Nachhaltige Korken-Welt
Flaschenverschlüsse aus Naturkorken leiden unter der Konkurrenz von Kunststoffen und Aluminium. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnten auch die artenreichen Korkeichenwälder in Portugal zur Disposition stehen.
Der Adler, der mit weiten Schwingen über die Baumwipfel gleitet, hat es nicht eilig. Lautlos zieht er seine Kreise unter dem blassblauen Himmel des Alentejo. Plötzlich stürzt er wie ein Stein herab, heller Sand wirbelt auf. Doch das mächtige Tier verfehlt seine Beute und steigt mit schwerem Flügelschlag wieder auf. Ein Wildkaninchen ist raschelnd in seinem Bau verschwunden.
Hier im Korkeichenwald von Coruche, eine knappe Autostunde südöstlich von Lissabon entfernt, sind solche Szenen keine Seltenheit. „Mehr als hundert verschiedene Spezies leben auf jedem Hektar“, erklärt Forstwissenschaftlerin Conceicao Santos Silva. Die schlanke Portugiesin mit dem reich verzierten Kruzifix um den Hals ist im Auftrag der Organisation der Korkforstwirte der Region unterwegs. Ihr Ziel: die Bedeutung der Wälder für Mensch und Umwelt zu erklären.
In lockeren Abständen recken sich die knorrigen bis zu 4 m großen Bäume in die Höhe. Aus dem sandigen Boden sprießen knöchel- bis kniehohe Sträucher wie Zistrosen und Erdbeerbäume. „Hier können sich die Nager gut verstecken und Höhlen bauen“ – und Raubvögeln und vom Aussterben bedrohten Arten wie dem Iberischen Luchs als attraktive Speise dienen. Sie zeigt auf die grünen Eicheln im Sand. „Das ist das Leibgericht der Wildschweine.“
Hin und wieder streicht sie sich die dunkelblonden Haare aus dem Gesicht, die der feucht-warme Wind genauso regelmäßig zurückbläst. „Die Korkeichenwälder sind eines der wichtigsten Ökosysteme des Mittelmeers“, sagt sie. Warum das so ist, sieht man auch am fehlenden Schwarz: keine verkohlten Baumstümpfe, keine Asche-übersäte Erde. Die feuer- und wasserresistente Korkrinde ist eine Versicherung gegen Waldbrände. Deshalb wüten die zerstörerischen Feuer während der sommerlichen Trockenheit fast nur im Norden Portugals, wo die Wälder aus Eukalyptus und Pinien bestehen, obwohl es im Süden, wo die Korkeichenwälder wachsen, deutlich heißer wird. Die Armee der Korkeichen mit ihrem breiten Wurzelwerk stellt sich damit Erosion und Wüstenbildung in den Weg.
Gert Reis klopft gegen die Rinde eines Baums, auf dem mit weißer Farbe die Zahl „1“ aufgemalt wurde. Das hohle Geräusch paart sich mit dem Surren der Fliegen, die hier allgegenwärtig scheinen. Alle Korkeichen tragen eine Ziffer von eins bis neun. „Sie kennzeichnen das Jahr der letzten Ernte“, erklärt der kräftige Badener, der die Korken des weltweit größten Herstellers Amorim in Deutschland an den Mann bringt.
Nur auf denen mit den rötlichen Stämmen prangt eine „Null“. Sie wurden dieses Jahr, also 2010, geschnitten, und da noch keine neue Borke nachgewachsen ist, schimmert der Stamm rot. Frühestens alle neun Jahre darf die Rinde geschält werden. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben.
Dann kommen Saisonarbeiter aus der Region und schlagen mit scharfen Äxten eine fünf bis sechs Zentimeter dicke Korkschicht ab – immer im Frühjahr, wenn die Bäume genug Feuchtigkeit bekommen und neue Wachstumszellen bilden. Die Korkbahnen werden mit Lkw in die nächste Fabrik gebracht.
Die Güte des einstigen Monopolproduktes Korken ist das zentrale Thema der Branche
So wie in die von Amorim, keine halbe Stunde entfernt. Hier lagern Millionen von Rindenstücken hinter grauen Mauern. Die gestapelten Hölzer, jedes anders geformt, sehen bizarr aus – da ergeben sie das Muster großer dunkelbrauner Waben, dort wie von geschichtetem Blätterteig. Den Wert der Rohstoffe, die auf mehr als 100 m2 unter freiem Himmel lagern, beziffert Reis auf 35 Mio. €. „Früher ruhten die Rinden im Wald und wurden doppelt so hoch aufgestapelt.“ Doch der Befall mit Mikroorganismen und der hohe Druck waren der Qualität abträglich.
Seit Kunststoffe und Aluminiumverschlüsse dem Naturkork in der Flasche mächtig Konkurrenz machen, ist die Güte des einstigen Monopolproduktes Korken das zentrale Thema der Branche.
