Chinesen puzzeln Kokerei auseinander
Die hochmoderne Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund wird zerlegt, verladen und verschifft, um in Jining City in der ostchinesischen Provinz Shandong wieder aufgebaut zu werden. Schon vor dem offiziellen Start ist die über 100 m lange Anlage weit gehend filetiert.
Knapp 3 Jahre ist es her, dass „auf Kaiserstuhl” der letzte Koks gedrückt wurde. Seitdem sind die beiden Koksofen-Batterien mit ihren 120 Öfen erloschen, die hoch gerühmte umweltfreundliche Trockenkühlung für die glühenden Koksladungen hat ausgedient. Trotzdem hängt noch immer ein leicht penetranter Geruch von Teer und Benzol in der Luft und hüllt die gelben Wohncontainer im Schatten der Kokerei ein. Dort leben knapp 300 Männer aus dem Reich der Mitte, die „De-Monteure“ der Kokerei, das Objekt ihrer Arbeit immer vor Augen – oder wenigstens seinen Gestank in der Nase.
Li-shi Mo bellt ins Mikrofon. Keine Miene verzieht der Projektleiter des größten staatlichen Bergbaukonzerns von China, der Yankuang-Gruppe. Was seine chinesischen Worte bedeuten, ist seinem Gesicht nicht abzulesen ebenso wenig wie dem Klang seiner Stimme. Dann die Übersetzung: Aha, Dank an das Oberbergamt und die Dortmunder Polizeibehörden, Dank an die Deutsche Steinkohle AG (DSK AG/Herne), die die Kokerei an Yankuang verkauft hat, Dank an das Gesundheitsamt: Wegen der SARS-Epidemie waren die ersten 16 Monteure aus China zunächst in Quarantäne gesteckt worden.
Li-shi Mo applaudiert am Freitag vergangener Woche dem offiziellen Beginn der Demontagearbeiten. Seine chinesischen Mitarbeiter applaudieren, die deutschen Honoratioren ebenfalls – und als die Dolmetscherin Herrn Mos Rede übersetzt hat, wissen sie auch warum.
Der Ton ist markig – wie auf dem Kasernenhof – auf Dortmunds größter Ab-Baustelle auf dem Gelände der Westfalenhütte, nur ein paar 100 m entfernt vom legendären Borsigplatz, dem Geburtsort des Ballspielvereins Borussia Dortmund. Wenn Herr Mo nicht gerade kurze und knappe Anweisungen gibt, dann wird seine Mannschaft sprichwörtlich „angepfiffen“ – per Trillerpfeife verständigen sich Vorarbeiter mit den Demontagetrupps, wenn große Anlagenteile auf ein Kommando von riesigen Kränen aus der Kokerei gehoben, geschwenkt und zur Enddemontage auf den Boden gesenkt werden.
Bis Ende des kommenden Jahres wird der Dortmunder Kaiserstuhl „geschliffen“, ein Stück jüngster Industriegeschichte dem Erdboden gleichgemacht sein.
Tatsächlich macht sich mit der Kokerei nicht ein abgeschriebener technischer Dinosaurier, sondern ein Stück Hightech auf die Reise nach China: Die Kokerei war Anfang 1992 nach fünfjähriger Planungs- und Bauzeit für damals gut 1,2 Mrd. DM nach dem neuesten technischen Stand errichtet worden.
Besonders stolz waren die Erbauer – Still/Thyssen und C. Otto – auf die „Trockenkühlung” des heißen Kokses. Wenn der aus den Koksöfen gedrückt wurde, löschte ihn flüssiger Stickstoff statt Wasser ab. Das ersparte der Umwelt Unmengen von Staub- und Schwefelniederschlägen, die sich sonst mit den großen Wasserdampfschwaden ausbreiteten. Doch die Trockenkühlung machte den Kaiserstuhl-Koks auch teuer – „da wurde die Butter mit dem Laserstrahl geschnitten“, hieß es bei den Technikern.
„Der Ruf der modernen Kokerei hat meine Heimat erreicht“, sagt Prof. Wei Luan (45) im besten Hochdeutsch. Der gute Ruf der Kokerei machte es Luan möglich, diese Anlage in seiner Heimat zu verkaufen – so wie er zuvor schon hochmoderne Kohlemischanlagen ins Reich der Mitte transferiert hat.
Dafür hat Luan, der in Bochum wohnt und seinen Vornamen eigenmächtig aus praktischen Erwägungen in Wolfgang geändert hat, die Famous-Handelsgruppe gegründet – Famous wie berühmt, wie er hinzufügt. „1 zu 1“ würde Kaiserstuhl in China wieder errichtet, berichtet er. Dafür gehen rund 20 000 t Anlagenteile auf die Reise – oder vielleicht auch 30 000 t. So genau wissen das weder Luan noch Projektleiter Mo noch die Montagetrupps.
Die gehen mit chinesischem Eifer, für das dreifache heimische Gehalt und nach den Bestimmungen deutschen Arbeitsrechts zu Werke. 6 Tage die Woche wird jeweils 10 Stunden gearbeitet.
Morgens geht es raus aus den Containern, mittags wandern die Mannschaften mit Teeflaschen, die sie an Bügeln tragen, zurück in ihre Quartiere. Da gibt es Mahlzeiten nach Rezepten der heimischen Küche. Dann geht es wieder zur Schicht, am Abend zurück in die Container, die jeweils drei Betten, zwei Schränke und einen Kühlschrank beherbergen. Dusch- und WC-Container sowie einen großen Speisecontainer gibt es extra. Man bleibt unter sich. Bei der Dortmunder Einwohnerstatistik zählen die Gäste aus Fernost als Bewohner zwar mit tatsächlich finden sie im Alltag der Stadt nicht „statt“.
