Ziele in Gefahr: Ist klimaneutrales Fliegen bis 2050 überhaupt machbar?
Laut Prognosen steigt Flugverkehr jährlich um rund drei Prozent, gleichzeitig sollen wir bis 2050 klimaneutral unterwegs sein. Wie ist der Spagat zu schaffen? Ist das Ziel überhaupt realistisch? Wann fliegen wir endlich umweltfreundlich?
Städtetrip, Strandurlaub oder Businesstermin – es gibt viele Gründe, in den Flieger zu steigen. Und die Gründe werden scheinbar immer mehr, denn die Fluggastzahlen steigen Jahr für Jahr. Von Flugscham kaum eine Spur. Doch müssen wir uns wirklich schämen, wenn wir in den Urlaub oder zu einem Geschäftstermin fliegen? Der Branchenverband will davon nichts davon wissen, während Umweltverbände klimaneutrales Fliegen noch in weiter Ferne sehen und dazu raten, deutlich weniger durch die Luft zu reisen. Zumindest solange es noch keine umweltfreundlichen Flugzeuge gibt. Doch bis wann werden wir klimaneutral fliegen können? Wird das überhaupt jemals der Fall sein?
Über 12.000 Neubestellungen bei Boeing und Airbus
Die beiden Platzhirsche unter den Flugzeugherstellern – Airbus und Boeing – verzeichnen derzeit einen Auftragsboom. Zusammen kommen sie auf etwa 12.000 Bestellungen von neuen Fliegern. Wie passt dieser Boom in eine Zeit, in der alle über Klimaschutz reden und Flugzeuge längst als Verkehrsmittel identifiziert wurden, die besonders klimaschädlich sind? Ist uns letztlich alles egal, was aus unserer Erde wird, oder sind wir auf dem Weg zum klimaneutralen Fliegen?
Die Gegenwart spricht eine deutliche Sprache: Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass die Luftfahrt etwa 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen ausmacht. Andere Quellen sprechen von bis zu 3,5 Prozent, rechnet man Stickoxide und Kondensstreifen noch dazu, soll die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs sogar bei 5 Prozent liegen. So oder so ist das mehr, als ganz Deutschland in einem Jahr produziert – und das Land gehört immerhin zu den zehn größten CO2-Verursachern der Welt.
Die Umweltbilanz ist erschreckend: Im Schnitt rechnen die Airlines mit einem Verbrauch von 3,6 Liter pro Person pro 100 Kilometer – zumindest bei neueren Flugzeugen und wenn der Flieger voll ist. Allein für einen Flug von Düsseldorf nach Mallorca (1343 Kilometer) braucht es für jeden Passagier fast 50 Liter Kerosin. Ein mit 150 Passagieren besetzter Flieger benötigt demnach etwa 7500 Liter Kerosin. Und produziert dabei fast 40 Tonnen CO2 pro Strecke. Damit könnten 75 Pendler ein Jahr lang öffentliche Verkehrsmittel zur Arbeit nutzen.
Die gute Nachricht: Der Kerosinverbrauch sinkt
Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft sinkt der Kerosinverbrauch mit jeder neuen Flugzeuggeneration um rund 25 Prozent. Dies ist auf effizientere Triebwerke und den Einsatz leichterer Materialien zurückzuführen. In den letzten drei Jahrzehnten konnte der Verbrauch von ursprünglich 6,3 Liter Kerosin auf etwa 3,6 Liter pro 100 Kilometer und Passagier gesenkt werden.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Lebensdauer von Flugzeugen zwischen 25 und 30 Jahren liegt. Lange Bestell- und Lieferzeiten führen daher dazu, dass noch viele ältere und weniger effiziente Flugzeuge im Einsatz sind. Die obige Beispiel gilt also nur, wenn Flugzeuge neuester Bauart nach Mallorca fliegen. Ansonsten sind der Kerosinbedarf und somit auch die CO2-Emissionen um einiges höher.
Der Verband der Fluggesellschaften (Iata) ist trotz dieser Zahlen optimistisch, dass der Flugverkehr bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden könnte. Und das auch Jahr für Jahr besser wird. Dabei helfen soll der Flugkraftstoff SAF (Sustainable Aviation Fuel). Die Strategiedirektorin des britischen Luftfahrt-Umweltverbandes AEF, Cait Hewitt ist skeptisch. Gegenüber dpa sagte sie: „Beim Verbrennen von SAF entsteht genauso viel CO2 wie beim Verbrennen von Kerosin“.
