Viel Respekt vor strengen Prüfern
Die TÜV-Plakette wird in diesem Jahr 50. Doch eine regelmäßige Überwachung von Fahrzeugen gibt es bereits seit gut 100 Jahren. Inzwischen teilen sich zahlreiche Unternehmen den lukrativen Markt der technischen Überwachung.
Im Amtsdeutsch heißt sie „Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO“, der Volksmund nennt sie schlicht TÜV-Prüfung, obwohl sie längst auch von anderen Überwachungsorganisationen durchgeführt wird. Bei Neuwagen ist die erste Hauptuntersuchung nach drei Jahren fällig, danach alle zwei Jahre. Findet der Prüfer keine oder nur minimale Mängel, klebt er eine neue Plakette auf das hintere Nummernschild. Die feierte am 1. Januar dieses Jahres ihren fünfzigsten Geburtstag.
Mehr als doppelt so alt ist die regelmäßige Fahrzeugüberwachung. Am 15. Oktober 1910 hatte der Stuttgarter Dampfkessel-Revisionsverein eine neue Abteilung zur „Prüfung von Fahrzeugen und ihren Führern“ gegründet. Aus ihr ging 1938 der erste Technische Überwachungsverein (TÜV) hervor. Im selben Jahr wurde in der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) der noch heute gültige, wenn auch mehrfach modifizierte Paragraph 29 verankert, der die Vorführung des Fahrzeugs zur Hauptuntersuchung (Branchenkürzel: HU) vorschreibt.
Seit 1951 sind diese Überprüfungen in zweijährigem Turnus (Taxis und Mietwagen müssen jährlich vorgeführt werden) Pflichtprogramm für alle Fahrzeughalter. Damals bekamen sie noch von der Zulassungsstelle per Post eine schriftliche Aufforderung, sich mit ihrem Auto oder Motorrad bei der örtlichen TÜV-Prüfstelle einzufinden. Weil sich von 1951 bis 1961 der deutsche Pkw-Bestand auf mehr als 4,2 Mio. Fahrzeuge versechsfacht hatte und immer mehr Autofahrer trotz amtlicher Einladung ihren TÜV-Termin „vergaßen“, kam am 1. Januar 1961 erstmals eine Prüfplakette auf das hintere Kennzeichen. Sie zeigt Monat und Jahr der nächsten Hauptuntersuchung an und wechselt jährlich ihre Farbe.
Heute stehen lichttechnische Einrichtungen und Bremsanlagen an der Spitze der Mängelstatistik, vor fünfzig Jahren war es Rost an tragenden Teilen und am Unterboden. Ältere Autofahrer erinnern sich vielleicht noch an das gefürchtete Hämmerchen, mit dem der TÜV-Prüfer gegen den Unterboden pochte. Blieb das Hämmerchen im zerbröselnden Blech stecken, gab es die begehrte Plakette natürlich nicht. Ebenso wenig bei schief ziehenden Bremsen, die der Prüfer damals mangels Bremsenprüfstand auf einer kurzen Probefahrt um den Häuserblock enttarnte.
Nicht selten führte das damalige Prüfmonopol des TÜV dazu, dass sich die Autofahrer nicht als Kunden eines Dienstleisters fühlten, sondern als Bittsteller. Stundenlange Wartezeiten waren früher ebenso an der Tagesordnung wie der barsche Kasernenhofton mancher Prüfer. Ein solches Verhalten ließ viele Autofahrer glauben, der TÜV sei eine Behörde und dessen Prüfer Beamte. Beides war und ist falsch: Der TÜV ist ebenso wie Dekra, GTÜ, KÜS und andere Prüforganisationen ein Privatunternehmen, an das der Staat die technische Überwachung lediglich delegiert hat. Dennoch nistet bis heute in vielen Autofahrerköpfen eine diffuse Furcht vor der vermeintlichen Obrigkeit.
Mit der Wende gewannen die Wettbewerber des TÜV deutlich an Boden. Zum einen, weil der bis dahin in der Öffentlichkeit wenig bekannte Wettbewerber Dekra (1925 in Berlin als „Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungsverein“ gegründet) sich mit einem gelungenen Überraschungscoup in den neuen Bundesländern als Marktführer etablierte. Aber nicht nur dort wehte plötzlich der raue Wind der Konkurrenz: Am 26. Juni 1990 erhielt die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) als erste Prüforganisation freiberuflicher Kraftfahrzeugsachverständiger ihre amtliche Anerkennung, zunächst in Baden-Württemberg, bis 1993 in sämtlichen Bundesländern. Erstritten hatte die Liberalisierung der Plakettenvergabe der Stuttgarter Rechtsanwalt und langjährige GTÜ-Geschäftsführer Dr. Henner Hörl nach jahrelanger Tour de Force durch den deutschen Behördendschungel. Heute knabbert mehr als ein halbes Dutzend weiterer Organisationen an den Marktanteilen der Platzhirsche TÜV und Dekra.
Weil mit zunehmender Konkurrenz die Erträge schrumpfen, versuchen alle Überwachungsorganisationen, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. So kam 1985 die Abgasuntersuchung (früher ASU, heute AU genannt) hinzu. Deren Nachweis mittels einer zweiten Plakette auf dem vorderen Nummernschild entfällt seit Anfang 2010, weil die AU obligatorischer Bestandteil der Hauptuntersuchung wurde. Bei nach dem 1. April 2006 neu zugelassenen Fahrzeugen werden zusätzlich elektronische Fahrerassistenz- und Sicherheitssysteme wie ABS, ESP, Airbag oder Bremsassistent in die Haupt-untersuchung einbezogen.
Hybrid- und Elektroautos eröffnen der Fahrzeugüberwachung im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens neue Betätigungsfelder. Sie reichen von der Zulassung und Prüfung der elektrischen Sicherheit bis zur Entwicklung einheitlicher Ladestationen und Schulung von Werkstattpersonal in der Hochvolttechnologie.
Das Fazit: Fünfzig Jahre nach ihrer Einführung sind die Prüfverfahren für die Vergabe der „TÜV-Plakette“ zwar deutlich verbessert und verfeinert worden. Aber noch immer ist sie lediglich ein Testat für die Verkehrssicherheit des geprüften Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Untersuchung – nicht mehr und nicht weniger. Ein Qualitätssiegel für den Zustand beispielsweise von Motor oder Getriebe ist sie keineswegs, obwohl mancher Autofahrer das glaubt.
HANS W. MAYER
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