Zwei Löschwagen der Kokerei sind bereits demontiert, von den zwei Druckmaschinen gibt es noch eine halbe. Die beiden Füllwagen stehen noch hoch oben auf dem Mittelbau der Kokerei, doch drum herum liegen bereits fein säuberlich sortiert und vor allem exakt markiert Bänder, Maschinenteile und Technik in rauen Mengen. Die chinesischen Trupps demontieren die technische „Seele“ der Anlage.
Die Öfen, 7,6 m hoch, 18 m lang und 0,61 m breit, in denen die Kokskohle bei bis zu 1340 °C in rund 25 Stunden in Koks verwandelt wurde, bleiben in Dortmund stehen: Die Öfen sind erkaltet, die Ausmauerungen kein zweites Mal zu gebrauchen. Die Hochöfen der Dortmunder Hütte, die die Chinesen demontierten, haben sie in Fernost wieder erfolgreich anblasen können.
Bei der Warmbreitbandstraße hegen viele Techniker Zweifel, ob es den Chinesen gelingen wird, diese moderne Technik wieder zum Laufen zu bringen. „Doch eine Kokerei ist noch viel komplizierter“, meint Hermann Toll von ThyssenKrupp EnCoke. Sein Unternehmen betreut mit heimischen Kräften den Ab- und vor allem den Aufbau der Kokerei.
Über Kosten wird allenthalben geschwiegen. Doch machten die „nackten“ Kokereikosten in den 90er Jahren rund 400 Mio. DM von der Gesamtinvestitionssumme von 1,2 Mrd. DM aus. Von diesen umgerechnet 200 Mio. « erhält der Verkäufer Deutsche Steinkohle nur einen Bruchteil, der sich um den Schrottpreis bewegen dürfte. Die Ingenieurleistung, so schätzt Toll, die von deutschen und chinesischen Technikern geleistet werden wird, wird dabei teurer sein.
Doch das Finanzielle hat Professor „Wolfgang“ Luan, der Chinese mit dem deutschen Pass, in langwierigen Verhandlungen abgewickelt. Jetzt fliegen die Funken auf der Baustelle in Dortmund. Weil die gemieteten Großkräne sehr teuer sind, demontieren die Bautrupps möglichst große Anlagenteile am Stück. Wenn die auf den Boden gesenkt sind, können die Kräne abfahren und in akribischer Kleinarbeit werden die Anlagenbrocken zerlegt, per Computer registriert und nummeriert, zum Teil säuberlich auf beschriftete Paletten gebunden und dann über den Dortmunder Hafen oder die Straße nach Antwerpen transportiert.
Dabei treiben die Monteure die Arbeit nicht so auf die Spitze, wie es eine pakistanische Bautruppe vor wenigen Jahren tat: Die nahmen sogar Lichtschalter mit, lösten und verpackten alle Schrauben – „bezahlt ist schließlich bezahlt“, hieß es damals. Die Chinesen gehen ökonomischer zu Werke, konzentrieren sich auf wesentliche Teile und rücken mit dem Schneidbrenner den korrodierten Schrauben zu Leibe.
Wenn der Aufbau in China so reibungslos gelingt wie der Abbau in Dortmund, bekommt der Bergbaukonzern Yankuang ein feines Stück Technik: 2 Mio. t Koks kann die Anlage jährlich produzieren, dazu 1 Mrd. m3 Gas, 65 000 t Teer, 20 000 t Benzol, 5500 t flüssigen Schwefel, das Ganze im Dreischichtbetrieb mit einer Mannschaft von knapp 500 Mann.
Professor Wolfgang Luan weiß, welche High-Tech-Anlage er da in seine Heimat transferiert, ist doch vor wenigen Wochen in Duisburg-Schwelgern eine funkelnagelneue Kokerei bei ThyssenKrupp Stahl in Betrieb gegangen. Die hat wieder eine weiterentwickelte herkömmliche „nasse“ Kokskühlung. „Schwelgern ist auch ganz modern“, meint Luan.
Für die Dortmunder Bevölkerung läuft der Abbau der Kokerei weitestgehend unbemerkt ab. Nur manchmal werden in der Nacht Straßen gesperrt, wenn Großteile als Schwertransport zum Hafen gefahren werden. Von der Kokerei selbst stehen weiterhin als Wahrzeichen die beiden riesigen Schlote – nachts mit roten Warnlampen beleuchtet, ganz so, als ob dort noch Koks gedrückt würde.
MARTIN ROTHENBERG
Ein Industriestandort wird geschliffen
Die Kokerei Kaiserstuhl war ein wesentlicher Baustein des integrierten Hüttenstandorts Dortmund: Sie lieferte Koks und Gas für die Hochöfen des Stahlkonzerns Hoesch AG, der später von der Essener Fried. Krupp GmbH übernommen wurde. An den beiden Dortmunder Standorten „Westfalenhütte” und „Phönix” wurde mit Koks aus der Ruhrkohle-Kokerei Kaiserstuhl Eisen geschmolzen und daraus Stahl gekocht. Die gegossenen Stahlstränge walzte dann die Warmbreitbandstraße aus anschließend wurden die Bleche in der hochmodernen Durchlaufglühe und in Kaltwalzwerken veredelt. Trotz aller Optimierungsbemühungen war der „trockene Stahlstandort” Dortmund langfristig gegenüber dem „nassen” – nämlich am Rhein liegenden – Hüttenstandort Duisburg nicht konkurrenzfähig. Die Hochöfen in Dortmund erloschen und nahmen damit auch der Kokerei ihre Daseinsberechtigung. Nun wird die Anlage wie schon die Hochöfen und die Warmbreitbandstraße demontiert. Sie soll in China ein zweites Leben führen. mr
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