Palmöl macht mobil – Autos wie Umweltschützer
Für die einen ist Öl aus Palmen der Tankinhalt der Zukunft. Für andere treibt der nachwachsende Rohstoff vor allem die Regenwaldzerstörung voran. Zur ersten Gruppe zählt der Mineralölkonzern Neste Oil. Die Finnen haben jetzt in Singapur die weltweit größte Biodieselanlage der Welt eröffnet.
Es ist gerade einmal kurz nach zehn Uhr morgens und das Thermometer hat die 30° C-Markierung bereits deutlich überschritten. Zu allem Überfluss lud in der vergangenen Nacht ein Gewitter seine nasse Fracht über Singapur ab. Entsprechend feucht ist die Luft. Das Südchinesische Meer und die Umschlagterminals des wohl größten Hafens der Welt sind nur einen guten Steinwurf entfernt. Hier, im Südwesten des Stadtstaates, hat das finnische Mineralölunternehmen Neste Oil gerade die größte Biodieselanlage der Welt eingeweiht. Investiert wurden rund 550 Mio. €.
In einem Gewirr von Kesseln und Rohrleitungen sollen jährlich 800 000 t Diesel aus erneuerbaren Rohstoffen entstehen. Die Finnen werden dann mit einer Produktionskapazität von insgesamt rund 2 Mio. t der globale Marktführer bei der Produktion von Biodiesel sein.
Deren „Next Generation Biomass-to-Liquid“-Kraftstoff (NExBTL) setzt sich aus Kohlenwasserstoffketten zusammen – anders als Biokraftstoffe aus umgeesterten Pflanzenölen (etwa Rapsmethylester (RME). Dadurch hat er dieselbe chemische Grundformel (CnH2n+2) wie fossile Kraftstoffe. NExBTL kann deshalb ohne Einschränkung als Reinkraftstoff genutzt oder herkömmlichem Diesel beigemischt werden. Feldversuche haben laut Neste Oil gezeigt, dass eine Beimischung die Qualität von konventionellem Diesel sogar hebt. Denn NExBTL sei unter anderem aromaten-, sauerstoff- und schwefelfrei sowie durch eine Cetanzahl zwischen 84 und 99 äußerst zündwillig.
Tests mit Bussen und Lkw der Abgasnorm Euro4 bewiesen nach Firmenangaben, dass abhängig vom Fahrzyklus bis zu 45 % weniger Partikel und bis zu 20 % weniger Stickoxide (NOx) entstehen, wenn sie NExBTL als Reinkraftstoff tanken. Auf Basis der gegenwärtig eingesetzten Rohstoffe erzeuge NExBTL-Biodiesel weniger als die Hälfte der Treibhausgasemissionen von fossilem Diesel.
Angeblich eignet sich praktisch jedes Pflanzenöl oder tierisches Fett als Ausgangsstoff für das NExBTL-Verfahren. Mit tierischen Fetten als Ausgangsstoff lasse sich der Ausstoß von Treibhausgasen sogar um fast 80 % reduzieren.
Matti Lehmus, Neste Oil Executive Vice President, will die Rohstoffbasis für die Biodieselproduktion kontinuierlich erweitern. „Für uns kommen allerdings nur Rohstoffe infrage, die nachhaltig produziert wurden und Treibhausgasemissionen vermeiden. Die endgültige Entscheidung richtet sich zudem nach seiner Versorgungssicherheit, seiner Verfügbarkeit und dem Preis.“ Erforscht würden derzeit u.a. Rohstoffe wie Mikroben oder Algen. Zum anderen sollen bereits bewährte Substanzen wie Jatropha-Öl, Leindotteröl, Sojaöl, Ölabfälle aus der Fischverarbeitung und Tallöl verstärkt eingesetzt werden.
Doch dies ist Zukunftsmusik. Momentan macht Palmöl noch die Hälfte aller Ausgangsstoffe aus. Auf Stearin, ebenfalls ein Nebenprodukt der Palmölherstellung, werden 2011 voraussichtlich 20 % des Rohstoffeinsatzes von Neste Oil entfallen und auf Palmfettsäuredestillat bis zu 10 %. Tierisches Fett macht einen Anteil von weniger als 20 % der erneuerbaren Rohstoffe aus.
Lehmus betont, dass die Raffinerie von Neste Oil in Singapur bereits im Januar nach dem ISCC-Standard (International Sustainability & Carbon Certification) zertifiziert wurde. Aber erst, wenn auch zertifizierte Rohstoffe eingesetzt werden, kann der Biokraftstoff als nachhaltig bezeichnet werden. Und erst ein entlang der gesamten Lieferkette zertifizierter Biokraftstoff erfüllt auch die Auflagen für die Beimischung von Biokraftstoffen auf dem deutschen Markt.
Neste Oil unterstreicht in diesem Zusammenhang sein Nachhaltigkeitsengagement durch die Mitgliedschaft beim RSPO (Roundtable on Sustainable Palm Oil). Der Runde Tisch soll als zentrale Organisation nachhaltige Anbaumethoden für Palmöl fördern und so die Umweltschädigung begrenzen. Zu den mehr als 500 Mitgliedern zählen neben Umweltschutzverbänden vor allem Firmen und Institutionen aus der Wertschöpfungskette des Palmöls – darunter Plantagenbetreiber, Händler und industrielle Abnehmer von Palmöl, aber auch Investoren und Banken.
Die Absichtserklärungen der Finnen klingen zunächst wie Musik in den Ohren von Umweltschützern. Fast könnte man vergessen, dass Neste Oil Anfang des Jahres mit dem von Umweltorganisationen ausgerufenen „Public Eye Award“ als verantwortungsloseste Firma der Welt ausgezeichnet wurde.
