Winter lässt Bahnfahrplan „entgleisen“
Es schneit und die Bahn sorgt wieder für Schlagzeilen: Zu wenige Züge, geänderte Fahrpläne, eingeschneite Weichen, wegen vereister Oberleitungen auf der Strecke stehen gebliebene Züge. „Alle reden vom Wetter, wir nicht“ suggerierte ehemals die Werbung der Deutschen Bahn. War früher alles besser?
Eine Karikatur schien den Nagel auf den Kopf zu treffen: Frisch und munter rollt die Dampflok an dem im Schnee stecken gebliebenen ICE vorbei und der Heizer fragt von oben herab: „Kann man helfen?“ Zum Schmunzeln ist das satirische Bild gut, trotzdem trifft es nicht den Kern der Dinge.
Niemand wünscht sich die Dampflokzeit zurück, und wer alt genug ist, erinnert sich, dass es auch damals Probleme gegeben hat. Doch auch die Ursachen für die gegenwärtigen Schwierigkeiten liegen weit zurück. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat „jahrelange Versäumnisse“ eingeräumt. Keine so deutlichen Worte fand er für die Verantwortlichkeit.
Seit der Bahnreform von 1994, einer politischen Weichenstellung, hat der Bund als nach wie vor alleiniger Eigentümer nie die Mittel bereitgestellt, die großzügigere Investitionen erlaubt hätten, schon gar nicht in das bestehende Netz. Im Gegenteil: Künftig verlangt der Bund von „seiner“ Eisenbahn im Jahr eine 500 Mio. € Dividende.
Deutschland ist europaweit Schlusslicht hinsichtlich seiner Investitionen in die Eisenbahn. „Der Bund schiebt eine Bugwelle von 28 Mrd. € nicht finanzierter Schienenprojekte vor sich her, deren Realisierung er bereits 2003 als ‚vordringlich‘ bezeichnet hat“, erklärte Weihnachten Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, der die Bahn-Gewerkschaften, die Verbände der Verkehrsbetriebe und der Bahnindustrie, aber auch die Deutsche Bahn (DB) selbst angehören.
Die DB hatte nach den Erfahrungen des vorigen Winters ein Paket mit „Vorsorgemaßnahmen“ geschnürt: Ulrich Homburg, Chef des DB-Personenverkehrs, zählt auf: Bildung einer Reserve durch IC-Ersatzzüge, besserer Schutz der ICE-Flotte gegen Steinschlag durch herabfallende Eisbrocken und eindringende Feuchtigkeit durch Schnee und Eis, Beschaffung von Enteisungsanlagen, Einbau von Sandstreuanlagen in Nahverkehrszüge und Ausrüstung von mehreren Hundert weiteren Weichen mit Heizung.
„Winterkoordinatoren“ sollen dafür sorgen, dass die mehr als 10 000 Schneeräumkräfte dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten nötig sind. Außerdem seien fast viermal so viele Techniker im Einsatz als im letzten Winter.
Nicht außer Acht zu lassen sei, so Homburg, dass alle anderen Verkehrsträger von den außergewöhnlichen Wetterverhältnissen ebenso getroffen wurden. Während sich auf Flughäfen und Autobahnen zeitweise nichts mehr bewegte, habe die DB mehr als 95 % ihres Fahrplans mit 27 000 Zügen täglich trotz der extremen Witterungsbedingungen erfüllen können. Die weitaus meisten Fahrgäste der Bahn seien ans Ziel gekommen, wenn auch nicht immer pünktlich.
„Eine schwere Lokomotive ist gegen Witterungseinflüsse weniger empfindlich als ein leichter, komfortabler Zug, der mit hoher Geschwindigkeit einen Einsatz nach dem anderen fährt“, sagte eine Sprecherin der DB den VDI nachrichten. Der dichte Fahrplan und die Verknüpfung der meisten Linien zum Umsteigen in allen größeren Knoten bieten normaler Weise optimale Reisemöglichkeiten. Wenn jedoch der Fahrplan aus dem Takt kommt, müsse im Handumdrehen neu disponiert werden. Größere Verspätungen bedeuteten auch, dass die Züge nicht rechtzeitig für die nächste Fahrt zur Verfügung stünden, Lokführer und Zugbegleiter die vorgesehene Schicht nicht antreten könnten und kurzfristig kein Ersatz verfügbar sei. Das erkläre auch die immer wieder kritisierten fehlenden Informationen.
Situative Fahrgastinformationen sind immer erst möglich, wenn sich die Folgen einer Störung zuverlässig absehen lassen. Oft kann das nicht in so kurzer Zeit geschehen, wie es die am Bahnsteig frierenden Fahrgäste erwarten.
Wenn völlig unvorhergesehen ein ICE auf freier Strecke stehen bleibt, müsse zunächst geklärt werden, ob er in absehbarer Zeit – womöglich langsamer – weiterfahren kann oder nicht. Inzwischen sind allenfalls vage Durchsagen möglich, die allerdings den Ärger bisweilen eher vergrößern: „Wegen Verzögerungen im Betriebsablauf wird …“ Oder aber: „Der Zug … hat unbestimmte Verspätung“, trifft dann aber doch nach kurzer Zeit ein, als wäre nichts gewesen.
Im Normalfall bietet die Eisenbahn in Deutschland heute Annehmlichkeiten, schnelle Verbindungen und mit dem Stunden- oder sogar Halb-Stundentakt so viele Fahrtmöglichkeiten wie nie zuvor. „Alles das soll möglichst wenig kosten. Die Bahn muss es bieten, um im Wettbewerb bestehen zu können die Gesellschaft erwartet es als selbstverständlich“, erklärte Matthias Oomen, Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn.
Keineswegs nur der immer wieder angeführte Börsengang sei Schuld an Schwierigkeiten, soweit sie überhaupt vermeidbar sind, so Oomen. „Es sind die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen, die der Bahn keine andere Wahl lassen, als bei allen Entscheidungen auch die wirtschaftlichen Auswirkungen im Blick zu behalten. Das bedeutet schlanke Strukturen für das Unternehmen und Verzicht auf alles, was keinen unmittelbaren Nutzen verspricht.“ R. R. ROSSBERG/WOP
Ein Beitrag von: