Neues Verfahren löst Stahlverbindungen materialschonend und nachhaltig
Stahlbauteile, die durch hochfeste Klebstoffe verbunden sind, lassen sich nur schwer wieder lösen. Oft kommen dafür aufwendige, kostenintensive Verfahren zum Einsatz. Nun haben Forschende eine neue Lösung entwickelt, die nicht nur nachhaltig, sondern auch materialschonend und wirtschaftlich ist.
Kleben ist in der Automobilbranche zu einer Schlüsseltechnologie geworden. Vor allem die strukturelle Verklebung von Stahlbauteilen hat sich als effiziente und leistungsfähige Methode erwiesen. Klebstoffe machen das Auto nicht nur leichter, sondern tragen auch zu einer gleichmäßigen Verteilung von Spannungen und Belastungen bei. Noch dazu werden durch den Einsatz von Klebstoffen keine Materialien beschädigt und oftmals ist Kleben die einzige Fügetechnologie, die bestimmte Materialien miteinander verbinden kann. Doch einen Nachteil gibt es: Solche Klebeverbindungen lassen sich nur schwer wieder trennen. Oft sind dafür aufwendige Verfahren notwendig und nicht selten wird dabei das Material beschädigt. Das ist weder nachhaltig noch wirtschaftlich. Forschende vom Lehrgebiet Fertigungstechnologie Mechatronik der Hochschule Hamm-Lippstadt und vom Laboratorium für Werkstoff- und Fügetechnik der Universität Paderborn haben ein neues Verfahren entwickelt, das auf tiefen Temperaturen basiert und viele Vorteile mit sich bringt.
Kreislauffabrik lässt vom ewigen Produkt träumen
Bisherige Verfahren zur Stahltrennung sind wenig nachhaltig
Aufgrund der hohen Festigkeit der Stahlwerkstoffe und der Klebstoffe stellt die materialerhaltene Trennung von hochfesten Stahlverbindungen eine große Herausforderung dar. Während sich Schweißpunkte an Karosseriestrukturen mit Spezialfräsen entfernen lassen und Nieten herausgedrückt werden können, braucht es für das Lösen von hochfesten Klebverbindungen viel Energie und äußerste Präzision. „Hochfeste, crashstabile Klebverbindungen mussten bislang bei relativ hohen Temperaturen von 350 bis 500 Grad Celsius, zum Beispiel mit einem speziellen Heißluftfön und mit Karosseriemeißeln, aufwendig entfügt werden“, erklärt Tim Michael Wibbeke, einer der Forschenden. Bei diesen Verfahren würden häufig Bauteile, die eigentlich wiederverwendet werden könnten, deformiert werden. Noch dazu seien diese Verfahren weder kostengünstig noch nachhaltig. Um dies zu ändern und kreislaufwirtschaftliche Prozesse – nicht nur in der Fahrzeuginstandsetzung – zu ermöglichen, haben die Forschenden eine Lösung entwickelt, mit der sich die Bauteile leicht und materialerhaltend lösen lassen.
Temperaturen von minus 60 Grad Celsius lösen Stahlverbindungen
Das neue Verfahren der Forschenden zur Trennung von hochfesten Stahlklebverbindungen basiert nicht auf hohen, sondern auf extrem tiefen Temperaturen. „Wir konnten zeigen, dass bei einer kurzzeitigen Abkühlung von zirka minus 60 Grad Celsius die Werkstoffeigenschaften unbeeinflusst bleiben. Das macht unser Verfahren besonders schonend und gut geeignet für die Kreislaufwirtschaft der Karosserieteile“, sagt Aurélie Bartley vom Forschungsteam. Karosseriestrukturen weisen häufig mehrere Klebschichten auf. Bei den bisherigen Verfahren mit hohen Temperaturen wurden tieferliegende Klebschichten oft thermisch geschädigt. Die Gefahr besteht bei dem neuen Verfahren nicht mehr. Um die Stahlbauteile voneinander zu lösen, verwenden die Forschenden ein Gemisch aus CO2 und Ethanol. Dieses kühlt das Bauteil so lange ab, bis sich die darunterliegende Klebschicht löst. Auf diese Weise bleibt das Bauteil unbeschädigt und kann wiederverwendet werden.
Neues Verfahren macht Stahlanwendungen wirtschaftlicher
Heutige Autos enthalten etwa 15 bis 18 Kilogramm Klebstoff. Daran wird deutlich, wie viele Bauteile in Fahrzeugen miteinander verklebt werden. Eine effiziente Lösung zur Trennung von Stahlbauteilen in der Automobilbranche ermöglicht entsprechend eine deutlich wirtschaftlichere Stahlanwendung. Neben einer effizienten Fahrzeugreparatur, kann das neue Verfahren zu einer deutlichen Reduzierung der Kosten beitragen. Darüber hinaus trägt die Wiederverwertung von Stahl zur Schonung wertvoller Ressourcen bei und fördert die Nachhaltigkeit in der Automobilproduktion.
Inzwischen bewährt sich das neuartige Kaltentfügeverfahren auch in der Praxis. Peter Vogel, Geschäftsführer der Vogel GmbH & Co. KG – Karosserie und Lackiercenter ist von der neuen Lösung überzeugt: „Für uns ist eine effiziente, nachhaltige, schnelle Reparatur von Multimaterialmix-Karosserien extrem wichtig. Bei dem Kaltentfügeverfahren werden bestehende Strukturen entsprechend geschont und wir können damit eine schnellere und saubere Reparatur generieren. Das ist für uns extrem wirtschaftlich und nachhaltig.“
Die Forschenden gehören mit ihrem Projekt „Analyse des Versagensverhalten geklebter Stahl-Verbindungen bei werkstoffschonenden Entfügen in der Karosserieinstandsetzung“ zu den drei Finalistenteams für den Otto von Guericke-Preis 2023. Das Forschungs- und Transfernetzwerk AiF – Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. – vergibt den mit 10.000 Euro dotierten Preis seit 1997 an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für besondere Innovationsleistungen auf dem Gebiet der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF).
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