„Der finnische Agrotreibstoffproduzent und bald schon weltgrößte Palmölabnehmer verkauft unter dem schamlosen Namen ,Green Diesel“ europaweit Biodiesel. Die massiv steigende Palmöl-nachfrage treibt die Regenwaldzerstörung in Indonesien und Malaysia, den letzten Refugien der vom Aussterben bedrohten Orang Utans, zusätzlich an“, heißt es in der Begründung.
In der Tat zählt Palmöl zu den wichtigsten Exportartikeln Malaysias. Im Tigerstaat nördlich von Singapur erstrecken sich die Palmenfelder der Gattung „Elaeis guineensis“ bis zum Horizont. Nur ab und an tauchen dazwischen kleinere Siedlungen auf und verschwinden schnell wieder hinter der grünen Wand.
„But everybody here is happy with the palmoil“, berichtet die malaysische Fremdenführerin Anne Chia. Die Palme bringt den Menschen Arbeit und Wohlstand. Bereits ihr Vater habe in den 1960er-Jahren auf einer Palmölplantage gearbeitet.
Etwa zum gleichen Zeitraum ist die Plantage entstanden, welche die IOI-Group – der Hauptlieferant von Neste Oil – in Kluang betreibt. Die regionalen IOI-Mitarbeiter berichten, dass das Unternehmen bereits seit 2004 beim RSPO vertreten ist und stringent alle Nachhaltigkeitsregeln berücksichtigt. Die Palmölplantagen und Ölmühlen des Unternehmens würden quasi täglich von Zertifizierungsteams besucht. Zudem werde für das Wohl der Arbeitnehmer gesorgt. Es seien Gebetshäuser für die verschiedenen Religionen, Schulen und Freizeiteinrichtungen errichtet worden.
Tatsächlich wirkt auf der Plantage alles sehr aufgeräumt und teils sogar idyllisch. Etwa dort, wo Bambang zwischen den Palmen abgeschlagene Palmölfrüchte auf einen Ochsenkarren verlädt. Der 26-jährige Indonesier berichtet, dass er für seine Arbeit umgerechnet etwa 300 € im Monat erhält. „Das ist ein sehr guter Lohn“, ergänzt er über das ganze Gesicht strahlend.
Diese vermeintliche Idylle lässt sich nur schwer in Einklang bringen mit dem, was Naturschutzorganisationen berichten. Laut Peter Gerhardt, Tropenwaldreferent von Robin Wood, wird die IOI-Group ganz aktuell von der indonesischen Organisation Greenomics beschuldigt, einige seiner Plantagen illegal zu betreiben. Und auch an Neste Oil lässt der Experte kein gutes Haar. Durch deren gestiegene Nachfrage nach Palmöl komme es zu weiteren Zerstörungen von Naturflächen für neue Palmölplantagen. Dabei spiele es keine Rolle, woher Neste Oil konkret sein Palmöl bezieht. „Diesen Effekt nennen Fachleute „indirekte Landnutzungsänderungen“ oder englisch abgekürzt ILUC (indirect land use change). Leider ist es noch niemanden gelungen, ILUC sauber zu berechnen und auch wird ILUC bislang von keinem Zertifizierungssystem erfasst“, so Gerhardt.
Ebenfalls kritisch ist der Robin-Wood-Mann beim Thema RSPO: „Die Palmölindustrie befindet sich bei wichtigen Abstimmungen stets in einer komfortablen Mehrheit. Entsprechend lax sind die Standards.“ So schließe der RSPO weder die Rodung von Wäldern aus, noch verbiete er den Einsatz von hochgiftigen Agrochemikalien. Zudem würden keine indirekten Landnutzungsänderungen oder die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigt. In der Praxis zeige sich, dass sich die Firmen ihre bereits bestehenden Plantagen zertifizieren lassen, an anderer Stelle aber zur Anlage neuer Plantagen unvermindert weiter Regenwälder und Torfmoorgebiete roden und damit Konflikte mit der Bevölkerung verursachen.
Etwas moderater klingt die Ansicht von Martina Fleckenstein, Leiterin Agrarpolitik beim WWF Deutschland. „Natürlich haben viele der Palmöl produzierenden und verarbeitenden Unternehmen in der Vergangenheit irreparable Schäden verursacht – und so selber für ihren schlechten Ruf gesorgt. Heute jedoch sind wir über den Runden Tisch Palmöl im regen Austausch miteinander. Und ich stelle bei vielen Unternehmen sehr ernst gemeinte Nachhaltigkeitsbemühungen fest. Der WWF wird weiterhin den beteiligten Unternehmen sehr genau auf die Finger schauen. So ist der RSPO ein wichtiges Instrument, um die Regenwaldvernichtung aufzuhalten“, erläutert die Umweltschützerin.
Wo genau aber die Wahrheit in der sehr angeregt geführten Palmöldiskussion liegt, lässt sich nicht ermitteln. Sicherlich befindet sie sich irgendwo zwischen den „Heilen-Welt-Darstellungen“ von Neste Oil und IOI-Group und den massiven Vorwürfen seitens der Umweltorganisationen. Fakt ist, dass Alternativen zu den fossilen Brennstoffen gebraucht werden – und dafür auch ein Preis gezahlt werden muss. Dass dieser nicht zu hoch ausfällt, dafür wollen die Umweltorganisationen als Gegenpol zur Palmölwirtschaft sorgen.
ROLF MÜLLER-WONDORF
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