Lithium – ein Spannungsmacher auf Kreislaufkurs
Elektromobilität gilt als ökologischer und ökonomischer Hoffnungsträger. Schlüsselrohstoff dafür ist Lithium. Salze des hoch reaktiven Metalls sorgen in Lithium-Ionen-Akkus für Spannung. Das Material endet beim Verwerten von Kleingerätebatterien aktuell noch in der Schlacke. Bei großen Autobatterien führt allerdings kein Weg an seiner Rückgewinnung vorbei. Forscher arbeiten intensiv an Recyclingkonzepten – und sind erstaunlich weit.
Trocken ist die Luft hier oben. Trocken und extrem heiß. Der Salar de Atacama, Chiles größter Salzsee, liegt als 3000 km² große Hochebene still zwischen Gipfeln der Anden. Flamingos stehen gelangweilt in großen, flachen Pfützen. Hier oben auf 2300 m über dem Meeresspiegel wirken sie fremd, obwohl sie seit jeher ins Landschaftsbild gehören.
Mitten in dieser bräunlich salzigen Einöde wächst seit Jahren ein gigantisches, türkis schillerndes Beckensystem. Die Sociedad Chilena de Litio, eine Schwester der deutschen Chemetall GmbH, gewinnt hier Lithium. Neun mal vier Kilometer misst die Anlage inzwischen. Jährlich kommen neue, immer größere Becken dazu. Darin schimmert Salzlake in allen Schattierungen zwischen hellem Türkis und Olivgrün. Sie wird aus der Tiefe des Salzsees in die kaum hüfthohen Becken gepumpt. Nirgendwo sind Lithiumsalze von Natur aus konzentrierter als in dieser chilenischen Lake, die in der gleißenden trockenen Luft nach und nach verdunstet. Anfangs enthält sie 0,16 % Lithium. Nach einem Jahr sind es gut 6 %. Dann ist aus dem feinen Türkis ein schmutziges Olivgrün geworden. Zeit zum Abtransport per Tanklaster ins Werk La Negra, wo die wertvolle Lake weiter konzentriert und von Verunreinigungen durch verschiedenste Metalle und Sulphate befreit wird. Endprodukt ist pures Lithium-Carbonat (Li2CO3). Weißes Pulver, das unsere Mobilität verändern soll.
Denn Lithiumsalze sind der zentrale Rohstoff für Lithium-Ionen-Akkus, die wegen ihrer hohen Energiedichte und Zyklenfestigkeit als Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität gelten. Rund 15 kg Lithium-Carbonat sind nach Angaben von Chemetall in einem einzigen Akku mit 25 kWh für Elektrofahrzeuge enthalten. Selbst in einem 12-kWh-Akku für Hybridautos sind es noch gut 7 kg. Kurz: Viel zu viel, um das Lithium nach dem Ende des Batterielebens zu entsorgen. Dafür ist die Gewinnung zu aufwändig – und auf zu wenige geopolitisch teils bedenkliche Standorte beschränkt. Zwar kommt Lithium in der Erdkruste häufiger vor als Blei. Doch es ist besser verteilt. Meerwasser enthält Spuren davon, verschiedenste Gesteine, Salzstöcke. Lithium ist überall, aber nicht überall zu vertretbaren Kosten zu gewinnen.
Das wird sich ändern, wenn in Zukunft immer mehr Elektroautos in den Markt kommen. Denn dann wird massenhaft Lithium in hoher Konzentration in die Entsorgungsketten drängen. „Schon heute werden Lithium-Ionen-Akkus aus Handy, Notebook und anderen Elektrogeräten recycelt“, erklärt Prof. Arno Kwade von der TU Braunschweig. Allerdings ohne das Lithium selbst zurück in die Kette zu bringen. Vielmehr geht es bei den Verfahren um das Rückgewinnen von Metallen wie Kobalt oder Ferromangan. Die Lithiumanteile landen in der Schlacke, die im Straßenbau verwendet wird. Keine Option für eine umweltfreundliche, elektromobile Zukunft.
Kwade arbeitet zusammen mit Forschern aus der Auto-, Chemie- und Recyclingbranche und Wissenschaftlern der Uni Münster daran, Lithium auf Kreislaufkurs zu bringen. LithoRec nennt sich ihr Verbundprojekt. Mit einer 8,4-Mio.-€-Förderung vom Bundesumweltministerium treiben die beiden Unis und zehn Unternehmen praktische Konzepte für das Lithium-Recycling voran, bewerten deren Wirtschaftlichkeit, untersuchen die Ursachen der Batteriealterung oder fertigen probeweise Batteriezellen mit recyclierten Materialien. Das volle Programm. Noch diesen Herbst soll bei Chemetall am Standort Langelsheim bei Goslar eine Pilotanlage in Betrieb gehen, die Lithium aus gebrauchten Kathoden zurückgewinnt. Später sollen auch lithiumhaltige Anoden und Elektrolyte recycliert werden.
