Der Traum von Chemie ohne Erdöl wird wahr
Könnte man Kohlendioxid (CO2) als Wertstoff nutzen, ließen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Welt wäre unabhängiger von den knapper werdenden Erdölreserven und die Atmosphäre würde mit geringeren Mengen des klimawirksamen Gases belastet. Experten rund um den Globus arbeiten dazu auf unterschiedlichen Wegen an Lösungsansätzen.
„Es ist ein alter Traum von Chemikern, Kohlendioxid in einen Wertstoff zu verwandeln“, sagte Martina Peters kurz vor Weihnachten auf dem Dechema-Kolloquium „Stoffliche Nutzung von CO2“. Sie koordiniert bei Bayer das Projekt „Dream Production“, bei dem es um den Einbau des Treibhausgases in Kunststoffe geht.
Chemiefirmen in aller Welt versuchen mit zwei Ansätzen, CO2 zu verwerten: mit Katalysatoren, die es mit wenig Energieaufwand und hoher Wirksamkeit in organische Moleküle umwandeln, und mit Mikroorganismen, die Chemikern diese Arbeit abnehmen. Diese CO2-Verwertung sei, so Peters, „ein Baustein in der Gesamtstrategie zum Umgang mit unseren Kohlenstoffressourcen“.
CO2 wird bereits industriell genutzt
Dabei ist CO2 in der Industrie kein unbekanntes Molekül. Rund 20 Mio. t CO2 nutzen Firmen weltweit, um damit die Ölausbeute in Ölfeldern zu verbessern, als Schutzgas oder um kohlensäurehaltige Getränke herzustellen. Aus weiteren ca. 110 Mio. t werden Harnstoff, ein Grundstoff synthetischer Düngemittel, sowie Methanol, zyklische Carbonate und Salizylsäure hergestellt.
„Solche Anwendungen können das Klimaproblem aber nicht lösen“, stellte Michael Röper von der BASF klar. Denn noch ist es zu energieaufwendig, aus CO2 organische Moleküle herzustellen. Die CO2-Emissionen könnten daher nur gesenkt werden, „wenn regenerative Quellen die dafür notwendige Energie bereitstellen“. Zudem nutze die Industrie heute weniger als 1 % aller rund 30 Mrd. t menschenverursachter CO2-Emissionen. Davon bräuchte die Chemie nur einen Bruchteil, selbst wenn sie vollständig auf CO2 als Rohstoffquelle umsteigen würde: Sie nutzt weltweit etwa 7 % allen Erdöls als Rohstoff.
Bayer und BASF testen CO2-basierte Kunststoffe
Fraglos lässt sich mit CO2 aber mehr anfangen als bisher. Eine Vision: Alle Kohlenstoffatome eines Kunststoffs stammten von dem Klimakiller. Bayer und BASF gehen hier voran. Den Durchbruch können neue Katalysatoren bringen, dank derer das träge CO2 bei relativ niedrigem Energieaufwand mit einem reaktiven Molekül, dem Propylenoxid, eine neue Verbindung eingehen kann. Da beide Chemiefirmen unterschiedliche Katalysatoren nutzen, entstehen auch andere Moleküle: beim Leverkusener Konzern Polyol als Baustein für Polyurethan, beim Ludwigshafener Konzern das Polymer Polypropylencarbonat (PPC). Beide Firmen testen die teilweise CO2-basierten Kunststoffe bereits auf ihre Eigenschaften.
Beispiel Bayer: Seit Februar 2011 produziert dort eine Pilotanlage im Chemiepark Leverkusen Polyole, die zum Teil ein Kohlenstoffatom aus dem Treibhausgas enthalten. Ziel ist, ab 2015 diese Polyole im industriellen Maßstab herzustellen. Bayer kooperiert dazu mit dem Energiekonzern RWE, der am Braunkohlekraftwerk Niederaußem eine Anlage zur Abtrennung und Reinigung von CO2 betreibt.
Und Bayer-Experten wollen den Katalysator gemeinsam mit dem Forschungsinstitut CAT Catalytic Center aus Aachen – einem Joint Venture von Bayer und der RWTH Aachen – so weiterentwickeln, dass er die Reaktion zwischen CO2 und Proplyenoxid noch beschleunigt. An der RWTH wird auch die Ökobilanz des neuen Verfahrens erstellt. Peters ist zuversichtlich, dass das neue Verfahren am Ende Erdöl einspart.
Bayer geht noch weiter: In einem zweiten Projekt wird versucht, mithilfe von überschüssigem erneuerbarem Strom vor allem aus Windkraft Wasser elektrolytisch zu spalten. Der entstehende Wasserstoff soll mit CO2 reagieren und zum Beispiel Kohlenmonoxid (CO) bilden, das wiederum Ausgangsprodukt zur Herstellung von Isocyanaten, dem zweiten Polyurethan-Baustein, sein kann. Der Kunststoff könnte dann deutlich mehr Kohlenstoffatome aus CO2 enthalten. Allerdings rechnet Bayer nicht vor 2020 mit einer industriellen Nutzung.
Einen völlig anderen Weg, das Klimagas zu nutzen, beschreitet Thomas Haas mit der „Synthesegas-Fermentation“. Er leitet die Biotechnologieabteilung von Creavis, einer Evonik-Firmengründung zur Entwicklung nachhaltiger Geschäftsfelder. Bei dieser Fermentation wandeln Bakterien das Gas in organische Moleküle um.
Ihre Kohlenstoffquelle ist Synthesegas, das CO2 und CO enthält. Die Bakterien – meist Clostridien – bilden daraus für die Chemieindustrie interessante Stoffe mit zwei oder vier Kohlenstoffatomen wie Ethanol, Essigsäure, Butanol oder Buttersäure. Einige Firmen wollen mit den Bakterien im industriellen Maßstab Ethanol herstellen. So vergast die US-Firma Coskata aus Illinois Holzreste und leitet das entstehende Gas in einen Fermenter mit Clostridien. Die neuseeländische Firma LanzaTech füttert Clostridien mit Kokereiabgas und plant eine erste Produktionsanlage in China.
Doch Haas will mehr. „Wir versuchen, Mikroorganismen gentechnisch so zu verändern, dass sie auch komplexere Moleküle bilden und ausscheiden.“ Experten von Creavis versuchen daher, Clostridien zur Bildung etwa von Methacrylsäure, dem Grundbaustein für Kunststoffe wie Polymethacrylsäureethylester (PMMA), anzuregen.
DuPonts: „Bio-PDO“ ersetzt PDO aus Erdöl als Grundstoff für Kunststoffe
Dass der Ansatz der gentechnischen Manipulation von Bakterien prinzipiell funktioniert, zeigt die Chemiefirma DuPont mit Tate & Lyle, einem Hersteller von Spezialchemikalien für die Lebensmittelverarbeitung. Beide US-Firmen betreiben in Loudon, Tennessee, einen Fermenter. Darin bilden gentechnisch veränderte E.coli-Darmbakterien aus Maisglukose die Substanz Propandiol (PDO). Dieses „Bio-PDO“ ersetzt bereits PDO aus Erdöl als Grundstoff für DuPonts Kunststoffe. Nach Firmenangaben werden für die Herstellung 40 % weniger Energie benötigt und 20 % weniger Treibhausgase emittiert als bei der klassischen Herstellung.
Vielleicht sind also schon bald Kunststoffe zu kaufen, in denen CO2 aus Kohlekraftwerken steckt. Diese Verwirklichung eines alten Traums wird aber auf absehbare Zeit die Rohstoffquelle Erdöl nur ergänzen können.
Ein Beitrag von: