„Wir müssen in der Elektromobilität nicht Erster sein“
Die Zeit der Elektroautos sei hierzulande noch lange nicht gekommen, allerdings bestehe Zeitdruck auf internationalen Märkten. Das meinte Ex-Volkswagen-Chef Bernd Pischetsrieder auf einem Kongress des „Forum ElektroMobilität e.V.“ am 16./17. November in Berlin. Dort diskutierten Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über Chancen und Herausforderungen auf dem Zukunftsmarkt Elektromobilität.
„Rein wirtschaftlich wird das Elektroauto auch in 50 Jahren nicht interessant sein. So schnell können unsere Entwickler gar nicht arbeiten“, sagte Bernd Pischetsrieder, Ex-Volkswagen-Chef, auf einem Kongress des „Forum ElektroMobilität“ am 16. November in Berlin. Am Rande derselben Veranstaltung antwortete eine junge Garderobiere auf Nachfrage, was sie denn von Elektrofahrzeugen halte: „Ich brauche bald ein neues Auto und das soll auf jeden Fall ein Elektroauto sein.“ Begründung: Sie würde gern zu einer lebenswerteren, lärm- und abgasärmeren Stadt beitragen. Bei ihrer Suche im Internet sei ihr aber noch kein passendes Angebot begegnet.
Welten liegen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Der Rummel um Elektroautos hat Erwartungen geweckt, die Hersteller auf absehbare Zeit nicht erfüllen können. Eine VDE-Studie zeigte jüngst, dass 44 % der Deutschen Batterieladezeiten von mehr als 2 h schlicht inakzeptabel finden, im Schnitt 352 km Reichweite und mehr als die Hälfte von ihnen die Massenfertigung bis 2020 erwarten ein Fünftel gar bis 2015. Die technischen wie die zeitlichen Erwartungen sind unrealistisch.
Der Großserienfertigung von Elektroautos stehen laut Pischetsrieder vor allem die Kosten im Weg. Erste Modelle würden sicher nicht im Kleinwagensegment um 10 000 € angeboten. „First Mover werden Käufer von Dritt- und Viertwagen sein“, sagte er, anspruchsvolle Kunden, die einzig und allein über emotionale Ansprache zu gewinnen seien.
„Marktforschungen zeigen, dass First Mover Fahrzeuge wollen, die optisch radikal von herkömmlichen Autos differenziert sind“, so Pischetsrieder. Der Trend, vorhandene Modelle mit Elektroantrieben auszustatten und als Stromer zu vermarkten, gehe völlig am Markt vorbei. Erste Modelle, deren Design sich klar von heutigen Autos absetze, erwarte er frühestens ab 2020.
Pischetsrieder erinnerte an die Erfahrungen mit dem „3-l-Auto“. Das wollten auch alle – allerdings „nur in Nachbars Garage“. Seit jeher gebe es im Autogeschäft zwei Zweige: pragmatische Volumenmodelle für kleines Geld und emotionale Wunschautos, in denen die Kunden Aufpreise für die jeweils neuesten Technologien akzeptierten. Angesichts heutiger Akkukosten seien Stromer aber weit vom Volumenmarkt entfernt.
Entsprechend müssen reiche Liebhaber oder Kunden her, die mit den Stromern Geschäfte aufziehen: Autovermieter und Car-Sharing-Anbieter. „Höhere Auslastung kann die Anschaffungskosten und den Wertverlust von Elektrofahrzeugen bis zu einem gewissen Grad relativieren“, erklärte Mark Thielenhaus, Vorstandsmitglied der Sixt Leasing AG.
Zur Wirtschaftlichkeit bleibt laut Thielenhaus aber eine Lücke. Zwar würden Stromer Fahrspaß versprechen, das ziehe Kunden an, „doch letztlich werden allein kaufmännische Erwägungen über die Anschaffung entscheiden.“ Und in dieser Hinsicht warte mittelfristig noch viel Arbeit auf die Hersteller. Für Elektroautokunden gebe es aus Kosten- oder auch aus Designgründen noch kein passendes Angebot, so Thielenhaus.
Pischetsrieder zog daraus zwei Schlüsse: Die deutschen Hersteller sollten sich „hüten, voreilig unkomplette Autos anzubieten. Denn wir müssen in dem Markt nicht unbedingt Erster sein“, erklärte er. Zum Zweiten werde die Nachfrage ohnehin zuerst aus stark regulierten Märkten kommen. „Gerade in China wird es ohne elektrische Modelle mittelfristig schwer“, so seine Einschätzung. Der Autoindustrie bleibe also gar keine andere Wahl, als mit Hochdruck zu entwickeln. Ziel müsse es aber auch in Schwellenländern sein, die Kunden mit überlegenen Produkten oder auch „Wunschautos“ zu gewinnen.
Bei deren Entwicklung können Automobilhersteller auf Unterstützung der Forschungslandschaft und industrielle Netzwerke bauen, die nach Ansicht von Dr. Manfred Wittenstein weltweit ihresgleichen suchen. Der Unternehmer und frühere VDMA-Präsident appellierte, diese Netzwerke zu nutzen. „Wir müssen uns als Industrie gemeinsam weiterentwickeln und unser Zusammenspiel neu definieren, um die Elektromobilität gemeinsam über alle Stufen der Wertschöpfung hinweg zu erschließen“, sagte Wittenstein.
Nach Ansicht von Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka, dem Koordinator der „Fraunhofer-Systemforschung Elektromobilität“, müsse dafür Know-how aus der Forschung schneller den Weg in die Produkte finden und „die Industrie muss die Wissenschaft schieben und ziehen“, so Hanselka. Das gelte auch für Fragen der Qualifikation.
„Gerade in der Elektromobilität geraten wir in den Spagat zwischen wissenschaftlicher Tiefe und fachlicher Breite“, sagte Hanselkar. Wissenschaft spiele sich verstärkt an den Schnittstellen statt im Zentrum der Disziplinen ab. Das Forschen und Denken in Systemen von Stromerzeugung und -verteilung bis zur Batteriezelle setze nicht nur Austausch der Wissenschaften, sondern auch den Dialog zwischen Wissenschaft und Industrie voraus.
Wittenstein sieht Elektromobilität ohnehin nur als Element einer großen gesellschaftlichen Transformation. Dazu gehörten auch Fragen des Lebens und Arbeitens im urbanen Umfeld, stadt-verträgliche Produktionssysteme sowie eine veränderte Einstellung zu Mobilität. Ganz sicher – darin waren die Experten einig – werde das Elektroauto kein Ersatz für das heutige Universalauto. Es geht also um mehr als den Übergang von Öl zu Strom. Mobilität soll sich künftig besser ins Stadtleben fügen. In diesem Punkt waren sich die Experten völlig einig. P. TRECHOW/WOP
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