„Eine Schwierigkeit besteht in der Materialvielfalt“, erklärt Kwade. Denn Kathode ist bei Lithium-Ionen-Akkus nicht gleich Kathode. Mal sind Lithium-Kobaltoxidverbindungen auf hauchdünne Aluminiumfolien aufgebracht, mal Lithium-Nickeloxid- oder Lithium-Manganoxidverbindungen, mal sind alle drei Metalloxide vertreten, oder nur zwei davon. Und dann gibt es noch Lithium-Eisen-Phosphate oder Lithium-Polymer-Akkus. Und im Elektrolyt ist bisher vor allem Lithium-Hexafluorphosphat vertreten, wobei die Materialforscher hier mit fluorfreiem Lithium-Bis(oxalato)borat (LiBOB) experimentieren. Und auch bei den bisherigen Graphit-Anoden deuten sich Veränderungen an. Lithium-Titanate könnten die hauchdünnen Graphitschichten schon bald von der Kupferfolie der Anoden verdrängen.
Angesichts dieser Vielfalt wünschen sich die Recycler eine klare Kennzeichnung per Strichkode oder RFID-Chips, um die Akkus vorsortieren und die Wiedergewinnungsverfahren exakter steuern zu können. „Denkbar ist allerdings auch, dass in Zukunft alle Materialien zusammen verarbeitet werden“, so Kwade. Auch das sei eine Fragestellung im Projekt. Zudem werde erwogen, dass Anoden und Kathodenmaterialien, die in ihrer Leistung nachlassen, dereinst gezielt wieder aufbereitet und direkt zur Neubeschichtung eingesetzt werden. Doch die Realisierung liegt wohl in noch fernerer Zukunft als der Einstieg in das Lithiumrecycling. Auch der wird noch auf sich warten lassen. „Bis Elektrofahrzeuge in nennenswerten Stückzahlen in den Markt kommen und ihre Akkus nach zehn bis zwölf Jahren Nutzung entsorgt werden, vergehen sicher noch 20 Jahre“, so der Experte.
Wie der Recyclingprozess dann aussehen könnte, haben Kwade und die anderen Beteiligten des LithoRec Projekts schon grob vor Augen. „Nach der Sammlung der Altbatterien müssen diese zunächst entladen werden“, berichtet er. Danach sollen sie in weitgehend automatisierten Prozessen geöffnet und zerlegt werden. Das Gehäuse geht je nach Material in die vorhandene Verwertung, die Batteriemanagementsysteme in den Elektroschrott. Bleiben die Zellpakete, die es je nach Hersteller rund, prismatisch oder in Beutelform gibt. Geöffnet werden müssen sie alle, um die durch Separatoren getrennten Kathoden- und Anodenfolien freilegen und den flüssigen Elektrolyten absaugen zu können.
Kwade und sein Team an der TU Braunschweig prüfen derzeit diverse Verfahren, um die nur rund 100 µm dünnen Aktivmaterialschichten möglichst vollständig von den Leiterfolien abzutrennen. „Wir liegen je nach Verfahren im Bereich zwischen 80 % und 98 %“, berichtet er. Dafür beanspruche man die Folien mechanisch, zerkleinere sie und helfe bei der Abtrennung mit Wärmezufuhr nach. Mehr will der Forscher noch nicht verraten.
Die abgelösten Aktivmaterialien wird Chemetall ab Herbst in der niedersächsischen Pilotanlage aufbereiten. „Wir können dabei auf 80 Jahre Know-how aus der Lithiumgewinnung und -verarbeitung aufbauen“, erklärt Senior Manager Martin Steinbild. Allerdings unterscheide sich der hydro-metallurgische Prozess der Rückgewinnung im Detail doch deutlich von der Erstgewinnung des Lithiums. Bei moderaten Temperaturen löse man das abgetrennte Kathodenmaterial je nach Zusammensetzung in starken Säuren oder Laugen auf und gebe es dann in einen exakt getimten nasschemischen Prozess. Über variierende pH-Werte, Drücke und Temperaturen lassen die Chemiker die Metalloxide nach und nach in Reaktoren ausfallen und filtern sie jeweils heraus, ehe das Gemisch durch ein komplexes Rohrsystem in den nächsten Reaktor fließt. „Nach diversen Abtrennungen und Aufreinigungen bleibt eine Lithium-Salz-Lösung, aus der wir hoch reines Lithium-Carbonat und Lithium-Hydroxid gewinnen“, erklärt er. Dieses gehe eins zu eins in die Fertigung neuer Aktivmaterialien bei den Projektpartnern Süd-Chemie und H. C. Starck.
Laut Steinbild rechnen die Forscher damit, anfangs etwa die Hälfte des Lithiums aus den Batterien zu bergen und der Wiederverwertung zuführen zu können. „Auf längere Sicht sind durchaus höhere Raten drin“, sagt Steinbild. Das würde die Reichweite des Lithiums im Salar de Atacama auf mehrere Hundert Jahre strecken – trotz Elektromobilität. Nach Berechnungen von Chemetall enthält allein dieser Salzsee genug Lithium, um den globalen Bedarf schon ohne Recycling für 200 Jahre zu decken. Dennoch führt laut Steinbild kein Weg am Recycling vorbei. „Wenn sich Elektromobilität tatsächlich wie prognostiziert durchsetzt, wäre eine einmalige Nutzung des Lithiums aus ökologischen Gründen nicht hinnehmbar“, sagt er.
PETER TRECHOW
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