Aus der Natur 03.09.2024, 07:00 Uhr

Nachhaltige Materialien aus Pilzen

Pilze bestehen nicht nur aus dem Fruchtkörper, den man sieht, sondern vor allem aus einem unterirdischen Geflecht aus Zellfäden. Diese Pilzmyzel bieten enormes Potenzial. Denn sie liefern die Basis, um daraus innovative, biologisch abbaubare Produkte zu entwickeln – von Geldbörsen bis Dämmmaterialien.

Ein eckiger und ein runder Behälter aus Pilmyzel.

Forschende haben aus Pilzmyzel die ersten nachhaltigen und biologisch abbaubaren Verpackungen hergestellt.

Foto: Fraunhofer IAP/Jadwiga Galties

Unter der Erdoberfläche verbirgt sich ein Netzwerk aus Pilzzellen, das enormes Potenzial für die Herstellung umweltfreundlicher Werkstoffe birgt. Diese fadenförmigen Strukturen, bekannt als Pilzmyzel, breiten sich unsichtbar und weitläufig im Boden aus. Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP im Potsdam Science Park nutzen Forschende dieses Pilzmyzel, um eine breite Palette recycelbarer Produkte zu entwickeln. Von Geldbörsen über Isoliermaterialien bis hin zu Verpackungen – die Einsatzmöglichkeiten scheinen grenzenlos. Das Pilzmyzel eröffnet neue Wege, um nachhaltige und biologisch abbaubare Materialien zu kreieren, die herkömmliche, erdölbasierte Produkte ersetzen können.

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Die meisten Menschen assoziieren Pilze lediglich mit dem sichtbaren Fruchtkörper über der Erde. Tatsächlich macht dieser jedoch nur einen Bruchteil des gesamten Organismus aus. Der Großteil besteht aus einem weitverzweigten unterirdischen Netzwerk von Zellfäden, dem sogenannten Pilzmyzel. Die Forschenden am Fraunhofer IAP betrachten das Pilzmyzel als vielversprechenden Rohstoff der Zukunft. Ihr Ziel ist es, erdölbasierte Produkte durch natürliche Bio-Myzel-Komposite zu ersetzen. Als Nährboden für die Pilzkulturen dienen organische Abfälle aus der lokalen Land- und Forstwirtschaft. In verschiedenen Forschungsprojekten entwickeln die Foschenden aus myzelbasierten Materialien innovative Produkte wie Dämmstoffe, Verpackungen und vegane Lederalternativen.

Pilzmyzel verwandelt Abfälle in wertvolle Ressourcen

Die Wissenschaftler am Fraunhofer IAP nutzen das Pilzmyzel verschiedener Arten wie Speise- oder Baumpilze, um regionale Pflanzenreste in nachhaltige Werkstoffe umzuwandeln. Das Pilzmyzel wächst unter Umgebungsbedingungen und bindet CO2 aus organischen Reststoffen. „Bei der Zersetzung von Zellulose und anderen organischen Reststoffen bildet sich ein verdichtetes dreidimensionales Netzwerk und kann somit eine selbsttragende Struktur aufbauen, sagt Hannes Hinneburg, Biotechnologe am Fraunhofer IAP. Das Material, das dabei entsteht, verbindet sich mit organischen Substraten wie Getreide-, Holz- oder Hanfresten zu einem komplexen Verbundstoff. Diese Reststoffe dienen dem Pilz als Nahrung und werden vollständig von feinen Myzelfäden durchzogen.

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Das rein organisches Verbundmaterial lässt sich in beliebige Formen bringen und thermisch stabilisieren. Der Herstellungsprozess funktioniert wie folgt: Zunächst werden Wasser und landwirtschaftliche Reststoffe zu einer Masse vermischt. Nach Anpassung von Feuchtigkeit und Partikelgröße sowie Hitzebehandlung zur Keimreduzierung entsteht das Substrat. Dieses wird mit dem Pilzmyzel vermischt und wächst etwa zwei bis drei Wochen im Brutschrank. Je nach Rezeptur und Verfahren resultiert daraus ein lederähnliches Material oder eines, das sich weiterverarbeiten lässt. Ein Vorteil des Prozesses: Er benötigt kein Licht. Das macht ihn natürlich besonders energieeffizient.

Materialeigenschaften von Pilzmyzel lassen sich anpassen

Ein weiterer Vorteil: Die Forschenden können die Eigenschaften der Pilzmaterialien gezielt steuern. Je nach Anwendungsbereich lassen sich strapazierfähige, dehnbare, reißfeste, dichte, elastische, weiche oder offenporige Strukturen erzeugen. Entscheidend sind dabei die Kombination von Pilzart und Substrat sowie variable Parameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wachstumsdauer. Die Vielseitigkeit des Materials ermöglicht eine breite Palette an Formen und Anwendungen – von dicken Blöcken bis zu hauchdünnen Schichten. Daraus können Textilpolster, Verpackungen, Möbel, Taschen oder Dämmplatten für den Innenausbau gefertigt werden. Als Baustoff fungiert das Pilzmyzel primär als biologischer Klebstoff, der organische Partikel miteinander verbindet.

Das Material wirkt wärmedämmend, isolierend, feuchtigkeitsregulierend und brandbeständig. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für kreislauffähiges und klimapositives Bauen. Aktuell entwickeln die Forschenden einen neuartigen, myzelbasierten Styroporersatz zur Wärmedämmung. In einem weiteren Projekt stehen umweltfreundliche Verpackungsschalen aus lokalen land- und forstwirtschaftlichen Reststoffen im Fokus. In Zusammenarbeit mit Designerinnen und Designern konnten tierfreie Alternativen zu Lederprodukten wie Taschen und Geldbörsen gefertigt werden. Aufgrund ihrer ähnlichen Haptik können diese myzelbasierten Werkstoffe in bestimmten Bereichen herkömmliches Leder ergänzen.

Pilzmyzel braucht industrialisierte Herstellungsprozesse

Bislang entwickeln nur wenige europäische Unternehmen myzelbasierte Materialien für den kommerziellen Einsatz. Herausforderungen bestehen vor allem beim Zugang zu biogenen Reststoffen, der Gewährleistung konstanter Produktqualität und der effizienten Skalierung. Die Forschenden begegnen diesen Hürden mit einem neu entwickelten Rolle-zu-Rolle-Verfahren, für das bereits ein Prototyp existiert. Diese Methode bietet erhebliche Vorteile gegenüber der herkömmlichen Produktion in Boxen und Regalen: Sie ermöglicht eine standardisierte, kontinuierliche Fertigung unter kontrollierten Bedingungen und stellt so gleichbleibende Materialeigenschaften sicher. Gleichzeitig lassen sich Ressourcen effizienter nutzen und die Produktion auf industriellen Maßstab skalieren.

Hinneburg betont die Bedeutung dieser Entwicklung für die wachsende Nachfrage der Industrie nach nachhaltigen Materialien und die langfristige Unabhängigkeit von Erdöl. Er sieht zudem Potenzial in der Optimierung durch innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz, um die Kombination von Reststoffen und Pilzarten weiter zu verbessern. Die Forschung an myzelbasierten Materialien eröffnet vielversprechende Perspektiven für eine nachhaltigere Zukunft, in der biologisch abbaubare Werkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen eine immer größere Rolle spielen werden.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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