Ist SAF die Lösung?
SAF bezeichnet alle Kraftstoffe, die nachhaltig und nicht aus fossilen Quellen hergestellt werden. E-Fuels, also zum Beispiel vollsynthetisches Kerosin, das mit Wind- oder Sonnenenergie hergestellt wird, befinden sich derzeit noch im Labormaßstab. Das finnische Unternehmen Neste ist Vorreiter bei der Herstellung von SAF aus verschiedenen Quellen wie Frittierölen, Schlacht- und Fischabfällen, Pflanzenölen und deren Reststoffen.
Mit einer jährlichen Produktionskapazität von rund einer Million Tonnen SAF und weiteren Ausbauplänen ist Neste nach eigenen Angaben Marktführer in diesem Bereich. In Zukunft könnten auch Zellulose und Haushaltsabfälle als Rohstoffe für SAF dienen. Nach Angaben von Neste könnten durch den Einsatz von 100 Prozent SAF bis zu 80 Prozent der Emissionen im Vergleich zu Kerosin eingespart werden. Allerdings sei das heute noch nicht realisierbar. Außerdem ist das nicht klimaneutral, wenn noch mindestens 20 Prozent der heutigen Emissionen in die Atmosphäre gepustet werden.
Die IATA argumentiert etwas anders: Demnach nehmen die für die Herstellung von SAF verwendeten Pflanzen während ihres Wachstums CO2 aus der Atmosphäre auf. Dieses CO2 wird beim Verbrennen des Treibstoffes wieder freigesetzt, so dass SAF über den ganzen Lebenszyklus klimaneutral sei. Wenn SAF aus Abfällen anstatt aus Pflanzen gewonnen wird, sieht das jedoch anders aus, da darin auch klimaschädliches Material wie Plastik enthalten ist. „Wenn man das Material in Müllhalden liegenlassen würde, gäbe es weniger Emissionen“, so Hewitt.
Das Problem mit biobasierten Treibstoffen
Der Klimaneutralitätsplan der IATA sieht vor, dass bis 2030 rund 24 Millionen Tonnen nachhaltiger Flugtreibstoff benötigt werden. Bis 2050 soll dieser Bedarf auf über 400 Millionen Tonnen ansteigen. Im vergangenen Jahr wurde jedoch nur ein Bruchteil dieser Zielmenge produziert. Die IATA räumt ein, dass lediglich 240.000 Tonnen SAF produziert wurden. Das entspricht nur 0,1 Prozent des gesamten Kerosinbedarfs. Zwischen den Zielen und der derzeitigen Produktionskapazität klafft also eine große Lücke, die es zu schließen gilt. Doch wie soll das funktionieren?
Eine aktuelle Studie von Transport Environment (TE), einem Zusammenschluss europäischer Umwelt- und Verkehrsverbände, zeigt, dass tierische Fette zunehmend für die Herstellung von Biokraftstoffen verwendet werden, insbesondere Fette aus Schlachthöfen. TE schätzt, dass für einen Flug von Paris nach New York das Fett von bis zu 8.800 geschlachteten Schweinen benötigt wird. Das kann sicherlich nicht die Lösung sein.
Genauso sieht es mit Biokraftstoffen aus Pflanzen aus. Nachhaltig erzeugte und klimafreundliche Biomasse ist eine begrenzte Ressource. Es gibt Grenzen für das Wachstum von Pflanzen wie Mais, Raps, Rüben, Sojabohnen, Sonnenblumen und Ölpalmen. Gleichzeitig nehmen weltweit, einschließlich in Deutschland, der Verlust von Humus und die Ausbreitung von Wüsten bzw. Dürreschäden zu.
Richtig klimaneutral wäre es mit E-Fuels und grünem Wasserstoff
Für den Übergang ist das Beimischen von Biokraftstoffen zum Kerosin sicherlich eine Möglichkeit, das Fliegen umweltfreundlicher zu machen. Aber wirklich klimaneutral wird es dadurch nicht werden, zumal der Aufwand, um aus Tierfetten, Pflanzen oder Abfall Biokraftstoffe herzustellen, recht hoch ist. Hinzu kommen die ökologischen Folgen, die durch den Massenanbau von Pflanzen entstehen. Als wirklich umweltfreundliche Lösung werden daher eher sogenannte E-Fuels angesehen.