Arbeiter in mattgrünen Anzügen fahren mit mobilen Kreissägen über den Lagerplatz und flexen den Rohkork in gleichmäßige Formen. Fast alle der 200 Mitarbeiter sind Portugiesen. Immigranten, so Reis, würden auch auf den Feldern so gut wie gar nicht eingesetzt. „Viele arbeiten hier in dritter Generation“, weiß er. Die Korkwirtschaft im Alentejo ist wie der Fischfang an der Küste – ein Teil der portugiesischen Identität.
Doch wenn der Absatz weiter sinkt, ist diese Welt bedroht, fürchten viele hier. Dann könnten die Bauern versucht sein, Eukalyptus für die Papierproduktion anzubauen – die robusten und schnell wachsenden Bäume verdrängen die Korkeichen auch ohne politische Genehmigung.
Deshalb tun sie alles, um ihren Kork noch besser zu machen. In der Fabrik ist es heiß, es riecht überall wie im Nadelwald. Die Korkplatten werden gestapelt und mit Eisenketten verschnürt. Dann versenkt sie ein Kran in eine Stahlwanne mit kochendem Wasser. „Eine Stunde bleiben sie da drin“, sagt Reis.
Schmutziger Schaum tritt an die Wasseroberfläche. Der Geruch hat etwas von gedünsteten Artischocken. Nach dem ersten Kochvorgang müssen die dampfenden Rinden noch einmal in die Stahlboiler. Dabei nimmt ihre Dichte zu. Früher wurden dafür Ziegelöfen benutzt. Doch um Mikroorganismen abzutöten, sind sie nicht aseptisch genug. Nun muss nur noch die Rinde geschnitten werden. Eine Reihe von Frauen presst die Rindenstücke in Maschinen, die daraus Korkscheiben stanzen.
In Deutschland ist noch nicht einmal mehr jeder dritte Weinverschluss aus Kork
„Vor zehn Jahren wurden 1,7 Mrd. Flaschenverschlüsse aus Naturkork hergestellt. Heute sind es nur noch 1,2 Mrd.“ Antonio Rios de Amorim ist zwischen Korkrinden groß geworden, hat aus ihnen Männchen geschnitzt.
Die Amorims sind eine der größten Unternehmerdynastien Portugals – mit Beteiligungen an Banken, Textilfirmen und vor allem am Kork. „400 Mio. € hat sich die ganze Branche in den letzten Jahren Modernisierung, Forschung und Entwicklung kosten lassen“, erzählt der Firmenchef. Nur so sei die Erosion des Marktanteils zu stoppen. Weltweit liegt dieser nur noch bei rund 65 %. In Deutschland ist noch nicht einmal mehr jeder dritte Weinverschluss aus Kork.
Santa Maria de Lamas ist so etwas wie das Ruhrgebiet der Korkwirtschaft. Eine halbe Stunde von den weltberühmten Portweinkellereien Portos entfernt reiht sich hier Fabrik an Fabrik. Jede nur denkbare Korkenart erblickt dort das Licht der Welt: einfache, aus Granulat gepresste Korken, robuste Champagnerstopfen, aus Korkscheiben zusammengeklebt, und aus einem Stück gestanzte Edelweinkorken.
Eine Arbeiterin im grünen Overall fischt einige von ihnen vom Laufband, drückt und presst sie zwischen den Fingern. Ein fachmännischer Blick – dann landen die runden Stopfen in einer weißen Tonne. Ein junger Mann schafft sie auf einer rollenden Palette ins Labor. „Die besten Korken durchlaufen bis zu zehn Selektionsverfahren“, sagt Ana Christina Mesquita, die beim US-Korkenspezialisten Cork Supply die Qualität überwacht.
Vor allem Frauen sitzen an den Laufbändern, vor den optischen Prüfapparaturen und in den Laboratorien. „Für die feinen Unterschiede an den Korken haben Frauen einfach ein besseres Auge“, sagt sie zwinkernd. Edelkorken, die kaum über Perforationen im Kork verfügen, müssen penibel aussortiert werden, schließlich kosten sie mehr als 1 € das Stück. Massenware ist dagegen schon für zwei Cent zu haben.
TCA und TBA: Die Feinde des Korken
Doch teure wie billige haben einen gemeinsamen Gegner: die chemische Verbindung Trichloranisol (TCA) und Tribromanisol (TBA), die für den „korkigen“ Geschmack beim Wein verantwortlich sind. Ana Mesquita holt einen Bericht hervor und zeigt auf eine Grafik mit einer stark abflachenden Kurve. Das kalifornische Cork Quality Council bestätigt darin, dass die durch diese Verbindungen hervorgerufenen Verunreinigungen in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen sind.
Die Qualitätsmanagerin strahlt, weiß sie doch, dass solche Ergebnisse helfen können, die skeptischen Wein- und Sektkellereien zu überzeugen und damit den Nachfragerückgang zu stoppen. Das ist auch für Conceicao und ihre Mitstreiter im Korkeichenwald von Coruche eine gute Nachricht. Denn damit wächst die Chance, dass der Adler auch noch in Zukunft seine Kreise unter dem blassblauen Himmel des Alentejo ziehen wird.
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