Wieder Gift aufs Gleis?
Bis 1996 hatte die Bahn dank des Herbizids Diuron unkrautfreie Gleise. Dann wurde der Stoff im Grundwasser gefunden und verboten. Jetzt will die Bahn zurück zum Diuron. Die Wissenschaft gibt ihr Recht.
Die Bahn hat derzeit viele Probleme, eins davon ist grün: Der Bewuchs der Bahnstrecken mit Gräsern und Unkräutern hat in den vergangenen Jahren derart zugenommen, dass Bahnmitarbeiter sich mittlerweile Sorgen um die Sicherheit machen. „Durch die Anreicherung von Humus und Wasser im Gleiskörper können die Schienenwege destabilisiert werden“, erläutert Hans-Georg Kusznir, Sprecher der für das Streckennetz zuständigen Abteilung der Bahn. Um das zu vermeiden, würde die Bahn gerne wieder auf ein Unkrautvernichtungsmittel zurückgreifen, das ihr seit vier Jahren verboten ist: Diuron.
Bis 1996 hielt die Bahn mit Diuron ihre Gleise unkrautfrei. Doch zugleich wurden in immer mehr Fluss- und Grundwasserproben in Deutschland Spuren des Stoffes gefunden. Für die Umweltorganisation Greenpeace damals Grund genug, die Bahn als den größten Anwender des Giftes öffentlichkeitswirksam an den Pranger zu stellen. Auf diesen Druck hin verzichtete die Bahn schließlich freiwillig auf den weiteren Einsatz von Diuron. Wenig später zogen auch die Politiker die Bremse und verbannten per Pflanzenschutzmittel-Anwendungsverordnung das Mittel von den Schienen.
Jetzt soll diese Entscheidung wieder aufgehoben werden, so der Wunsch der Bahn. Und für dieses Anliegen hat das Unternehmen prominente Unterstützer gefunden: die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig und das Berliner Umweltbundesamt (UBA). Beide Behörden haben der Bundesregierung vorgeschlagen, das Diuron-Verbot aus Gründen der langfristigen Sicherheit der Bahnstrecken mit Zustimmung des Bundesrates zu lockern.
Hintergrund dieser Kehrtwende sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine von der Bahn bereits 1993 in Auftrag gegebene Langzeitstudie des Institutes Fresenius, Taunusstein, kommt zu dem Ergebnis, dass entgegen der bislang geltenden Annahme keine Belastung des Grundwassers auftritt, wenn Diuron auf Gleisstrecken angewendet wird. „Der begründete Verdacht, der 1996 zum Diuron-Verbot führte, stellt sich jetzt als unbegründet heraus“, sagt BBA-Sprecher Dr. Peter Wohlers. „Wir können gar nicht anders, als die wissenschaftlichen Ergebnisse anzuerkennen.“
Zwischen 1993 und 1998 beprobte das Fresenius-Institut auf fünf Streckenabschnitten in fünf Bundesländern regelmäßig Grundwasserströme, die in geringer Tiefe unter Gleisen lagen. Alle weisen laut Untersuchung „ungünstige Bedingungen für die Rückhaltung von Herbiziden“ auf. Während dieser Zeit spritzte die Bahn dort probeweise sowohl Diuron als auch das Blattherbizid Glyphosat. Im Grundwasser konnten die Chemikalien allerdings nicht nachgewiesen werden. Nur an einem Messpunkt kam es vorübergehend zu einer Verunreinigung. Die dort gefundenen erhöhten Diuron-Werte führen die Wissenschaftler auf versehentlich in das Probenahmerohr eingetragene Spritzbrühe zurück.
„Es gibt weltweit keine Studie zu Diuron und Grundwasser, die so umfangreich ist wie diese“, sagt Dr. Reinhard Winkler, Pflanzenschutzexperte im Umweltbundesamt. Auch er folgert aus den Ergebnissen, dass der Diuron-Einsatz bei der Bahn künftig wieder akzeptabel sein sollte. Nur in kritischen Bereichen wie Bahnübergängen, an Brücken und in unmittelbarer Nähe zu Flüssen, wo das Herbizid durch Abschwemmen oder Abdriften in Oberflächengewässer gelangen könnte, sollte seiner Meinung nach das Verbot erhalten bleiben.
Den Rückgriff auf Diuron empfiehlt Winkler auch aus Mangel an „vernünftigen Alternativen“. Für Greenpeace war dieses Argument allerdings schon vor Jahren nicht gültig. Die Umweltschützer verwiesen auf Österreich und die Schweiz, wo die Bahnen kein Diuron einsetzen. Stattdessen werden dort Pflanzen an den Strecken gemäht oder mit Heißdampf verbrüht und stellenweise mit dem Blattherbizid Glyphosat abgetötet. Auch in Deutschland bediente sich die Bahn seit 1996 solcher Methoden. Angesichts des üppig sprießenden Grüns aber mit mäßigem Erfolg, so die offizielle Darstellung der Bahn.
Unabhängige Experten sehen das allerdings anders. „Es wuchert auch deshalb so viel, weil so wenig dagegen getan wird“, kritisiert Dirk Bunke vom Freiburger Öko-Institut. Im Rahmen des Projektes „Vegetationskontrolle im Gleisbereich“ organisiert er seit mehreren Jahren im Auftrag der Bahn sogenannte Akteurskonferenzen. In diesen Expertenrunden werden neue und umweltfreundliche Formen der grünen „Gleispflege“ diskutiert. Bei der letzten Runde Ende 1998 klagten allerdings bereits viele Beteiligte darüber, dass die Bahn die Vegetationskontrolle aus Kostengründen auf „punktuelle Maßnahmen“ reduziert habe. Zu der Frage, welche Auswirkungen das haben könnte, schrieb damals Nik Geiler vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in einem Kommentar zum Sitzungsprotokoll: „Im ungünstigsten Fall werden die Behinderungen für den Zugverkehr und für die Arbeitssicherheit so eminent, dass der Ruf nach Diuron so mächtig wird, dass diesem Rückfall in alte Zeiten nur noch schwer zu begegnen sein wird.“
Die aktuelle Entwicklung bestätigt Geilers Vermutung. Zwar weist die Bahn darauf hin, auch künftig alternative Verfahren einsetzen zu wollen. Aber die funktionieren nur dann ausreichend, wenn die Pflanzendecke noch nicht allzu mächtig geworden ist. Auf deutschen Gleisen ist das häufig nicht mehr der Fall. „Im Grunde ist erst einmal ein Großputz mit Diuron nötig, um dann zustandsbezogen arbeiten zu können“, bekennt Bahn-Sprecher Kusznir.
Der Drang zum Diuron hat auch noch einen weiteren, einfachen Grund: Die Bahn will ihre Gleise so kostengünstig wie möglich von Unkraut frei halten. „Die alternativen Verfahren sind langsamer, nicht so wirkungsvoll und damit auch aufwendiger als das Spritzen von Herbiziden“, sagt Kusznir. Werden die Gleise mit Heißdampf abgebrüht, fährt der Behandlungstrupp mit maximal 5 km/h über die Strecke, die Herbizid-Züge hingegen brausen mit bis zu 80 km/h dahin. Für die umweltfreundliche Alternative wird die geringe Geschwindigkeit somit zum K.-o.-Kriterium. Pestizidfahrten lassen sich noch in die normalen Fahrpläne integrieren, für die chemiefreie Behandlung hingegen müssen Strecken zeitweilig gesperrt werden. Und dazu sagt Kusznir: „Kapazitätseinschränkungen sind für uns nicht akzeptabel.“ LUCIAN HAAS
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