Verkehrsforschung 06.03.2025, 11:45 Uhr

Warum Fahrassistenzsysteme (noch) keine Staus verhindern

Eigentlich ging man davon aus, dass der Mensch das schwächste Glied in der Kette bei der Entstehung von Staus ist und die Technik diese verhindern kann. Mit den heute verfügbaren Fahrerassistenzsystemen scheint dies jedoch noch nicht der Fall zu sein.

Stau

Die Hoffnung, dass Fahrassistenzsysteme Staus verhindern können, hat sich bislang noch nicht erfüllt. Eher im Gegenteil.

Foto: PantherMedia / JoergSabel

Fahrassistenzsysteme wie Adaptive Cruise Control (ACC) gelten als vielversprechende Technologien, um den Verkehrsfluss zu optimieren und Staus zu reduzieren. Doch aktuelle Systeme stoßen an ihre Grenzen. Verzögerungen in der Signalverarbeitung und unvorhersehbare Umweltfaktoren führen dazu, dass sie nicht in der Lage sind, Stop-and-Go-Wellen zu verhindern. Forschende entwickeln daher neue Algorithmen, die diese Schwachstellen überwinden sollen. Erste Simulationen und Experimente zeigen, dass eine adaptive Regelung des Fahrzeugabstands eine mögliche Lösung sein könnte.

ACC-Systeme: Hoffnung und Realität

Tempomat einschalten, den Abstand halten lassen und entspannt ans Ziel kommen – so stellen sich viele den modernen Straßenverkehr mit Fahrassistenzsystemen vor. Adaptive Cruise Control (ACC) ist heute in vielen Fahrzeugen Standard und verspricht eine Reduzierung menschlicher Fehler im Verkehr. Doch aktuelle Studien und Experimente zeigen: Die Systeme können noch keine Staus verhindern. Vielmehr tragen sie unter bestimmten Bedingungen sogar dazu bei, dass sich der Verkehr aufschaukelt.

Experimente mit Kolonnen von ACC-gesteuerten Fahrzeugen zeigen ein wiederkehrendes Problem: Trotz automatisierter Regelung kommt es zu Stop-and-Go-Bewegungen, die mit der Zeit zu Staus führen. Der Grund liegt in den systembedingten Verzögerungen. Die Sensoren erfassen den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und regeln die Geschwindigkeit entsprechend. Doch diese Prozesse brauchen Zeit. Wenn ein Fahrzeug verzögert, folgt die Reaktion des nächsten Fahrzeugs mit einer minimalen, aber entscheidenden Verzögerung. Das führt zu einer Kettenreaktion, die den Verkehrsfluss instabil macht.

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Ein weiteres Problem ist die fehlende Antizipation. Menschliche Fahrerinnen und Fahrer können Verkehrssituationen oft intuitiv einschätzen und vorausschauend handeln. Fahrassistenzsysteme hingegen reagieren rein auf die aktuelle Abstandsmessung, was zu abrupten Brems- und Beschleunigungsvorgängen führt.

Neue Ansätze: Adaptive Zeitlückenregelung

Forschende der Bergischen Universität Wuppertal arbeiten an neuen Algorithmen, die diese Schwächen ausgleichen sollen. Prof. Antoine Tordeux und Dr. Raphael Korbmacher untersuchen, wie sich die Stabilität des Verkehrs verbessern lässt, indem die Zeitlücke zwischen den Fahrzeugen flexibel angepasst wird. „Die konstante Einhaltung einer Zeitlücke stabilisiert den Verkehr“, erklärt Tordeux.

Statt eines starren Zeitabstands soll das System auf verschiedene Einflussfaktoren reagieren können. Dazu zählen unter anderem:

  • Die Geschwindigkeit des Verkehrs
  • Wetterbedingungen wie Regen oder Nebel
  • Unvorhersehbare Ereignisse wie abrupt bremsende Fahrzeuge

Das Ziel: Ein System, das sich dynamisch an die Gegebenheiten anpasst und dadurch den Verkehrsfluss stabilisiert.

Tests mit Simulationen und Modellfahrzeugen

Um die Theorie zu überprüfen, setzen die Forschenden auf Computersimulationen und reale Tests mit Miniaturfahrzeugen. In einem Versuch werden bis zu 40 kleine, mit dem Algorithmus gesteuerte Autos auf einer Rundstrecke eingesetzt. Ziel ist es, zu untersuchen, ob sich der Verkehrsfluss gegenüber bisherigen Systemen verbessert.

Zusätzlich wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Fahrsimulatoren testen, wie sich die neuen Algorithmen auf den Fahrkomfort auswirken. Ein entscheidender Faktor ist, dass das System nicht nur Staus verhindert, sondern auch ein angenehmes Fahrgefühl vermittelt. Plötzliche, starke Beschleunigungen oder abrupte Bremsvorgänge würden von Fahrenden als unangenehm empfunden und könnten sogar das Unfallrisiko erhöhen.

Potenzielle Vorteile für die Zukunft

Sollten sich die neuen Systeme bewähren, könnte dies einen großen Schritt in Richtung eines staufreieren und sichereren Straßenverkehrs bedeuten. Dr. Korbmacher fasst zusammen: „Auf der Straße könnten mithilfe der optimierten Systeme Auffahrunfälle besser vermieden werden. Durch das Ausbleiben von Staus hätten alle Beteiligten mehr Zeit und würden zugleich noch der Umwelt dienen. Denn weniger Brems- und Beschleunigungszyklen im stockenden Verkehr bedeuten weniger Kraftstoffverbrauch.“

Doch bis solche Systeme serienreif sind, gibt es noch viele Herausforderungen. Neben der technischen Umsetzung müssen auch gesetzliche und sicherheitstechnische Fragen geklärt werden. Zudem stellt sich die Frage, wie sich verschiedene Systeme von unterschiedlichen Herstellern im gemischten Verkehr verhalten.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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