Hohes Marktpotenzial für Organofolien
Ob Automobilbau, Sport- und Freizeitbereich, Medizintechnik und Maschinenbau, Luftfahrt oder Architektur und Bauwesen – Leichtbautechnik aus faserverstärkten Kunststoffen könnte in vielen Branchen Energie und CO2-Emissionen und damit Betriebskosten sparen. Doch die Herstellung des Werkstoffs selbst ist aufwendig und teuer. Eine günstige Alternative aus Recyclingmaterial haben Forscher des Faserinstituts Bremen jetzt entwickelt.
Ein besonders hohes Potenzial für leichte Bauweisen besitzen kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe, sogenannte CFK, die zu unendlich vielen unterschiedlichen Produkten verarbeitet werden können. Sie weisen bei geringer Dichte eine hohe Festigkeit auf.
Ihr Einsatz im Automobilsektor und in der Baubranche ist aber bisher erschwert. Der Grund: Die Herstellungsverfahren sind mit hohen Materialkosten verbunden. In gängigen Verfahren wie den Harzinfusionstechniken werden während der Fertigung der Bauteile trockene Gewebe in flüssigen Kunststoff eingebettet. Da kann es Stunden oder gar Tage dauern, bis die Bauteile ausgehärtet sind.
Der Kauf der Grundfasern schlägt mit mehr als 20 €/kg zu Buche, hinzu kommen mehr als 100 €/kg für Gewebe und bis zu 60 €/kg für die Harze. Zudem sind diese Verfahren nicht nur zeitintensiv, ihre Fertigung erfolgt manuell und diskontinuierlich.
Am Faserinstitut Bremen entwickelte Henrik Dommes eine Alternative zu den teuren CFK: die sogenannte Organofolie. Die Erfindung des Diplomingenieurs, ausgezeichnet mit dem Materialeffizienzpreis 2009 des Bundesministeriums für Wirtschaft, wird inzwischen in einem patentierten Verfahren realisiert und durch die InnoWi GmbH vermarktet.
Die Folie entsteht aus den trockenen Abfällen von Kohlenstofffasern, die von einem CNC-Cutter in Quadrate mit einheitlicher Größe zerkleinert werden. Anschließend werden die einzelnen Fasern über ein Vibrationsverfahren aus den Gewebestücken getrennt und gleichmäßig ausgerichtet. Die Vibrationstechnik hat gegenüber bisherigen Verfahren den Vorteil, dass die Fasern schonend behandelt werden. Sie verändern sich nicht in ihrer Größe und es entstehen keine Flusen.
Faserverstärkte Kunststoffe bestehen entweder aus „orientierten Endlosfasern“ und der Kunststoffmatrix oder aus ungerichteten Lang- oder Kurzfasern und der Kunststoffmatrix. Die Organofolie ermöglicht erstmals die Herstellung von faserverstärkten Folien mit gerichteten Langfasern.
Anschließend können die Fasern auf eine Folie aus Polypropylen (PP) oder anderen geeigneten Polymeren aufgetragen und fest eingeschmolzen werden. Durch Zuschneiden, Übereinanderlegen und anschließendes Verfestigen wird ein Laminat aufgebaut, das in seinem Aufbau und seiner Dicke den späteren Belastungen von vorneherein angepasst werden kann. Die gefertigten Laminatplatten können nun im Press- oder Tiefziehverfahren zu hochwertigen Bauteilen umgeformt werden, die wiederum recyclingfähig sind.
Bisher fallen bei einer Gesamtproduktionsmenge von ca. 58 000 t C-Fasern pro Jahr ca. 300 t trockene Verschnitte aus den Harzinfusionsverfahren an, die ebenso wie die Fasern aus alten Bauteilen für die Organofolie verwendet werden können. Bei der energieintensiven Herstellung von 300 t Neufasern entstehen über 2000 t CO2, während das neue Recyclingverfahren wenig Energie verbraucht und bei der Auftrennung der Verschnitte ohne zusätzliche Hilfsstoffe oder Chemikalien auskommt.
„Organofolie bietet umwelttechnische Vorteile gegenüber bisherigen CFK“, erklärte Dommes den VDI nachrichten: „Es können hochwertige Abfallfasern energieschonend aufbereitet werden, die sich mit ihrer homogenen Faserausrichtung vielfältig im Leichtbau einsetzen lassen. Durch diese Leichtbauanwendungen etwa in Autos und Fahrrädern wird Bewegungsenergie gespart. Damit leisten wir einen erheblichen Beitrag zur CO2-Emissionsminderung und zum Klimaschutz.“
Auch der für die Organofolie angewandte automatisierte Tiefziehprozess bietet enorme Vorteile gegenüber bisherigen Verfahren: Der Ablauf der Formgebung und die Abkühlzeit des Kunststoffs ist wesentlich kürzer als die Härtungszeit eines Harzes.
Dommes: „Die Zykluszeit in der Bauteileherstellung lässt sich mit der neuen Technologie – von heute mit 60 s/Bauteil – in Zukunft noch auf bis zu 6 s/Bauteile reduzieren.“ Das führt zusammen mit den Einsparungen bei den Materialkosten und der manuellen Arbeit zu vergleichsweise günstigen Produktionskosten und damit zur Vergrößerung der Marktchancen für die Kunststoffe.
Zudem eröffnen Organofolien Möglichkeiten im Hochleistungsleichtbau. Sie sind flexibler als bisherige CFK-Bauteile und eigenen sich deshalb auch für komplexere Konstruktionen, mit geschlossenen Ecken und Kanten.
Anders als Kunststoffverbunde mit teuren Geweben können Organofolien mit ihren wesentlich günstigeren Langfasern beispielsweise zu riesigen selbsttragenden Dachkonstruktionen oder lichtdurchlässigen Baufassaden geformt werden und dabei noch einen sinnvollen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Als Korpus von Streichinstrumenten sorgen sie vielleicht in naher Zukunft für den richtigen Klang.
M. WOLLENWEBER
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