Hitachi und Vattenfall haben Stahlprobleme überwunden
Im Neubaublock R des Braunkohlenkraftwerks Boxberg musste die Hochleistungsstahlsorte T24 teilweise gegen ein herkömmliches Material ausgewechselt werden. Dennoch versichern Kesselbauer und Betreiber, dass der Block die ursprünglich geplanten Leistungswerte erreicht.
Am Tag der offiziellen Inbetriebnahme letzte Woche stiegen große weiße Dampfwolken aus dem Kühlturm des neuen Blocks R im sächsischen Braunkohlengroßkraftwerk Boxberg. „Der Block zeigt sich in guter Form, er fährt mit 660 MW“, berichtete Hubertus Altmann, Kraftwerksvorstand des Betreibers Vattenfall Europe Generation, bei einer Liveschaltung aus der Leitwarte ins Festzelt mit mehreren hundert Gästen.
Zuvor hatten Vattenfall und sein Kesselbauer HPE Hitachi Power Europe ein großes Problem zu lösen: Bei der im Kessel teilweise eingesetzten Hochleistungsstahlsorte T24 kam es zu Rissen in Schweißnähten. Der Bau des Blocks dauerte deshalb zwei Jahre länger und wurde mit 1 Mrd. € auch um ein Viertel teurer als ursprünglich geplant.
Der T24-Stahl hat eine deutlich höhere Festigkeit als der bisher verwendete T12-Stahl. Er sollte es ermöglichen, mit höheren Dampftemperaturen und -drücken zu arbeiten und so einen höheren Kraftwerkswirkungsgrad zu erreichen.
Aus T24 bestand ursprünglich knapp die Hälfte der Rohre, die in den Membranwänden des Kessels das Speisewasser transportieren, das vom Braunkohlenfeuer erhitzt wird und schließlich zur Dampferzeugung dient. HPE bezog diese Rohre vom Düsseldorfer Rohrhersteller Vallourec & Mannesmann Tubes. Die damit hergestellten Membranwände wurden beim Bau des Boxberger Kessels in vorgefertigten Wandelementen montiert und die Rohre einzeln miteinander verschweißt. Schließlich beizte HPE die Rohre noch mit Chemikalien, um sie von Verschmutzungen und Rost aus Fertigung und Montage zu befreien.
Wie der Kesselbauer berichtete, haben sich beim Beizen des T24-Stahls auf nicht vorhersehbare Weise schädliche chemische Verbindungen gebildet. Sie sorgten dafür, dass die Schweißnähte sehr empfindlich auf den Säuregehalt des Speisewassers reagierten. Deshalb kam es bei niedrigen Temperaturen und saurem Speisewasser zu Spannungen und Rissen. Bei einem hohen Sauerstoff-Anteil des Speisewassers trat das gleiche Phänomen unter Temperaturen zwischen 150 °C und 280 °C auf. Dies war bei den umfangreichen Untersuchungen in der Materialzulassung für den T24-Stahl nicht entdeckt worden.
„Dass die Qualität des Speisewassers derartig kritisch ist, haben wir erst in Boxberg herausgefunden“, bekannte HPE-Geschäftsführer Wolfgang Schreier. „Bei seiner Aufbereitung ist jetzt viel mehr Sorgfalt nötig.“ Wegen der Risse musste die Inbetriebsetzung des Blocks für ein Jahr unterbrochen werden. HPE demontierte ein Viertel der schon verbauten T24-Membranwände – 870 m2 – und ersetzte sie durch Membranwände, deren Rohre aus dem herkömmlichem Kraftwerksstahl T12 gefertigt sind.
Damit auch T12-Material den hohen Temperaturen standhält, haben die Rohre der Membranwände nun eine größere Wanddicke. Außerdem musste die Verteilung der Wärme innerhalb des Kessels verändert werden.
Ende 2011 konnte Vattenfall die Inbetriebsetzung des Blocks wieder aufnehmen. Inzwischen läuft der Block im Dauerbetrieb. Die ursprünglich projektierten Kraftwerksparameter werden nach Angaben beider Unternehmen eingehalten: Frischdampftemperatur und -druck liegen mit 600 °C und 285 bar deutlich höher als beim Nachbarblock Q (Inbetriebnahme: 2000). Beim Nettowirkungsgrad erreicht der neue Block R mit 43,7 % einen Spitzenwert für Braunkohlengroßkraftwerke.
Altmann zeigte sich weitgehend zufrieden mit der gefundenen Lösung. Als einzige Einschränkung nannte er, dass sich der Materialwechsel auf die Lebensdauer der Membranwände auswirken kann. „Normalerweise hält die Heizfläche 200 000 Betriebsstunden“, sagte er. Das entspricht etwa 25 Jahren Betriebszeit. „Möglicherweise muss sie im Block R früher gewechselt werden.“
Um künftig die in Boxberg aufgetretenen Probleme mit T24 zu vermeiden, hat HPE seine Prozesse für Herstellung, Montage und Inbetriebsetzung verändert und teilweise zum Patent angemeldet. Dazu gehört, dass die montierte Membranwand bei Temperaturen von 500 °C wärmebehandelt wird, um innere Spannungen aus dem Schrumpfungsprozess des Schweißens abzubauen. Das Beizen der Rohre soll eingeschränkt und so ausgeführt werden, dass keine schädlichen chemischen Verbindungen entstehen. Schließlich soll auch die Zeit, in welcher die Rohre den kritischen Temperaturen zwischen 150 °C und 280 °C ausgesetzt werden, möglichst kurz bleiben. Diese Lösungsansätze will HPE unter anderem auf der VDI-Jahrestagung „Schadensanalyse in Kraftwerken“ am 23. Oktober in Würzburg vorstellen.
Die veränderten Prozesse für Herstellung, Montage und Inbetriebsetzung werden auch bei den Kraftwerken Moorburg, Rotterdam und Maasvlakte angewendet. Sie sollen 2013 in Betrieb gehen. Bei neuen Kraftwerksprojekten sind die HPE-Kunden vorsichtig geworden: Sie fragen derzeit nach Kesseln ohne T24. STEFAN SCHROETER
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