Variabler elektrohydraulischer Ventiltrieb senkt Kraftstoffverbrauch
Die erste echte voll variable Ventilhubsteuerung von BMW ist ein elektromechanisches System, das seit 2001 eingesetzt wird. Der Fiat-Konzern hat seit Kurzem begonnen, das elektrohydraulische System „MultiAir“ in Benzinmotoren seiner Marken Alfa Romeo und Fiat zu verwenden. Diese Ventilhubsteuerung wird vom Zulieferer Schaeffler gefertigt. Sie bietet mehr Freiheitsgrade als mechanische Systeme und kann auch an andere Hersteller geliefert werden. VDI nachrichten, Düsseldorf, 26. 3. 10, wop
Schon vor Jahrzehnten versuchten Ingenieure den Ventilhub während des Motorbetriebs kontinuierlich zu verstellen. Es kam nicht zur Serienreife, weil das wesentliche Element fehlte: die elektronische Regelung. 2001 wagte BMW als erster Hersteller eine voll variable Ventilhubverstellung in die Serie einzuführen, die durch Elektromotor und mechanisches Hebelwerk realisiert wurde.
Wie sinnvoll die kontinuierliche, voll variable Ventilhubverstellung für Otto- und Dieselmotoren ist, war den Motorenentwicklern längst bekannt. Die Versuche damit reichen bis zum legendären Motoreningenieur Wilhelm Maybach (1846 – 1929) zurück, der sich 1901 damit befasste. Seither dokumentieren nahezu unzählige Patente, dass sich praktisch alle Motorenhersteller intensiv damit beschäftigten. Zwischenstufen auf diesem Weg waren die Phasenverstellung von Nockenwellen und Hubverstellung in Stufen, die längst Eingang in die Serie fanden.
Vor 15 Jahren entstand bei Fiat die Idee einer elektrohydraulischen Hubverstellung, die mechanischen und rein elektrischen Systemen überlegen sein sollte. Sechs Jahre danach fand man in INA/Schaeffler, Herzogenaurach, einen Partner, der bereit war, die Entwicklung zur Serienreife zu übernehmen.
Die Ingenieure in Herzogenaurach hatten durch die Erforschung eigener Systeme bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet und gewährleisten die Fertigung in höchster Präzision. Die Schaeffler- Gruppe erwarb für das Fiat-System „MultiAir“ die Lizenz und ist in der Lage, jeden Motorenhersteller damit zu beliefern.
Das Debüt hatte das MultiAir-System im aufgeladenen Ottomotor des Alfa Romeo Mito. Der Fire-Ottomotor des Fiat-Konzerns mit 1,4 l Hubraum und vier Zylindern leistet 100 kW.
Bei dem Benziner mit Vierventiltechnik fehlt die Einlassnockenwelle. Stattdessen betätigen zusätzliche Nocken auf der Auslassnockenwelle über Kipphebel kleine Hydraulikzylinder (Geber). Diese arbeiten mit dem üblichen Motorenöl und bauen beim warmen Motor einen hydraulischen Druck bis 100 bar auf. Das Öl wird zu kleinen Hydraulikzylindern (Nehmer) geleitet, deren Kolben die zugehörigen Ventile betätigen. Es besteht also keine mechanische Verbindung zwischen Nocken und Ventil mehr. Werden die Nehmerzylinder drucklos, sorgen die üblichen Ventilfedern dafür, dass die Ventile auf ihren Sitz zurückkehren – gedämpft.
Damit dieses System in der Lage ist, die Ventile mit jedem beliebigen Hub zu betätigen, entwickelten Ingenieure der Schaeffler-Gruppe gemeinsam mit Spezialisten von Continental sehr schnell schaltende Magnetventile, die den Ölfluss entsprechend der Vorgabe des Motorsteuergeräts regeln. Im Ruhezustand, etwa bei Ausfall des Bordnetzes, sind die Ölkanäle offen, so dass die Kolben nicht gegen offene Ventile schlagen können. Ein zusätzlicher Druckspeicher sorgt dafür, dass die Ventile beim Motorstart sofort betätigt werden – ab minus 30 °C.
Das hydraulische System wird aus dem Motorölkreislauf heraus gespeist, überschüssiges Öl, das nicht mehr vom Speicher aufgenommen werden kann, fließt zurück in den Motor. Diese Lösung wurde dem separaten Ölkreislauf etwa mit Hydrauliköl vorgezogen. Dabei wurden auf den Prüfständen Motordrehzahlen bis 7200 min-1 gefahren, die bei aufgeladenen Motoren nicht üblich sind. Auch bei stark verschmutzten Motorenölen funktionierte das System einwandfrei.
Gegenwärtig versorgt ein Geberzylinder beide Einlassventile eines Zylinders. Dabei benötigen die Regelventile eines Vierzylinders bei Volllast zwischen 40 W und 70 W aus dem Bordstromnetz, im normalen Alltagsverkehr sind es 20 W bis 40 W. Sollte es sich als nützlich erweisen, könnte später jedes Einlassventil auch separat angesteuert werden, so die Entwickler bei Schaeffler.
Selbstverständlich beschränkt sich die Anwendung der MultiAir-Technik nicht allein auf Ottomotoren. Versuche mit Dieselaggregaten zeigten deutliche Verbesserungen der Abgaswerte und des Verbrauchs, wenn die Ventile variabel gesteuert werden.
Beim 1,4-l-Fire-Motor von Fiat wurden mit der MultiAir-Ventilsteuerung Verbrauchsreduzierungen bis 10 % erreicht, dazu 10 % mehr Leistung und 15 % mehr Drehmoment gemessen, vor allem bei niedrigen Drehzahlen. Das deckt sich mit den seinerzeit von BMW veröffentlichten Werten. Dabei sinkt der Ausstoß von CO und HC um etwa 40 %, der von NOx um rund 60 %. Beim Diesel sinkt der NOx-Ausstoß um etwa 30 % sowie bei CO und HC um etwa 40 %.
Fiat bestätigt mit MultiAir die Feststellung der VW-Forschung. Die hatte vor einigen Jahren die voll variable Ventilsteuerung als eine wichtige Voraussetzung für die Vereinheitlichung der Architektur von Otto- und Dieselmotoren bezeichnet, die letztlich zu einer neuen Motorengattung führen könne. Motoren mit homogener Kompressionszündung (Homogeneous Charge Compression Ignition -HCCI) rücken damit in greifbare Nähe, Untersuchungen laufen bereits.
Gegenwärtig arbeitet der Fire-Motor mit Saugrohreinspritzung, direkte Einspritzung ist der nächste Schritt. Da diese Ventilsteuerung nicht auf Motoren mit kleinem Hubraum beschränkt ist, haben bereits Hersteller von Großmotoren ihr Interesse bekundet, ebenso die Entwicklungsabteilungen anderer Automobilhersteller.
Der Vorteil der elektrohydraulischen Ventilhubsteuersystems für die Motorenhersteller ist, dass Schaeffler das gesamte System einbaufertig in ein Aluminiumbauteil untergebracht hat und die elektronische Funktionalität in das Motorsteuergerätes integriert werden kann.
Fiat hat mit MultiAir dem Motorenbau eine neue Richtung gewiesen. Interessant ist, ob das System von anderen Herstellern eingesetzt und weitere Systeme dieser Art entwickelt werden.
C. BARTSCH/W. PESTER
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