E-Fuels sind synthetisch hergestellte flüssige Energieträger, die auf erneuerbaren Energien basieren und das Potenzial haben, fossile Brennstoffe in der Zukunft zu ersetzen. Der Herstellungsprozess beginnt mit der Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse, die mit Ökostrom betrieben wird. Dieser Wasserstoff wird dann mit Kohlenstoff, der aus CO2 extrahiert werden kann, kombiniert, um einen flüssigen Energieträger zu synthetisieren. Bei der Verbrennung dieses Energieträgers wird das ursprünglich gebundene CO2 wieder freigesetzt, was zu einem netto CO2-neutralen Prozess führt.
Manche Airlines arbeiten auch daran, ihre Flugzeuge direkt mit Wasserstoff und Brennstoffzellen anzutreiben. Jedoch braucht es für die eine wie für die andere Variante genügend grünen Wasserstoff. Studien zeigen jedoch, dass es noch mindestens 15 Jahre dauern wird, bis die ersten großen Passagierflugzeuge mit grünem Wasserstoff betrieben werden können.
Das sagt die Politik und so sieht es aktuell in der Praxis aus
IATA-Chef Willie Walsh betont, dass Regierungen Anreize schaffen müssen, um die Produktion von nachhaltigem Treibstoff zu erhöhen. Die Europäische Union plant, ab 2025 eine Quote einzuführen, die Kerosinlieferanten dazu verpflichtet, ihren Treibstoff mit einem wachsenden Anteil an nachhaltigem Flugtreibstoff (SAF) zu mischen. Bis 2050 soll dieser Anteil von 2 auf 70 Prozent steigen.
Die Lufthansa Group sieht sich als Vorreiter beim Einsatz von SAF und sammelt seit 2011 Betriebserfahrungen damit. Nach eigenen Angaben hat die Airline im vergangenen Jahr rund 13.000 Tonnen SAF beigemischt, was 0,2 Prozent ihres Gesamtbedarfs entspricht. Lufthansa weist jedoch darauf hin, dass alternative Kraftstoffe aus Biomasse oder Strom derzeit sehr knapp und fünf- bis zehnmal teurer als fossiles Kerosin sind.
Das Unternehmen bezweifelt, dass bis zum Start der EU-Beimischungsquote im Jahr 2025 genügend biogene SAFs zur Verfügung stehen werden. Skeptisch ist sie auch, ob ab 2030 ausreichend synthetisches Kerosin zur Verfügung stehen wird. Lufthansa und die Branchenverbände BDL und A4E fordern die EU auf, Anreize für den Aufbau entsprechender Produktionsanlagen zu schaffen, statt die Kosten einseitig den europäischen Fluggesellschaften aufzubürden.
Starke Zweifel: Klimaneutrales Fliegen bis 2050 nicht möglich?
Die Unternehmensberatung Bain bezweifelt stark, dass die Klimaneutralität des globalen Luftverkehrs bis 2050 erreicht werden kann, insbesondere angesichts eines jährlichen Verkehrswachstums von drei Prozent. Bain geht davon aus, dass bis 2050 nur 135 Millionen Tonnen nachhaltiger Flugtreibstoffe produziert werden – und das auch nur, wenn der Luftverkehr bei der Zuteilung von Rohstoffen und grünem Wasserstoff Vorrang erhält. Die Experten schätzen in ihrer Studie, dass die Fluggesellschaften ihre Emissionen bis 2050 maximal um 70 Prozent reduzieren könnten, wobei der Effekt effizienterer Triebwerke größer sei als der nachhaltiger Kraftstoffe.
Unbestritten ist, dass nachhaltigeres Fliegen mit höheren Kosten verbunden ist. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC würden sich die Kosten bei einer Beimischung von 16 Prozent SAF auf einem Langstreckenflug, beispielsweise von Frankfurt nach Singapur oder von München nach New York, auf rund 36 Euro pro Passagier belaufen. Cait Hewitt betont, dass weniger und kürzere Flüge wirksame Maßnahmen sind, die jeder Einzelne ergreifen kann, um die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre zu verlangsamen. (mit dpa)
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