stehen aus, ebenso wie Gewichts- und Kostensenkung. Um zu demonstrieren, dass es auch filigraner geht, haben sie einen zweiten Prototyp gebaut. Sein V ist auf halber Höhe gekappt. Der Klappmechanismus funktioniert auch so. Ob er vermarktet wird? „Es wäre auf jeden Fall wünschenswert“, sagt Cech. Seit er gesehen hat, wie sich die Deichsel ins Auto gebohrt hat, rät er Freunden und Bekannten dringend ab, bei Fahrten mit Hänger jemanden auf die Rückbank zu setzen.

Doch die Vier wollen jetzt erstmal ihr Studium zu Ende bringen und auf Stellensuche gehen. Eine prima Referenz für ihre Bewerbungen ist das Projekt allemal. PETER TRECHOW

 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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