Forscher entwickeln extrem stabiles Material auf Holz-Basis
Schweizer Wissenschaftler haben das Lignin aus Holz entfernt, das dem natürlichen Werkstoff eigentlich seine Stabilität verleiht. Der Effekt ist interessant: Das neue Material soll stärker sein als einfaches Holz. Im nassen Zustand lässt es sich gut verformen.
Holz ist aus gutem Grund einer der beliebtesten Werkstoffe überhaupt. Denn Holz ist ein Rohstoff, der – abhängig von der Baumart – mehr oder weniger schnell nachwächst. Außerdem lässt sich Holz leicht verarbeiten, während seine mechanischen Eigenschaften unter anderem in der Baubranche sehr geschätzt werden. Die verschiedenen Holzarten bringen sogar jeweils eigene Merkmale mit sich, was sich beispielsweise darin niederschlägt, wie weich oder hart das Holz ist und ob es als besonders beständig gilt. So kann für jede Anwendung das richtige Material ausgewählt werden.
Den Wissenschaftlern der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in der Schweiz geht das aber noch nicht weit genug. Denn Holz hat eine weitere Eigenschaft, die es sehr attraktiv macht: Es ist in einem ausreichenden Maße verfügbar. Für die Forscher steht daher die Frage im Mittelpunkt, wie sich Holz noch mehr und besser nutzen lässt. Sie wollen die natürlichen Merkmale, angepasst an die Bedürfnisse, verbessern und das Holz zudem mit neuen Funktionen ausstatten. Ihr Ziel ist es, dadurch das Anwendungsspektrum des Materials zu erweitern. In einer neuen Versuchsreihe ist es ihnen gelungen, das natürliche Bindemittel Lignin aus dem Holz zu entfernen und dadurch spannende Eigenschaften zu erreichen. Dafür arbeiten sie in einem Team mit Kollegen der Eidgenössische Technischen Hochschule Zürich (ETH) zusammen.
Ohne Klebstoff wird die Holzmasse verformbar und doch stabiler
Wer den Ansatz der Forscher nachvollziehen will, sollte zunächst die Bestandteile betrachten, aus denen natürliches Holz im Wesentlichen besteht: Zellulose, Hemizellulose und Lignin. Dabei sorgt das Lignin, vereinfacht gesagt, dafür, dass die langen Zellulosefibrillen nicht knicken, also innerhalb der Struktur stabil bleiben. Die Wissenschaftler haben nun Säure genommen und damit das Lignin aus dem Material herausgelöst. Faktisch haben sie also den natürlichen Klebstoff entfernt. Zurück bleibt eine Masse aus weißer Zellulose, die sich im nassen Zustand in jede Form bringen lässt. Denn zwischen den Zellen, wo zuvor das Lignin Stabilität hergestellt hat, kann sich Wasser verteilen und die Zellverbindungen auflösen – es entsteht die gewünschte hohe Verformbarkeit.
Anschließend haben die Forscher die Masse getrocknet. Dabei tritt folgender Effekt ein: Das Wasser entweicht, und die Zellen verhaken sich direkt ineinander. Zusätzlich haben die Wissenschaftler die Cellulose-Masse gepresst und dadurch stark verdichtet. Nach ihren Angaben ist dabei ein Werkstoff entstanden, der rund dreimal steifer und zugfester ist als naturbelassenes Fichtenholz. Im letzten Schritt haben sie eine wasserabweisende Beschichtung aufgetragen. Das ist nötig, damit nicht erneut Feuchtigkeit eindringen kann. Denn dann würde das Wasser die Verbindungen der Zellen wieder lösen. Dauerhaft ist die hohe Festigkeit also nur im garantiert trockenen Zustand zu erreichen. Auch das unterscheidet den neuen Werkstoff von einfachem Holz.
Weitere Veränderungen der Holz-Eigenschaften sind leicht möglich
Der neue Werkstoff bringt ein weiteres Merkmal mit sich, das die Forscher für weitere Entwicklungen nutzen können: Er ist poröser als Holz. „Das ist ein großer Vorteil für die Funktionalisierung von Holz. Weil zwischen den Zellen und in den Zellwänden mehr Raum zur Verfügung steht, ist es einfacher, weitere Stoffe in die Holzstruktur einzubringen, die dem modifizierten Holz neue Eigenschaften verleihen“, sagt Tobias Keplinger von der Empa. Beispielsweise hat sein Team Eisenoxid in das Material eingebracht und es dadurch magnetisiert.
Die Wissenschaftler haben auch erste praktische Tests durchgeführt und in Experimenten Produktideen umgesetzt: ein Fahrradhelm, die Innenverkleidung einer Autotür und der Seitenspiegel eines Fahrzeugs. Sie beschreiben ihre Holzmasse als einen „Werkstoff mit Hightech-Potenzial“.
Neue Produkte werden Praxistests unterzogen
Bei der Holzmasse handelt es sich nicht um die erste erfolgreiche Veränderung des natürlichen Werkstoffs. Am Empa-Departement Functional Materials sind unter anderem bereits Türgriffe aus antimikrobiellem Holz entstanden, mineralisiertes Holz für verbesserten Flammwiderstand und eine Pinnwand aus magnetisiertem Holz. Dabei werden Produkte wie der Türgriff nach Möglichkeit jahrelangen Praxistests unterzogen, beispielsweise in der Studentenwohnung „Vision Wood“, die zum Institut gehört.
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