Vollautomatisch und ohne Fahrer in der Stadt unterwegs
Auf den Straßen der Stadt Ulm beginnt ein spannendes Projekt. Autos ohne Fahrer sollen sich unfallfrei durch die Stadt bewegen. Die Ulmer Forscher sind mit einer Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums unterwegs.
Zukunft ist, wenn man heute schon darüber spricht, was für die Enkelgeneration einmal Normalität sein wird. „In ungefähr 20 bis 30 Jahren können wir uns von unserem Fahrzeug bedenkenlos zum Stadtbummel chauffieren lassen. Auf Autobahnen und Landstraßen wird automatisiertes Fahren schon früher zur Routine. Viele Automobilhersteller arbeiten daran“, sagt Klaus Dietmayer. Dietmayer ist Direktor des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik an der Universität Ulm und Experte für Fahrerassistenzsysteme. Er hat nun mit seinem Team eine Premiere hingelegt: Abgesichert durch eine Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums rollt ab sofort ein Erprobungsfahrzeug der Wissenschaftler um Dietmayer ohne Fahrer über die Straßen von Ulm.
Bürger Ulms brauchen keine Sorge um die Kinder zu haben
Aber keine Sorge, Bürger von Ulm, niemand muss seine Kinder zu Hause einsperren, aus Angst vor Dietmayer. „Obwohl das Fahrzeug eigenständig durch den Stadtverkehr manövrieren wird, sind immer noch zwei geschulte Sicherheitsfahrer an Bord, die zum Beispiel bei Fehlfunktionen eingreifen können“, beruhigt Klaus Dietmayer. Die umgebaute Mercedes-Limousine kann ihre Geschwindigkeit führerlos regulieren und hält selbstständig die Spur.
Dahinter steckt ein ganzes Arsenal von Sensoren: Kameras, Radar- und Lasersensoren erfassen die Umgebung des Autos. Auf Basis dieser Sensordaten analysieren die in das Fahrzeug integrierten Rechner die Verkehrssituation. Von diesem Sensoren-Gespann unabhängige Sensoren überprüfen kontinuierlich den Fahrzeugzustand, um kritische Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. Wichtig ist: Der Fahrer kann jederzeit in den automatischen Betrieb eingreifen. Dazu genügt ein Knopfdruck oder auch wie gewohnt auf das Gas- oder Bremspedal zu treten, je nach Fahrsituation.
„Der Laserscanner ist unschlagbar im Erkennen von Querverkehr“
Es gibt gute Gründe, das Autofahren Automaten zu überlassen. Denn sie sind klar auf dem Weg, den Auto fahrenden Menschen in puncto Überblick zu überholen. Beispiel Laserscanner: „Der Laserscanner ist unschlagbar im Erkennen von Querverkehr“ sagt der Industrieberater Lothar Groesch, promovierter Physiker und Experte für Sicherheitstechnik, der lange Jahre in der Entwicklungsabteilung bei Daimler und Bosch gearbeitet hat.
Der Physiker hält das autonome Fahren selbst im chaotischen Stadtverkehr dank Laserscanner nicht mehr für utopisch. Diese Geräte feuern ihre für das Auge unsichtbaren und ungefährlichen Lichtstrahlen mit bis zu zehn Umdrehungen pro Sekunde in das 360-Grad-Umfeld des Autos ab. Der Laserscanner macht mit optischen Mitteln das, was die Fledermaus mit ihren hohen Ultraschall-Lauten schafft. Er sorgt für Orientierung.
An Gegenständen werden die Lichtimpulse reflektiert, der Rechner ermittelt aus der Zeitspanne die Entfernung. So entsteht mühelos ein dreidimensionales Bild der Umgebung. Das Auto mit Laserscanner hat alles in einem Radius von bis zu 100 Metern im Blick. So umfassend und weitreichend ist die menschliche Wahrnehmung nicht. Letztlich geht es nur noch darum, die Information der Laserstrahlen schneller und besser zu interpretieren als ein Gehirn die Informationen des menschlichen Auges deuten kann. Und das ist nur eine Frage der wachsenden Rechnerleistung. Und diese wächst, wie schon ein Besuch beim Elektronikriesen um die Ecke zeigt, beinahe im Wochentakt.
Alle 30 Sekunden stirbt ein Mensch im Straßenverkehr
Der Mensch als autosteuerndes Wesen ist im Prinzip ein Killer. Alle 30 Sekunden stirbt auf der Welt ein Mensch im Straßenverkehr. Die Weltgesundheitsorganisation WHO glaubt, dass dieZahl der Verkehrstoten noch steigen dürfte, wenn die mobile Motorisierung in den Schwellenländern weiter geht. Die Ursache nahezu aller Autounfälle, die sich auf der Erde ereignen, haben eine einzige Ursache: Menschliches Versagen.
Was also läge näher, als den Killer am Lenkrad zügig zu entmachten. Die Crux ist das Wiener „Übereinkommen über den Straßenverkehr“. Dieses Uno-Regelwerk, das am 8. November 1968 verabschiedet wurde, enthält in Artikel 8 einen klaren Leitsatz enthält: „Jedes sich bewegende Vehikel“, steht dort, „muss einen Fahrer haben.“ Und dieses Postulat aus den scheidenden sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat es in die Gesetzesbücher der Uno-Mitgliedsstaaten geschafft. Das war auch lange Jahre völlig unproblematisch, da es allenfalls eine Vision von technikaffinen Spinnern war, dass ein Auto ohne Fahrer auf öffentlichen Straßen herumkurvt.
20 Kilometer mit 156 Kehren in 27 Minuten
Der US-Bundesstaat Nevada ist so etwas wie das Versuchsfeld der Zukunft des fahrerlosen Autos. Audi hat dort als erster Autobauer computergesteuerte Fahrzeuge auf die Straßen gebracht. Allerdings muss in dem Wagen ein Fahrer mit einem gültigen Führerschein sitzen, um im Bedarfsfall steuernd eingreifen zu können. So ganz auf die Technik und auf die Computer möchte man sich dann doch nicht verlassen. „Im zähfließenden Verkehr bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Stundenkilometern wird der Fahrer innerhalb gewisser Grenzen beim Lenken unterstützt“, glaubt Ricky Hudi, Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik bei Audi. „Das pilotierte Fahren ist noch in diesem Jahrzehnt technisch realisierbar“, sagte Audi-Entwicklungschef Wolfgang Dürheimer.
Audi arbeitet seit Jahren an autonom fahrenden Autos. Und das mit Erfolg: Beim Bergrennen „Pikes Peak International Hill Climb“ 2010 erklomm ein Audi TTS in ununterbrochener Fahrt den 4301 Meter hohen Gipfel. Die knapp 20 Kilometer lange Strecke mit 156 Kehren schaffte der intelligente TTS dabei in 27 Minuten ohne einen einzigen Eingriff eines Menschen in die Steuerung.
Luxus von einst ist heute Vorschrift
Am Beginn solcher Entwicklungen stehen in aller automobilen Regel Extras für Sicherheit und Komfort, die dann zunehmend mehr Assistenz, Teilautomatisierung und am Ende den Autopiloten zulassen. Wolf-Henning Scheider, Geschäftsführer bei Bosch, rechnet mit einem raschen Durchmarsch der sensorikgesteuerten Warnsysteme auch in der Mittelklasse. „Das Thema Sicherheit ist für die Fahrzeughersteller so attraktiv, dass ich von einer schnellen Verbreitung bei Mittelklasse-Fahrzeugen ausgehe.“ Scheider erwartet, dass Sensoren für vorausschauendes Notbremsen in den kommenden drei Jahren zur Grundausstattung zählen.
Parallelen aus der Vergangenheit gibt es da schon: Der Bremsassistent ABS, Airbags und der Schleuderschutz ESP waren einst höchster Luxus – und sind heute Standard, teils inzwischen sogar Vorschrift für Neuwagen. Bosch-Manager Scheider sagt: „Stückzahlen spielen natürlich eine ganz entscheidende Rolle. Mit dem Einsatz in der Mittelklasse kommen große Volumina.“ Am Ende bestimmt also der Hightech-Anteil durchschnittlich teurer Autos das Tempo der Technik, die es Autofahrern einmal möglich machen könnte, bei voller Fahrt per Videoschaltung die Kinder daheim zu bespaßen, E-Mails zu schreiben oder gar ein Nickerchen zu halten.
Die Standards, die es zu erfüllen gilt, sind hoch, aber erreichbar. Nur gilt es zu beachten: Ein Computer, der abstürzt, ist ein lästiges Ärgernis, welches sich zumeist problemlos dadurch beheben lässt, dass man ihn neu startet. Passiert das Gleiche mit der Steuerung sicherheitsrelevanter Fahrzeugfunktionen, herrscht sofort Lebensgefahr. „Bevor wir einem neuen Assistenzsystem die Serienreife attestieren, muss es Millionen Testkilometer fehlerfrei absolviert haben“, erklärt Jochen Hermann, Entwicklungsleiter in diesem Sektor bei Mercedes-Benz.
„Das kann man nicht simulieren.“
Der Experte für Fahrassistenzsysteme aus Ulm, Klaus Dietmayer, und sein Team aus 15 Wissenschaftlern möchten jetzt endgültig den Weg von Fahrassistenzsystemen zum automatisierten Fahren beschreiten. „In bestimmten Situationen, beispielsweise bei kleinen Geschwindigkeiten im Stau, können Serienfahrzeuge schon heute selbstständig Gas geben und lenken“, weiß Dietmayer. Jetzt geht es auf die Straßen Ulms, um auch komplexe Fahrsituationen zu meistern. Die drei Doktoranden Jürgen Wiest, Dominik Nuß und Felix Kunz wollen nun bei ihren Textfahrten in Ulm Versuche durchführen, die nur unter realen Bedingungen möglich sind. „Erprobungsfahrten bei realen Verkehrssituationen sind immer noch die höchste zu überwindende Hürde“, sagt Dietmayer: „Das kann man nicht simulieren.“
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