Knautschzoneneffekt sorgt bei Stahlbauten für Erdbebensicherheit
VDI nachrichten, Düsseldorf, 26. 9. 08, rok – Die verheerenden Folgen von Erdbeben können gemindert werden, wenn verstärkt erdbebensichere Bauweisen angewendet werden. Das Beben in der chinesischen Provinz Sichuan vom Mai 2008 mit einer Stärke von 7.9 forderte 80 000 Todesopfer bei Sachschäden von rd. 90 Mrd. $. Auch wenn in Deutschland bisher nur Stärken bis 6,8 erreicht wurden, können Erdbeben auch hier schwere Gebäudeschäden oder sogar Einstürze bei einfacheren Bauweisen verursachen.
Durch Erdbeben werden Gebäudetragwerke zu Schwingungen und damit zu dynamischen Reaktionskräften primär in horizontaler Richtung angeregt. In der Horizontalen besitzen die meisten Bauwerke aber eine geringere Steifig- und Festigkeit. Zwei unterschiedliche Konzepte ermöglichen es, Bauwerke für den Erdbebenfall standsicher zu machen.
1. Jedes Gebäude besitzt Eigenfrequenzen. Diese dürfen nicht zu nahe bei den Anregungsfrequenzen des Erdbebens liegen, um die hervorgerufenen Schwingungen nicht zu verstärken (Resonanz). Eigenfrequenzen können durch Masse und Steifigkeit des Gebäudetragwerks beeinflusst werden oder durch die Entkopplung des Tragwerks vom Untergrund mittels spezieller Dämpferelemente im Fundament bzw. sonstige Schwingungsdämpfer. Diese Möglichkeiten sind jedoch begrenzt.
2. Der bessere Weg ist, ein Tragwerk zu wählen, das die Fähigkeit für einen ausreichenden Energieverzehr mitbringt und dynamische Bewegungsenergie gezielt abfängt. Dabei werden Verformungen, auch Schäden, in der Struktur akzeptiert, man vermeidet jedoch weitgehend ein Strukturversagen.
Diese zweite Vorgehensweise setzt eine möglichst große Duktilität (Verformbarkeit) der Konstruktionen voraus. Das heißt, sie müssen die Eigenschaft besitzen, bei Überbeanspruchungen große Verformungen zu ertragen, ohne dass es zum vollständigen Kollaps der Struktur kommt. Hier lässt sich die Analogie zum Autocrash ziehen, bei dem sich die Deformation auf die Knautschzone des Autos konzentriert und die Fahrgastzelle möglichst steif ausgebildet ist, um die Insassen zu schützen.
Maßgeblich für das gutmütige Verhalten eines Bauwerks unter Erdbebenbeanspruchung ist sein Dissipationsvermögen. Darunter versteht man die Fähigkeit eines Tragwerks, Schwingungsenergie abzudämpfen. Sie wird technisch mit dem sogenannten Duktilitätsfaktor angegeben. Je höher er ist, umso gutmütiger verhalten sich Baustrukturen bei Belastungen, z. B. durch Erdbeben.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Duktilitätsfaktor bei Stahlbetonstützen und Stahlbetonwänden in einem Bereich von 2 bis 4 liegt, bei Stahlstützen hingegen bei 6 bis 8 und damit mehr als doppelt so hoch ist. Dieses bei Erdbebenbeanspruchungen günstigere Verhalten ist auf eine deutlich höhere sogenannte Bruchdehnung (Verformungsfähigkeit) von Stahl zurückzuführen, die im Bereich von 20 % bis 30 % liegt. Stahlbetonbauteile erreichen hingegen nur eine Bruchdehnung von 5 % bis 10 %.
Da für erdbebensicheres Bauen die Fähigkeit, durch Verformbarkeit Energie zu vernichten, entscheidender ist als Festigkeit und Massivität der verwendeten Baustoffe, besitzt Stahl klare Vorteile gegenüber anderen, spröden Werkstoffen.
Selbstverständlich beeinflusst auch die Konstruktion des Tragwerkes selbst das Verhalten von Bauwerken unter Erdbebenbeanspruchung. Von Vorteil ist zum Beispiel eine Rahmenbauweise, eine optimale Abstimmung der Steifigkeiten der einzelnen Bauelemente ist unumgänglich. Nicht nur der Werkstoff, sondern auch die Trag- und Aussteifungselemente, Anschlüsse und Verbindungen müssen die eingebrachte Schwingungsenergie gut absorbieren können.
Gerade hier sind Stahlkonstruktionen klar im Vorteil. Denn kaum eine andere Bauweise kann auf eine so große Bandbreite von geeigneten Bauelementen und Anschlussmöglichkeiten (gelenkig, halbsteif oder steif) zurückgreifen.
Nicht zuletzt deshalb ist in erdbebengefährdeten Gebieten, wie Kalifornien oder Japan, der Stahlbau die bevorzugte Bauweise. Die oft aus Unkenntnis vorgebrachten Brandschutzgründe, stehen dem in keiner Weise entgegen. Wie jeder andere Baustoff lässt sich Stahl auf vielfältigste Weise gegen Brandeinwirkungen schützen. CARSTEN KÖNKE
Der Autor ist Professor am Institut für Strukturmechanik der Bauhaus-Universität Weimar
In Erdbebenzonen ist der Stahlbau die bevorzugte Bauweise im Hochbau
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