Werkstoff 13.08.2010, 19:48 Uhr

Beizen schwächte Schweißnähte im Kraftwerk

Kesselausfall im Kohlekraftwerk – das bedeutet Anlagenausfall mit immensen Folgekosten. Im neuen Steinkohlekraftwerk in Duisburg-Walsum gab es unerwartete Probleme schon beim Probelauf. Ein hochbelastbarer Spezialstahl zeigte Schwächen im Schweißnahtbereich der Kesselrohre. Die Ursache für die Mängel liegt beim Beizen des Stahles, sagen die Experten beim Kraftwerksbauer Hitachi Power Europe (HPE).

Der Schreck saß tief am 30. März 2010: Während eines Erprobungsbetriebes trat Wasserdampf aus undichten Schweißnähten des Kessels in Block 10, dem neuen Steinkohlekraftwerksblock in Duisburg-Walsum. Die Lecks überraschten Kraftwerksbauer Hitachi Power Europe (HPE), da im Block 10 modernste Materialien eingesetzt werden. Es ist das zweite Kraftwerk, in dem ein Spezialstahl großflächig verbaut wird, der fachmännisch „7CrMoVTiB10–10“ heißt und kurz „7CrMo“ genannt wird.

Der TÜV hat den sehr hitzeresistenten Spezialstahl als Kesselstahl zertifiziert. Betreiber könnten mit ihm Dampf erzeugen, der beim Eintritt in die Dampfturbine einen Druck von rund 280 bar hat und rund 600 oC heiß ist. Der Kessel in Walsum ist auf der Hochdruckseite für rund 600 oC und einen Druck von 274 bar ausgelegt. Zum Vergleich: In bestehenden Kraftwerken liegt die Dampftemperatur bei 540 oC und der Druck bei 260 bar. Aufgrund der höheren Temperaturen und des höheren Drucks soll der Walsumer Kraftwerksblock einen Wirkungsgrad von nahezu 46 % erreichen.

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Nach den Leckagen handelten HPE und Betreiber Evonik Steag sofort. Sie ließen alle Nähte röntgen und fanden rund 1500 Fehlstellen. „Dabei zeigten sich interessante Details“, sagte HPE-Geschäftsführer Wolfgang Schreier. Die Fehlstellen waren nicht gleichmäßig verteilt. Sie traten nur bei Schweißnähten an Rohren aus dem Spezialstahl 7CrMo auf. Fehlstellen traten jedoch nicht überall auf, wo dieser Stahl verbaut worden war, sondern nur in den Membranwänden im oberen Bereich des 105 m hohen Kessels – genauer: zwischen 40 m und 87 m Höhe, wo die Materialbelastung am größten ist. Immerhin: Am Kesselgerüst hängt der Kessel mit einem Gewicht von 5400 t, ein Teil des Gewichts wird über die Membranwände abgetragen.

Und Schreier betonte, es gebe bereits Praxiserfahrungen mit diesem Stahl: Einige Quadratmeter wurden seit Mitte der 90er-Jahre in Kraftwerksblöcken Weisweiler, Neckar 2, Niederaußem, Thierbach und Asnæsværket, Dänemark, eingebaut und getestet sowie im polnischen Kohlekraftwerk Lagisza mit zirkulierender Wirbelschichtfeuerung. Probleme gab es keine.

Warum aber tropfte es in Walsum? „Wir konnten schnell das Schweißen als Fehlerquelle ausschließen“, erklärte Schreier: Die Lecks traten bei Hersteller- und bei Baustellenschweißnähten auf. Die Stahlrohre stammen von Vallourec & Mannesmann Tubes und wurden etwa vom Meeraner Dampfkesselbau zu Membranwänden weiterverarbeitetet, die dann auf der Baustelle zur fertigen Kesselwand zusammengeschweißt wurden. „Auch der Spezialstahl kann die Spannungsrisskorrosion nicht allein verursacht haben“ so Schreier weiter. Der Stahl ist eine Weiterentwicklung des seit Jahrzehnten im Kesselbau eingesetzten Stahls 10CrMo9–10 und enthält keine neuen chemischen Bestandteile.

Die Leckage wurden hingegen von der „wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion“ verursacht. „Drei Dinge müssen hier zusammenkommen“, sagte Ralf-Udo Husemann, HPE-Werkstofffachmann: der Werkstoff, reaktiver Wasserstoff und hohe mechanische Spannung.

Auslöser für die Leckagen war das Beizen des Kessels mit verdünnter Flusssäure. Wasserstoffionen lagern sich dabei an die Stahloberfläche und werden in neutrale, aber reaktive Wasserstoffatome umgewandelt. Im Normalfall verbinden sich zwei dieser Atome zu gasförmigem Wasserstoff, der mit der Beizlösung herausgespült wird und keine weiteren Probleme verursacht.

„Im Walsumer Prozess war diese Reaktion gestört“, erklärte Husemann. Ein „Rekombinationsgift“ – genauer: Schwefelwasserstoff – habe das Verbinden zweier Wasserstoffatome behindert. Dieses Molekül hat sich aus einem Zusatzstoff zur Beize gebildet. Dieser Zusatzstoff hat den Zweck, übermäßigen Materialabtrag zu verhindern. Warum sich Schwefelwasserstoff überhaupt bilden konnte, ist jedoch noch unklar.

Die Folge: „1000-mal mehr atomarer Wasserstoff konnte in den Nahtbereich eindringen“, betonte Husemann. Was im Nahtbereich genau geschah, ist zwar noch unklar. Doch fügen sich zwei Wasserstoffatome in dem Werkstoffgefüge des Nahtbereiches zu gasförmigem Wasserstoff zusammen, könnte es nach seiner Meinung zu Mikrorissen kommen, „die sich dann unter Beanspruchung zu Rissen wie in Walsum ausweiten“.

Der Fehler ist gefunden, jetzt sucht HPE nach einer Lösung. Er entwickelt zurzeit ein Beizverfahren, das eine wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion wie in Walsum ausschließt. Wolfgang Schreier ist optimistisch, dass dies in wenigen Wochen gelingt.

In Duisburg-Walsum sei ein erneutes Beizen nicht erforderlich, nach dem derzeitigen Reparaturkonzept sollen die Fehlstellen bis Herbst ausgetauscht werden, erklärte Wolfgang Konrad, bei Evonik Steag zuständig für Neubauprojekte und Standortentwicklung. „Dadurch entstehen keine Sicherheitsmängel“, unterstrich Konrad. RALF AHRENS

Ein Beitrag von:

  • Ralph H. Ahrens

    Chefredakteur des UmweltMagazins der VDI Fachmediengruppe. Der promovierte Chemiker arbeitete u.a. beim Freiburger Regionalradio. Er absolvierte eine Weiterbildung zum „Fachjournalisten für Umweltfragen“ und arbeitete bis 2019 freiberuflich für dieverse Printmedien, u.a. VDI nachrichten. Seine Themenschwerpunkte sind Chemikalien-, Industrie- und Klimapolitik auf deutscher, EU- und internationaler Ebene.

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